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Der Anfang der Wandlung Israels 235
heit, sehnte sich nach einem Mann, der um sie warb, wie Jakob um Rahel116, auf einen
Blick von ihr wartete, nach einem Lächeln hungerte, den sie mit einem Blick und einem
Lächeln belohnen, beglücken konnte. Eldad war nicht der Mann dazu. Sie hatte Angst
vor seiner gedankenlosen Härte, die – ohne weh tun zu wollen – alle Menschen von
sich wegschob, einteilte in solche, die seinem Land und seinem politischen Traum nüt-
zen, und in solche, die ihm schaden können. Seine Liebe sogar teilte er so ein : zuerst
das Volk und die Politik – und dann die Liebe, das Heim, die Gattin. Nie würde die-
ser Mann ihr gehören, niemals ! Im Gegenteil. Er würde erwarten wie etwas Selbstver-
ständliches, dass sie ihm angehöre, sein Eigentum würde. Er will sie nehmen, wie das
alte Gesetz der Juden aus ihrer Wüstenzeit es festlegt : Der Mann nimmt sich ein Weib
zur Gattin, aber nicht die Frau sich einen Mann. Der Mann bleibt frei, und die Frau soll
gebunden sein.
Wieder stürzten Tränen aus Hannas Augen. Mit zuckenden Lippen erkannte sie,
dass Eldad
– der Ungläubige
– trotz seiner Rede über neues Frauenrecht und neue Ehe
tiefer in jenem Geiste wurzelte, der vor 3000 Jahren am Sinai den jüdischen Beduinen-
stämmen ihr ewiges Gesetz gegeben hat, als die Strenggläubigen, die nichts vom glei-
chen Recht des Weibes wissen wollen, deren Ehe aber ein wechselseitiges Sich-Schen-
ken von Mann an Weib ist. Eldad nein, Eldad wird sich nicht schenken – er wird nur
von ihr beschenkt werden wollen, und sein wahres Leben würde er mit Harzwi teilen
oder mit Kazprin.
»Ich nehme dich mir zur Frau – aber ich selbst gehöre einem Anderen«, hatte er ihr
gesagt, oh, so hart gesagt ! Dass das »Andere« ein Volk war und ein Staat – was küm-
merte das Hanna, die ihn liebte !
Sie weinte und weinte. Colonel Antimon, der zu diktieren hatte, öffnete die Tür, sah
das schluchzende Mädchen und zog sich leise wieder zurück. Die Briefe konnten war-
ten, bis das Girl sich beruhigt hätte. Die kleine, gelbe Armenierin aber saß neben ihr,
streichelte beruhigend ihren Ärmel und flüsterte : »Weinen Sie nur, Miss Asriel, weinen
Sie nur. Es ist so gut, wenn man weinen kann.« Und langsam fielen kleine, mühsame
Tropfen aus ihren brennenden Flüchtlings-Augen auf die einfache, dunkle Bluse nieder.
Die Armenierin dachte an ihre verlorene Heimat und ihre erschlagenen Eltern – und
weinte zusammen mit der jungen Jüdin, die über ihre erste Liebe weinte. Aus Angst und
aus Glück.
116 Jakob (Jisrael, Israel) : Sohn Isaaks und Enkel Abrahams, dritter Erzvater der Israeliten ; Rahel :
Tochter des Laban, Lieblingsfrau Jakobs, Mutter Josefs und Benjamins, zweier Ahnherrn der Zwölf
Stämme Israels.
Publikation im Sinne der CC-Lizenz BY 4.0
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Wolfgang von Weisl
Schauspiel und Roman im Zeichen des modernen politischen Zionismus
Erlöser - Der Anfang der Wandlung Israels
- Titel
- Wolfgang von Weisl
- Untertitel
- Schauspiel und Roman im Zeichen des modernen politischen Zionismus
- Herausgeber
- Dietmar Goltschnigg
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Datum
- 2020
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-21056-6
- Abmessungen
- 17.4 x 24.5 cm
- Seiten
- 362
- Kategorie
- Biographien
Inhaltsverzeichnis
- Vorwort 7
- Abkürzungen und Zitierweise 11
- A. Kontexte, Aspekte, Kommentare 13
- Erlöser 13
- Einbürgerung Wolfgang von Weisls in British Palestine 22
- Arnold Zweig: De Vriendt kehrt heim … 23
- Der Anfang der Wandlung Israels 28
- B. Wolfgang von Weisl 51
- Erlöser. Ein ernstes Spiel von letzten Dingen 51
- C. Wolfgang von Weisl 143
- Der Anfang der Wandlung Israels. Roman 143
- D. Anhang 335
- 1. Zeittafel 335
- 2. Biographische Daten 341
- 3. Sachen, Begriffe, Orte, Glossar 346
- 4. Bibliographie 353
- 5. Personenregister 355