Seite - 282 - in Wolfgang von Weisl - Schauspiel und Roman im Zeichen des modernen politischen Zionismus
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282 C. Wolfgang von Weisl
die er von Zeit zu Zeit an sich presste, um zu verhindern, dass sie bei einer raschen
Schwenkung des Wagens zu sehr geschleudert würden.
Rechts von ihm saß Hanna, froh erregt, wie Eldad sie noch nie gesehen hatte. Sie
lachte über den kleinsten seiner Scherze, sah ihn fast ununterbrochen strahlend und
glücklich an, presste seine Hand zwischen ihren Fingern und lehnte sogar ihre Wange
an seine Schulter, obwohl fremde Menschen es sehen mussten.
Zur Linken Eldads saß das Mädchen Harzwis. Ein kräftiges, junges Ding von acht-
zehn, höchstens neunzehn Jahren, blond, blauäugig, wie Harzwi sie geschildert hatte,
mit kussbereiten, roten Lippen und scharfen, weißen Zähnen, die sie gern zeigte, wenn
sie mit Hanna um die Wette lachte und schrie. Sie sprach kaum ein paar Worte he-
bräisch, gerade das notdürftigste, verstand nicht Jiddisch, nicht Russisch, nicht Spa-
niolisch
– es war ein wenig anstrengend für Eldad, ihr alles ins Deutsche zu übersetzen,
was er, Lia und Hanna redeten. Aber ihre kindliche Freude über die nächtliche Gebirgs-
landschaft, durch die sie fuhren, über den hellen, fast vollen Mond, über die klare, reine
Luft lohnten ihm seine Mühe.
»Höre, Bachura«, sagte Eldad plötzlich und sah sie an. »Du bist so – so komisch, so
anders. Du bist gar nicht wie eine richtige Jüdin.«
»Bin ich auch nicht«, lachte sie und presste sich mit einem fröhlichen, kleinen Schrei
gegen ihn, während das Auto mit einem mächtigen Schwung über einen kleinen Gra-
ben setzte, den der letzte Regenguss quer über die Straße gezogen hatte. »Bin ich auch
nicht, mein Vater hat sich taufen lassen, um als Richter in Böhmen rascher zu avancie-
ren, und hat dann eine getaufte Jüdin geheiratet. Also wenn ich nicht reinrassige Arierin
bin, wer dann … ?«
Eldad lachte das Mädel an ; sie gefiel ihm, und er gab ihr einen kameradschaftlichen
Druck auf die Schulter. »Und wie kommst du dann zu uns Wilden nach Palästina ?«,
fragte er, nachdem er für Hanna und Lia, die neugierig, so gut es ging, zuhörten, die
Antwort der Blonden übersetzt hatte.
Das Mädchen wurde ernster. Hella Körner hieß sie, erzählte sie ; ihr Vater hatte zwar
früher das jüdische Adelsprädikat »Kohn« geführt170, da er aber als fortschrittlicher
Mann auf Adel keinen Wert legte, hatte er diesen Titel der Priester und Söhne Aharons
abgelegt und sich bescheiden Körner genannt. Hella selbst wurde natürlich als Deut-
sche erzogen.
Da gründeten die Jüdinnen ihrer Gymnasial-Klasse einen Wanderbund »Blau-
Weiß«171 und die Christinnen gleichzeitig eine Sektion der »Wandervögel«. Zuerst
170 Kohanim (Plural von Kohen) : Gruppe der Leviten, die im Tempel priesterliche Funktionen aus-
übten, gelten als direkte Nachfahren von Aaron, dem Bruder des Moses.
171 »Blau-Weiß« : Jüdischer Wanderbund, dem in Wien auch WvW begeistert angehörte.
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Wolfgang von Weisl
Schauspiel und Roman im Zeichen des modernen politischen Zionismus
Erlöser - Der Anfang der Wandlung Israels
- Titel
- Wolfgang von Weisl
- Untertitel
- Schauspiel und Roman im Zeichen des modernen politischen Zionismus
- Herausgeber
- Dietmar Goltschnigg
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Datum
- 2020
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-21056-6
- Abmessungen
- 17.4 x 24.5 cm
- Seiten
- 362
- Kategorie
- Biographien
Inhaltsverzeichnis
- Vorwort 7
- Abkürzungen und Zitierweise 11
- A. Kontexte, Aspekte, Kommentare 13
- Erlöser 13
- Einbürgerung Wolfgang von Weisls in British Palestine 22
- Arnold Zweig: De Vriendt kehrt heim … 23
- Der Anfang der Wandlung Israels 28
- B. Wolfgang von Weisl 51
- Erlöser. Ein ernstes Spiel von letzten Dingen 51
- C. Wolfgang von Weisl 143
- Der Anfang der Wandlung Israels. Roman 143
- D. Anhang 335
- 1. Zeittafel 335
- 2. Biographische Daten 341
- 3. Sachen, Begriffe, Orte, Glossar 346
- 4. Bibliographie 353
- 5. Personenregister 355