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Der Anfang der Wandlung Israels 269
scher Arbeiter führt ein armseliges Leben in Palästina und sichert dadurch sich und die
Zukunft seines Volkes vor dem Untergang, als dass er in Europa oder Asien als Paria in
ständiger Furcht vor Pogromen lebt, während die Juden in Palästina als armselige Min-
derheit von der Gnade der Araber und der Gunst der Engländer abhängen.«
»So, das ist Ihre Meinung, Herr Eldad. Und jetzt hören Sie die meine : Der jüdische
Arbeiter in Polen oder der Ukraine oder im Jemen wird, wenn er dort unterdrückt wird,
ein Soldat der Weltrevolution, aber nie, nie, nie wird das jüdische Proletariat untergehen.
Nicht in Europa und nicht in Asien. In Palästina aber wird mir schlimmstenfalls eine
kleine sozialistische jüdische Siedlung, wie wir sie heute schon haben und wir sie mit
Solel Boneh und Gewerkschaft trotz allem noch weiter ausbauen werden, lieber sein,
selbst wenn sie schließlich in einem arabischen Palästina liegen sollte, als ein jüdisches
Nationalheim mit bürgerlicher sozialreaktionärer Mehrheit ! Ein arabisches Palästina
wäre ein Unglück, ein jüdisches kapitalistisches Palästina aber wäre eine Schande, die
ich nicht erleben will.« Kazprin fasste sich. Er wurde hochmütig. »Da nehmen Sie Ihr
Memorandum, Herr Schu’al. Ich habe nicht die Absicht, mich länger mit Ihnen darüber
zu unterhalten. Es ist mir angenehm, dass ich weiß, was im Kopfe meines Sekretärs vor
sich geht.« Er sah auf die Uhr.
Eldad nahm die Papiere an sich und blickte dabei Kazprin mit solchem Ekel an, dass
der Arbeiterführer langsam errötete. »Ich bin nicht länger Ihr Sekretär. Das, was Sie
tun, ist Verrat am jüdischen Volke. Mit Verrätern kann ich nicht zusammenarbeiten.«
Er klingelte, der Schamasch kam so schnell, dass Kazprin und Eldad wussten, er habe
vor der Tür gelauscht – sie hatten beide laut genug geschrien, dass ihre Stimmen durch
das dünne Holz gedrungen sein mochten. Kazprin ärgerte sich darüber, Eldad lachte
laut auf.
»Pack’ meine Sachen zusammen, Elieser«, sagte Eldad dem Diener, »und bring sie
mir in meine Wohnung. Ich kann nicht länger mit diesem Menschen zusammen blei-
ben.« Er wies anklagend mit dem Finger auf Kazprin, der in die Höhe fuhr. Ehe der
Arbeiterführer aber noch antworten konnte, hatte Eldad die Tür hinter sich ins Schloss
geworfen. Er stieg langsam, die Hände in die Taschen vergraben, die Stiege hinunter.
Verließ das Haus, in das er mit so großen Hoffnungen vor einem halben Jahr eingetreten
war. Er wusste, dass er seine Schlacht verloren hatte : die Schlacht gegen die Partei-
maschine, eine Schlacht, die wichtiger war als selbst ein Sieg bei dem Pogrom, den die
Araber bald verüben würden.
Langsam wanderte Eldad durch die Felder vor der Stadt, ging auf einem großen
Umweg nach Hause. Ehe er Hanna sprach, musste er sich klar werden, welchen Weg er
jetzt einschlagen müsse, um seinen Plan zu verwirklichen. Den Kampf aufgeben ? Auf
das jüdische Reich verzichten ? … Eldad dachte nicht daran. Wie er durch den hellen
Febertag schritt, die jungen Lerchen im Sonnenblau jubeln hörte, die Anemonen sah,
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Wolfgang von Weisl
Schauspiel und Roman im Zeichen des modernen politischen Zionismus
Erlöser - Der Anfang der Wandlung Israels
- Titel
- Wolfgang von Weisl
- Untertitel
- Schauspiel und Roman im Zeichen des modernen politischen Zionismus
- Herausgeber
- Dietmar Goltschnigg
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Datum
- 2020
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-21056-6
- Abmessungen
- 17.4 x 24.5 cm
- Seiten
- 362
- Kategorie
- Biographien
Inhaltsverzeichnis
- Vorwort 7
- Abkürzungen und Zitierweise 11
- A. Kontexte, Aspekte, Kommentare 13
- Erlöser 13
- Einbürgerung Wolfgang von Weisls in British Palestine 22
- Arnold Zweig: De Vriendt kehrt heim … 23
- Der Anfang der Wandlung Israels 28
- B. Wolfgang von Weisl 51
- Erlöser. Ein ernstes Spiel von letzten Dingen 51
- C. Wolfgang von Weisl 143
- Der Anfang der Wandlung Israels. Roman 143
- D. Anhang 335
- 1. Zeittafel 335
- 2. Biographische Daten 341
- 3. Sachen, Begriffe, Orte, Glossar 346
- 4. Bibliographie 353
- 5. Personenregister 355