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Der Anfang der Wandlung Israels 283
wanderte sie natürlich mit den Wandervögeln. Dann begleitete sie einige Male die Jü-
dinnen ; es war netter, interessanter, die ganze Stimmung war anders, problembeschwer-
ter. Immer öfter kam sie, immer öfter sang sie : »Dort wo die Zeder schlank die Wolken
küsst«172, bis sie einmal halb lachend, halb ernst einem der Jungen sagte : »Schade, dass
ich nicht immer bei euch bleiben kann. Schade, dass ich keine Jüdin bin.«
»Du bist aber doch Jüdin«, hatte der Junge ihr erstaunt geantwortet. »Getauft, leider,
aber deshalb bist du doch Jüdin. Dein Vater hat früher Kohn geheißen, und deine Mut-
ter ist eine geborene Schlesinger aus Proßnitz.«173
Wortlos hatte sie sich umgedreht, war nach Hause marschiert. Allein.
Als sie mit dem Gymnasium fertig war, brannte sie durch, nahm einen Posten als
Dienstmädchen an, trat zum Judentum über, und als die ersten Einreisebewilligungen
für Böhmen verteilt wurden, fuhr sie »herüber«.
Die Eltern ?
– Diese hat sie seit mehr als zwei Jahren nicht mehr gesehen ; hat ihnen
seit einem Jahr nicht geschrieben.
Es klang ganz einfach, was Hella Körner von ihrem Weg zum Judentum erzählte.
Eldad freute sich : Aus solchen Menschen besteht unser Volk ! dachte er. Aus solchen
verschütteten Quellen bricht der neue Strom unseres Lebens.
Hanna hatte für die mächtige und doch unfassbare Kraft, die dieses verlorene Kind
seines Stammes in die Heimat zurückgeführt hatte, weniger Verständnis. Sie sah in ihr
nur das Abenteuerliche, das sich gegen die Gesetze der Umwelt in überflüssig starker
Auflehnung stellte. Er war ein Mann, und Männern ziemt Trotz und Stärke, aber bei
Hella ?
So gut es der unbequeme Sitz und das Mondlicht erlaubten, musterte sie nochmals
und nachdrücklicher das frische, lebhafte gerötete Gesicht der jungen Böhmin und
fragte dann auf Spaniolisch, das Hella nicht verstand : »Eldad, gefällt sie dir ?«
Eldad bejahte energisch : ein prächtiges Mädchen, mutig und entschlossen, wollte
Gott, ihresgleichen wären tausende im Volk !
Etwas verdrießlich lehnte Hanna sich zurück : »Siehst du nicht, dass sie eine Aben-
teurerin ist ? Sie ist exzentrisch – wenn sie nach Palästina fahren will, muss sie doch
nicht gleich mit ihrem Vater böse sein und gerade Dienstmädchen werden. Dienstmäd-
chen ! Lächerlich ! Hoffentlich fällt Harzwi nicht auf sie herein und verliebt sich in sie.
Es wäre schade um den braven Juden !«
172 Lied der Zeder : verfasst 1885 von dem Lemberger Zionisten Itzhak Feld (1862–1922), 1914 im
Blau-Weiß-Liederbuch abgedruckt.
173 Proßnitz/Prostějov (jidd.: Prostich) : Bezirksstadt unweit von Brünn, im 18. Jahrhundert zweit-
größte jüdische Gemeinde Mährens.
Publikation im Sinne der CC-Lizenz BY 4.0
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Wolfgang von Weisl
Schauspiel und Roman im Zeichen des modernen politischen Zionismus
Erlöser - Der Anfang der Wandlung Israels
- Titel
- Wolfgang von Weisl
- Untertitel
- Schauspiel und Roman im Zeichen des modernen politischen Zionismus
- Herausgeber
- Dietmar Goltschnigg
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Datum
- 2020
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-21056-6
- Abmessungen
- 17.4 x 24.5 cm
- Seiten
- 362
- Kategorie
- Biographien
Inhaltsverzeichnis
- Vorwort 7
- Abkürzungen und Zitierweise 11
- A. Kontexte, Aspekte, Kommentare 13
- Erlöser 13
- Einbürgerung Wolfgang von Weisls in British Palestine 22
- Arnold Zweig: De Vriendt kehrt heim … 23
- Der Anfang der Wandlung Israels 28
- B. Wolfgang von Weisl 51
- Erlöser. Ein ernstes Spiel von letzten Dingen 51
- C. Wolfgang von Weisl 143
- Der Anfang der Wandlung Israels. Roman 143
- D. Anhang 335
- 1. Zeittafel 335
- 2. Biographische Daten 341
- 3. Sachen, Begriffe, Orte, Glossar 346
- 4. Bibliographie 353
- 5. Personenregister 355