Seite - 234 - in Wolfgang von Weisl - Schauspiel und Roman im Zeichen des modernen politischen Zionismus
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234 C. Wolfgang von Weisl
schade, sehr schade«, hörte er vom anderen Ende der Leitung die gepresste Stimme
Hannas. »Also auf Wiedersehen nach deiner Rückkehr.« Klick. Sie hatte unterbro-
chen.
Tief aufseufzend legte Eldad die Hörmuschel nieder. Mechanisch versperrte er
den Schreibtisch und nahm Abschied vom jemenitischen Diener, den er täglich be-
schimpfte und der ihn dafür heiß liebte : »Na, heute hast du, unberufen, deine Schuhe
anständig geweißt, und sogar die Knöpfe an der Jacke hast du geputzt ! Ob du jemals
lernen wirst, die Hose zu bügeln ? Du Faulpelz ! – Wenn jemand nach mir fragt, sage,
ich sei nach Jaffa gefahren. Entweder bin ich morgen Donnerstag zurück oder Sonntag.
Schalom !«
Mit langen Schritten, zwei Stufen auf einmal nehmend, sprang Eldad die Stiege hi-
nunter, ging zum Automobil-Büro und mietete einen Sitz in einem der abgenützten
Ford-Wagen, die im Herbst 1920 als neueste Errungenschaft den Verkehr zwischen
Jaffa und Jerusalem während jener Stunden vermittelten, in denen kein Bahnzug abging.
Eldad setzte sich neben den Chauffeur und wartete, bis so viele Reisende kamen, als
der Wagen Plätze hatte. Wenn der letzte Passagier erst nach Stunden sich einfand, nun,
dann warteten die früher Gekommenen eben ein paar Stunden lang ; Geld war damals
in Palästina viel teurer als Zeit.
Das Auto briet in der Sonne. Eldad dachte sehnsüchtig an Hanna. Sie hätte jetzt
hier sein können, er hätte mit ihr reden können, wenn
– nun, wenn sie ihn wirklich lieb
hätte … Ihm war, als sei Reif auf seine Liebe gefallen. Etwas, das er nicht zu nennen
wusste, verdarb das reine, junge Glück, das seit gestern in ihm lebte. Er seufzte schwer,
indem er seinen mächtigen Brustkasten mit so tiefem Atemzug dehnte, als wolle er eine
Last von seinem Herzen wegheben. Eine Last voll Angst. Wenn sie mich nicht liebt ?
Wenn das gestern nur die Stimmung von Mond und Nacht war, die sie unter meinen
Küssen erzittern ließ, aber nicht Liebe ? Warum ist sie jetzt nicht hier ? Warum wollte
sie nicht sagen, ob sie mich heiraten will ? Sollte er ohne Hanna weiterleben müssen,
wieder allein, wie bisher ?
Ein kleiner jemenitischer Straßenjunge lief barfuß durch den Staub, sah aus großen
verträumten Dichteraugen die Vorübergehenden an, bot schreiend die einzige hebräi-
sche Tageszeitung des Landes feil. Eldad kaufte das Blatt. Um seine Gedanken von
Hanna loszureißen, vertiefte er sich in das Studium der letzten Nachrichten aus Lon-
don. Wieder eine Interpellation im Parlament wegen Palästina. Ob die Regierung nicht
wisse, dass … Nein, sie wusste nichts.
Hanna aber saß unterdessen in ihrem Arbeitszimmer hinter dem Schreibmaschi-
nentisch, das Gesicht in den Armen vergraben, und weinte, weinte unaufhaltsam, fast
ohne zu wissen, warum. Sie liebte Eldad über alles, fühlte sie. Und er liebte sie, aber er
liebte sie nicht genug. Lange nicht genug. Sie brauchte Zärtlichkeit, brauchte Weich-
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Wolfgang von Weisl
Schauspiel und Roman im Zeichen des modernen politischen Zionismus
Erlöser - Der Anfang der Wandlung Israels
- Titel
- Wolfgang von Weisl
- Untertitel
- Schauspiel und Roman im Zeichen des modernen politischen Zionismus
- Herausgeber
- Dietmar Goltschnigg
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Datum
- 2020
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-21056-6
- Abmessungen
- 17.4 x 24.5 cm
- Seiten
- 362
- Kategorie
- Biographien
Inhaltsverzeichnis
- Vorwort 7
- Abkürzungen und Zitierweise 11
- A. Kontexte, Aspekte, Kommentare 13
- Erlöser 13
- Einbürgerung Wolfgang von Weisls in British Palestine 22
- Arnold Zweig: De Vriendt kehrt heim … 23
- Der Anfang der Wandlung Israels 28
- B. Wolfgang von Weisl 51
- Erlöser. Ein ernstes Spiel von letzten Dingen 51
- C. Wolfgang von Weisl 143
- Der Anfang der Wandlung Israels. Roman 143
- D. Anhang 335
- 1. Zeittafel 335
- 2. Biographische Daten 341
- 3. Sachen, Begriffe, Orte, Glossar 346
- 4. Bibliographie 353
- 5. Personenregister 355