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Der Anfang der Wandlung Israels 257
die Eldad zwei Tage vorher mit gerunzelten Brauen durchackerte. Arabisch zu lesen fiel
ihm noch immer sehr schwer. Sehr …
Also war Farughi doch nach Palästina gekommen. Das hieß so viel, als dass er den
Kampf nicht aufgab, auch nachdem ihm seine Maschinengewehre geschnappt worden
waren. Schade. So glücklich Eldad während der ersten Tage nach dem erfolgreichen
Streich auch gewesen war
– so dankbar er dem Glück dafür war, dass er jetzt die Vertei-
digung von Orten vorbereiten konnte, die sonst hätten geräumt werden müssen … froh
war er dieses ersten Teilerfolges doch nicht geworden. Zu schwer empfand er die erdrü-
ckende Übermacht der Araber, die hoffnungslose Vereinsamung der Juden Palästinas.
Froh wurde er überhaupt nicht mehr seit seiner Rückreise aus Tel Aviv. Seit der
Stunde, da ihm angesichts der Armenhäuser der Jaffastraße die Erkenntnis von der
Möglichkeit einer Eroberung des Landes mit den Massen der jüdischen Elendsländer
gekommen war, war er verwandelt. Er gehörte nicht mehr sich selbst. Er war wir beses-
sen von seinem Gedanken.
An den langen Winterabenden, wo er mit Hanna in der Küche ihres Hauses saß,
während in einer Ecke die alte Frau Asriel strickte oder nähte, war er düster und
schweigsam. Vergebens versuchte Hanna, ihn aus seinen Gedanken zu reißen. Verge-
bens ermunterte ihn die Mutter : »Sei lustig, mein Junge. Junge Leute dürfen nicht den
Kopf hängen lassen. Du hast doch keine Ursache zu Sorgen …«
Dann seufzte Eldad tief und antwortete : »Oh ja, Frau Asriel, ich habe Sorgen,
schwere Sorgen. Ich mache mir Sorgen um die Juden.«
»Das ist doch nicht deine Sache, Herr Eldad«, warf ihm die alte Frau vor, während
Hanna ihn heimlich streichelte. »Dafür sind doch andere Leute da, die Führer des Vol-
kes. Die Rabbonim138 oder die Führer der Zionisten, Weizmann oder Brandeis oder wie
diese Leute alle heißen. Was kannst denn du tun, du Armer, und was kannst du helfen,
wenn du dich sorgst ? Lasse die Sorgen anderen und lasse den Heiligen im Himmel über
sein Volk wachen. ER weiß am besten, was uns Not tut.«
Eldad schwieg bei solch gutgemeintem Zuspruch. War er aber allein mit Hanna,
dann kam es wohl vor, dass er sich zu ihren Füßen auf eine der niederen arabischen
Strohschemel setzte, seinen Kopf an die Knie seiner Braut schmiegte und mit gedämpf-
ter Stimme zu erzählen begann. Dass er das Vertrauen zu den Führern verloren habe.
Dass niemand weiter schaue als bis zur nächsten, allernächsten Aufgabe. Woher das
Geld komme, um das zu erhalten, was schon bestehe, und die Mittel, um zu verbes-
sern, zu erweitern, auszubauen. Dass aber niemand an die großen Fragen der Zukunft
denke, an die Millionen von Arabern, denen man Millionen von Juden gegenüberstellen
müsse, und an die Bedürfnisse, die eine solche riesige Aufgabe erforderte. Und von den
138 Rabbonim (Plural von Row) : Schriftgelehrte, Rabbiner.
Publikation im Sinne der CC-Lizenz BY 4.0
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Wolfgang von Weisl
Schauspiel und Roman im Zeichen des modernen politischen Zionismus
Erlöser - Der Anfang der Wandlung Israels
- Titel
- Wolfgang von Weisl
- Untertitel
- Schauspiel und Roman im Zeichen des modernen politischen Zionismus
- Herausgeber
- Dietmar Goltschnigg
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Datum
- 2020
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-21056-6
- Abmessungen
- 17.4 x 24.5 cm
- Seiten
- 362
- Kategorie
- Biographien
Inhaltsverzeichnis
- Vorwort 7
- Abkürzungen und Zitierweise 11
- A. Kontexte, Aspekte, Kommentare 13
- Erlöser 13
- Einbürgerung Wolfgang von Weisls in British Palestine 22
- Arnold Zweig: De Vriendt kehrt heim … 23
- Der Anfang der Wandlung Israels 28
- B. Wolfgang von Weisl 51
- Erlöser. Ein ernstes Spiel von letzten Dingen 51
- C. Wolfgang von Weisl 143
- Der Anfang der Wandlung Israels. Roman 143
- D. Anhang 335
- 1. Zeittafel 335
- 2. Biographische Daten 341
- 3. Sachen, Begriffe, Orte, Glossar 346
- 4. Bibliographie 353
- 5. Personenregister 355