Seite - 256 - in Wolfgang von Weisl - Schauspiel und Roman im Zeichen des modernen politischen Zionismus
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256 C. Wolfgang von Weisl
Lia sah den jungen Mann einen Augenblick lang fragend an. Sie maß sein freies,
hübsches Gesicht, dem der flotte Schnurrbart einen etwas eitlen, selbstzufriedenen Aus-
druck verlieh, seine grauen Augen, die sonst herrisch und ungeduldig waren, jetzt aber
mitleidig und liebevoll blickten, seinen schmalen, festen Mund … dann fasste sie seine
Hand, und ehe er sich wehren konnte, presste sie ihre Lippen auf seine Finger. »Danke,
Georges, danke. Du bist gut.«
Georges lächelte etwas verlegen. Ein reizendes Mädchen, so sentimental, eigentlich
ganz unverdorben, dachte er. Die Freude, die er ihr machte, war die paar Hundert Pfund
wert. Würde eben der Mufti von Jerusalem weniger für die Reparatur der Omar-Mo-
schee bekommen. Er behielt noch immer genug. Reichlich genug. Dann lachte Georges
plötzlich laut auf. Ihm fiel ein, dass er nach Palästina fuhr, um den allgemeinen Angriff
gegen die Juden ins Werk zu setzen, und dass er dies damit eingeleitet hatte, Geld zu
geben, um den Juden Palästinas zu helfen. Er musste das Papa berichten : Jetzt hatte er
sich nicht nur bei Mohammedanern und Christen, bei Franzosen und Briten beliebt ge-
macht, sondern überdies noch Beziehungen zum jüdischen Gott angeknüpft. »Glaubst
du, wird dein Gott auch mir Sünden verzeihen, weil ich dir dieses Geld für seine Armen
gegeben habe«, fragte er Lia.
Die Tänzerin sah ihn ernst und überzeugt an : »Sicher, Georges. Sicher. Und du
kannst seine Verzeihung brauchen. Du hast viele Sünden, fürchte ich.« – »Mehr als du
glaubst«, lachte Georges. »Garçon ! Noch zwei Limonaden !«
Der Zug brauste durch die ägyptische Ebene. Feiner Sand rieselte durch die ver-
schlossenen Fenster, füllte die Luft mit winzigen Körnern. Drüben zur Rechten blinkte
durch die Nacht der Kanal von Suez. Jenseits des Kanals begann Palästina.
4
Am Tag nach der Ankunft Georges Farughis in Jerusalem ging ein großes Rauschen
durch den arabischen Blätterwald. Seine Exzellenz, der Oberkommissär, hatte
den Millionärssohn zum Lunch eingeladen und der französische Generalkonsul zum
Tee und der Mufti zum Nachtmahl. Dass außer Seiner »Hoheit«, dem Prinzen Farughi,
auch ein Fräulein Lia Antabi im Central Hotel abgestiegen war und dass sie am ersten
Tag bereits den Weg zur Klagemauer suchte, vor deren Steinen sie so sehr weinte, dass
nicht weniger als drei amerikanische Touristen sie als Beispiel jüdischer Glaubenstreue
fotografierten … und als Altesse le Prince137 am Abend besagten Tages die Türe seiner
Freundin versperrt fand, als er sie ganz inkognito nach Mitternacht besuchen wollte,
über all das allerdings stand nichts in den verschiedenen arabischen Journalen zu lesen,
137 Altesse le Prince (franz.) : fürstliche Hoheit.
Publikation im Sinne der CC-Lizenz BY 4.0
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Wolfgang von Weisl
Schauspiel und Roman im Zeichen des modernen politischen Zionismus
Erlöser - Der Anfang der Wandlung Israels
- Titel
- Wolfgang von Weisl
- Untertitel
- Schauspiel und Roman im Zeichen des modernen politischen Zionismus
- Herausgeber
- Dietmar Goltschnigg
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Datum
- 2020
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-21056-6
- Abmessungen
- 17.4 x 24.5 cm
- Seiten
- 362
- Kategorie
- Biographien
Inhaltsverzeichnis
- Vorwort 7
- Abkürzungen und Zitierweise 11
- A. Kontexte, Aspekte, Kommentare 13
- Erlöser 13
- Einbürgerung Wolfgang von Weisls in British Palestine 22
- Arnold Zweig: De Vriendt kehrt heim … 23
- Der Anfang der Wandlung Israels 28
- B. Wolfgang von Weisl 51
- Erlöser. Ein ernstes Spiel von letzten Dingen 51
- C. Wolfgang von Weisl 143
- Der Anfang der Wandlung Israels. Roman 143
- D. Anhang 335
- 1. Zeittafel 335
- 2. Biographische Daten 341
- 3. Sachen, Begriffe, Orte, Glossar 346
- 4. Bibliographie 353
- 5. Personenregister 355