Seite - 232 - in Wolfgang von Weisl - Schauspiel und Roman im Zeichen des modernen politischen Zionismus
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232 C. Wolfgang von Weisl
Leben wichtig ? Ist es denn wichtig, ob Doktor Hamber seinen Willen durchsetzt und
die Araber mit jüdischer Lymphe115 impft oder ob Colonel Antimon die Fellachen mit
staatlicher Lymphe versorgt ? Aber wichtig ist, dass es Menschen gibt, die auf Titel und
Gehalt verzichten, um ihrem Volke zu dienen. Das ist wichtig.«
»Und du, Eldad ?«, wiederholte Hanna noch einmal, ganz leise.
Eldad blieb stehen. »Und du und ich ?«, sprach er ihr nach. Der Ort, an dem er hielt,
war denkbar ungeeignet für eine Antwort : rechts ein arabischer Fleischer, ihm gegen-
über ein Grünzeughändler und links daneben ein Blechschmied, der aus Leibeskräften
auf eine Petroleumkanne loshämmerte. Aber zu den Eigenschaften Eldads, die ihn
stark und zugleich verhasst machen mussten, gehörte, dass seine Stimmung nie von der
Umgebung beeinflusst wurde, in der er sich befand. Er lebte zu sehr in seiner eigenen
Welt.
So fasste er denn vor den erstaunten Augen eines Dutzend arabischer Krämer die
Hand des Mädchens und hielt sie fest : »Ich liebe dich, Hanna. Ich liebe dich mehr, als
ich je geglaubt habe, lieben zu können. Aber ehe du mir antwortest, will ich dir eines sa-
gen, das du wissen musst : Zuerst kommt in meinem Leben das Volk, dem ich mich ge-
weiht habe, als ich zu Trumpeldor kam. Und dann kommt als zweites dieses Land. Und
dann
– als drittes erst
– kommt in meinem Leben die Frau. Meine Frau, du, du, Hanna,
wenn du mich so liebst, wie ich dich liebe, wenn du meine Frau werden willst …«
Er ließ ihre Hand los, wandte sich rasch ab und begann weiter zu gehen. Hanna
ging neben ihm, ohne zu antworten. Sah mit unbewegter Miene vor sich nieder auf das
schlechte Pflaster, als sei dies wichtiger als alles. So hatte sie sich seine Liebeserklärung
nicht vorgestellt. Irgendetwas zerriss in ihr, ein Traum von leiser Feierlichkeit, von lei-
denschaftlicher Hingabe des Mannes, von ritterlichem Dienen. Gestern Nacht hatte sie
Eldad geküsst, dass ihr Herz stillstand und ihr Atem versagte, und alles, was er flüsterte,
schrie, war das Wort gewesen : Hanna, ani ohewekh ! Hanna, Hannati ! Hanna, ich liebe
dich, Hanna, meine Hanna !«
Und jetzt – auf offener Straße sprach er plötzlich von Heirat, von Ehe und sagte ihr
geschäftsmäßig : Als Drittes in meinem Leben kommst du. Nation und Heimat gehen
vor. Passt dir der dritte Platz ?
Eldad verstand zum zweiten Mal in dieser Stunde die Stimmung des Mädchens
falsch. Weil Hanna schwieg, glaubte er, sie überlege ihre Antwort auf seinen Antrag und
zögere aus einem unerfindlichen Grund, ihn anzunehmen. Langsam stiegen in ihm Un-
geduld und dann Ärger auf. Warum war sie gestern mit ihm gegangen, warum hatte sie
sich küssen lassen, hatte ihn wiedergeküsst, dass die Erinnerung daran ihm das Blut in
die Schläfen trieb – warum konnte sie jetzt nicht seine Hand fassen, konnte ihm nicht
115 Lymphe : Gewebsflüssigkeit.
Publikation im Sinne der CC-Lizenz BY 4.0
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Wolfgang von Weisl
Schauspiel und Roman im Zeichen des modernen politischen Zionismus
Erlöser - Der Anfang der Wandlung Israels
- Titel
- Wolfgang von Weisl
- Untertitel
- Schauspiel und Roman im Zeichen des modernen politischen Zionismus
- Herausgeber
- Dietmar Goltschnigg
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Datum
- 2020
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-21056-6
- Abmessungen
- 17.4 x 24.5 cm
- Seiten
- 362
- Kategorie
- Biographien
Inhaltsverzeichnis
- Vorwort 7
- Abkürzungen und Zitierweise 11
- A. Kontexte, Aspekte, Kommentare 13
- Erlöser 13
- Einbürgerung Wolfgang von Weisls in British Palestine 22
- Arnold Zweig: De Vriendt kehrt heim … 23
- Der Anfang der Wandlung Israels 28
- B. Wolfgang von Weisl 51
- Erlöser. Ein ernstes Spiel von letzten Dingen 51
- C. Wolfgang von Weisl 143
- Der Anfang der Wandlung Israels. Roman 143
- D. Anhang 335
- 1. Zeittafel 335
- 2. Biographische Daten 341
- 3. Sachen, Begriffe, Orte, Glossar 346
- 4. Bibliographie 353
- 5. Personenregister 355