Seite - 270 - in Wolfgang von Weisl - Schauspiel und Roman im Zeichen des modernen politischen Zionismus
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270 C. Wolfgang von Weisl
die rot und sanft sich gegen seinen Fuß schmiegten, da fühlte er sich wohler als seit
vielen Wochen des Wartens. Er fühlte sich stark genug, allein den Kampf zu wagen, um
sein Volk zu retten. Allein ? – er lächelte. Allein nicht. Er hatte ja seine Hanna. Mit ihr
gemeinsam würde er den Weg gehen, und er würde siegen. Denn zum Schluss siegen
immer die Vernunft und der Wille und die Jugend.
»Und die Liebe«, ergänzte er nach einer Weile, leise vor sich hinsprechend. Eldad
dachte dabei aber nicht an die Liebe zu Hanna, sondern an die tiefere, heißere Liebe zu
jenem namenlosen, elenden Etwas, das jüdische Masse hieß und jüdisches Land …
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E s war lange nach Mittag, als Eldad nach Hause kam. Er gehörte zu jenen
Men-schen,
die nur selten einen Plan in Ruhe, am Schreibtisch, auszuarbeiten und durch
Überlegungen des Für und Wider reifen zu lassen verstehen. Im Freien, auf einem
stundenlangen Marsch, durch den Rhythmus der gleichmäßig ausschreitenden starken
Schenkel irgendwie, irgendwas ins Schwingen gebracht, springen plötzlich Gedanke
und Entschluss fertig und bis ins Einzelne geordnet aus dem Gehirn dieser Naturen,
die nur zu raschen, blitzartigen Entscheidungen fähig sind, so wie Minerva gerüstet aus
dem Haupte Jupiters sprang.147
Als Eldad die Tür seines Zimmers im kleinen Hause in Ohel Mosheh öffnete, war er
angenehm ermattet von dem langen Marsch und herrlich ruhig. Der Streit mit Kazprin
lag so weit hinter ihm, als sei er fast nicht mehr wahr. Und vor ihm war sein neues Ziel,
der neue Kampf für die Masseneinwanderung des jüdischen Proletariats – des wahren
Proletariats der verelendeten Massen : Eine neue Arbeiterorganisation wird er schaffen,
zum Kampf gegen die Maschine Kazprins.
Im Schlafzimmer begrüßte ihn Harzwi, auf seinem Bett liegend, und wies begeistert
auf einen Haufen bunter Seidenlappen am Boden. »Fein, dass du heute so zeitig heim-
kommst. Weißt du, wir müssen unbedingt alle zusammen nach Tel Aviv fahren, zum
Maskenball. Heute ist der zwölfte Adar – wir bleiben heute und morgen dort, machen
uns einen Feiertag. Purim, Purim !«
Zwölfter Adar
– Purim
– einen Herzschlag lang erstarrte etwas in Eldad. Vor einem
Jahr fiel Trumpeldor, und heute werden seine Kameraden in Tel Aviv Fastnacht feiern !
Drüben beim Mufti Al-Husseini wird heute der Emir Farughi zum Pogrom hetzen,
und hier werden die Juden tanzen, werden sich mit lechzendem Lebensdurst in den
147 In der römischen Mythologie sprang Minerva, die Göttin der Weisheit und der Kriegsführung, bei
ihrer Geburt in voller Rüstung aus dem von Vulkanos gespaltenen Haupt Jupiters, nachdem dieser
die von ihm geschwängerte Titanfrau Metis verschlungen hatte.
Publikation im Sinne der CC-Lizenz BY 4.0
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Wolfgang von Weisl
Schauspiel und Roman im Zeichen des modernen politischen Zionismus
Erlöser - Der Anfang der Wandlung Israels
- Titel
- Wolfgang von Weisl
- Untertitel
- Schauspiel und Roman im Zeichen des modernen politischen Zionismus
- Herausgeber
- Dietmar Goltschnigg
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Datum
- 2020
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-21056-6
- Abmessungen
- 17.4 x 24.5 cm
- Seiten
- 362
- Kategorie
- Biographien
Inhaltsverzeichnis
- Vorwort 7
- Abkürzungen und Zitierweise 11
- A. Kontexte, Aspekte, Kommentare 13
- Erlöser 13
- Einbürgerung Wolfgang von Weisls in British Palestine 22
- Arnold Zweig: De Vriendt kehrt heim … 23
- Der Anfang der Wandlung Israels 28
- B. Wolfgang von Weisl 51
- Erlöser. Ein ernstes Spiel von letzten Dingen 51
- C. Wolfgang von Weisl 143
- Der Anfang der Wandlung Israels. Roman 143
- D. Anhang 335
- 1. Zeittafel 335
- 2. Biographische Daten 341
- 3. Sachen, Begriffe, Orte, Glossar 346
- 4. Bibliographie 353
- 5. Personenregister 355