Seite - 279 - in Wolfgang von Weisl - Schauspiel und Roman im Zeichen des modernen politischen Zionismus
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Der Anfang der Wandlung Israels 279
bei Frau Asriel eine Tasse Tee zu trinken und etwas von den eingemachten FrĂĽchten
zu essen. Ihre hohen Stöckelschuhe klickten unternehmungslustig unter dem winzi-
gen Sonnenschirm hervor. Die kleine Tänzerin war selig darüber, hier in Jerusalem eine
Verwandte, eine richtige fromme Verwandte gefunden zu haben, mit der sie plaudern
konnte, wenn Prinz Farughi sie allein lieĂź, was er jetzt meistens tat.
Sie hatte ein so kummervolles Herz, die kleine Tänzerin. Ihr Vater war gestorben,
ohne ihr verziehen zu haben, dass sie aus der Alliance-Schule weggelaufen war. Und
wenn auch das Tanzen keine SĂĽnde ist und vielleicht nicht einmal das KĂĽssen, darĂĽber
war sie sich nicht ganz klar ; leben muss einmal ein jeder Mensch, nicht wahr ? – den
Vater zu erzĂĽrnen, war sicher eine schwere SĂĽnde. Und wenn der Vater ohne Verzeihung
starb, dann musste Gott sehr, sehr böse sein. Und die Tänzerin weinte deshalb vor der
Klagemauer und gab Almosen und schenkte und tat BuĂźe.
Das alles erzählte sie natürlich der neuen Tante nicht so rückhaltlos. Nur dass der
Vater tot war und dass sie fĂĽr ihn hier in Jerusalem betete und dass sie dann zurĂĽck nach
Kairo muss, wo ihre Leute lebten. Das genĂĽgte auch der Wissbegier Frau Asriels. Bei
einer JĂĽdin, die betet, wird sie doch nicht misstrauisch sein. Und dannÂ
– dann schwang
noch ein kleiner, versteckter Gedanke in ihrem klugen Herzen mit. Wenn Eldad diese
bildhübsche, elegante Frau sehen wird, diese Europäerin, die doch besser zu ihm passen
musste als Hanna, vielleicht …
Doktor Gutkowski interessierte sich für Hanna, er wäre als Schwiegersohn tausend-
mal besser. Vielleicht hat Gott in seiner GĂĽte ihr diese nette, kleine Frau in den Weg
geschickt, als sie ihn um Rat und Hilfe gebeten hat. Jetzt am Purim.
Und so kam es, dass Frau Asriel und Mademoiselle Antabi zusammen in die KĂĽche
des Hauses in Ohel Mosheh eintraten, wo Eldad in seiner Uniform stand und gerade
den blankgewordenen Säbel umschnallte. Hanna flog der Mutter entgegen, ohne den
Gast sogleich zu bemerken : »Mutter, wir wollen nach Tel Aviv fahren, Purim feiernÂ
…«,
sie brach ab, für einen Augenblick verlegen, sah das junge Mädchen an, das hinter ihrer
Mutter eintrat. Frau Asriel lächelte. »Eine neue Kusine aus Frankreich ist angekommenÂ
–
Fräulein LiaÂ
– Lia Antabi. Meine Tochter Hanna, Herr Schu’al, Herr HarzwiÂ
…«, stellte
sie das Mädchen mit der Würde einer alten Spaniolin vor, näherte sich dann Schu’al und
lachte mit leiser Bewunderung : »Simson ! Simson ! Was habe ich immer gesagt Hanna ?
Wird der ein braver Beamter werden ? Wird der bei Kazprin bleiben ?«
Sie berührte mit den Fingerspitzen das Tuch des Waffenrocks, während Eldad är-
gerlich die Brauen zusammenzog. Eigentlich hätte er Hanna erzählen müssen, dass er
gekĂĽndigt hatte. Er hatte ganz daran vergessenÂ
– aber als er sah, mit welcher Angst und
Trauer das blasse Gesicht Hannas zu der alten Frau aufsah, da war er zufrieden, dass er
geschwiegen hatte. Heute und morgen will er lustig sein und Purim ungehemmt feiern ;
ĂĽbermorgen ist Zeit genug fĂĽr unangenehme Gedanken !
Publikation im Sinne der CC-Lizenz BY 4.0
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Wolfgang von Weisl
Schauspiel und Roman im Zeichen des modernen politischen Zionismus
Erlöser - Der Anfang der Wandlung Israels
- Titel
- Wolfgang von Weisl
- Untertitel
- Schauspiel und Roman im Zeichen des modernen politischen Zionismus
- Herausgeber
- Dietmar Goltschnigg
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Datum
- 2020
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-21056-6
- Abmessungen
- 17.4 x 24.5 cm
- Seiten
- 362
- Kategorie
- Biographien
Inhaltsverzeichnis
- Vorwort 7
- AbkĂĽrzungen und Zitierweise 11
- A. Kontexte, Aspekte, Kommentare 13
- Erlöser 13
- EinbĂĽrgerung Wolfgang von Weisls in British Palestine 22
- Arnold Zweig: De Vriendt kehrt heim … 23
- Der Anfang der Wandlung Israels 28
- B. Wolfgang von Weisl 51
- Erlöser. Ein ernstes Spiel von letzten Dingen 51
- C. Wolfgang von Weisl 143
- Der Anfang der Wandlung Israels. Roman 143
- D. Anhang 335
- 1. Zeittafel 335
- 2. Biographische Daten 341
- 3. Sachen, Begriffe, Orte, Glossar 346
- 4. Bibliographie 353
- 5. Personenregister 355