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Der Anfang der Wandlung Israels 297
»Ich versuchte, das Kazprin klar zu machen. Ich gab ihm eine Denkschrift über die
Gefahr. Du verstehst : Solange keine Juden in Palästina einwandern, ist die Gefahr von
Unruhen seitens der Araber nicht groß ; sie brauchen uns wenigstens vorläufig noch für
ihre Wirtschaft. Wenn andererseits viele Juden einwandern, wenn schließlich ein Jude
auf zwei oder selbst auf drei Araber kommt, dann gibt es auch keine Gefahr von Un-
ruhen mehr, denn dann sind wir stark genug, uns zu verteidigen. Gefährlich ist nur die
Zwischenzeit – du verstehst ? Die Zeitspanne, wo unserer zu viele ins Land kommen,
um unbemerkt geduldet zu bleiben, und wo wir doch noch zu schwach sind, um uns
unserer Feinde mit Sicherheit erwehren zu können. Du verstehst : Wenn wir Kosaken
ein offenes Feld unter feindlichem Feuer überqueren mussten, dann galoppierten wir
ventre à terre !190 Das ist der zweite Weg. Eile !«
»Und was hat das mit dir und Kazprin zu tun ?«, wiederholte Hanna geduldig.
»Das war es, was ich Kazprin vorschlug : Galopp ! Masseneinwanderung ! Appell an
die Juden aller Länder – steht auf, gebt nicht Spenden und nicht Almosen, sondern
packt eure Bündel und kommt, wandert nach Palästina ein. Ich hatte einen Plan aus-
gearbeitet in den letzten vier Monaten ; jeden Abend, wenn ich von dir ging, saß ich in
meinem Zimmer und arbeitete an der Denkschrift. Ich gab sie Kazprin, und er weigerte
sich. Er will nicht die jüdischen Massen, er will nur seine Parteifreunde, seine Partei-
garde im Lande haben. Er will Menschen, die ihm gehorchen – und sollte Palästina
darob arabisch bleiben.« Blutrot war Eldads Gesicht bei der Erinnerung geworden –
und seine Hände ballten sich, als sähe er Kazprins spöttisches, kluges Gesicht vor sich.
»Kazprin spielt den Cäsar. Lieber in einem winzigen Palästina der Erste als in einem
großen Judenstaat der Zweite.«
»Und was tatest du ?«, fragte Hanna zum dritten Mal.
»Ich sagte ihm, er sei ein Verräter
– ich weiß nicht mehr, was ich ihm außerdem noch
sagte. Dann packte ich meine Denkschrift und ging.« Eldad fiel das Gesicht Kazprins
ein, als der Diener ins Zimmer trat, und er lachte : »Ich glaube, ich habe ziemlich stark
gebrüllt. Man wird im ganzen Haus gehört haben, was ich Kazprin sagte, und daher
wird es auch dein Doktor erfahren haben.«
Hanna atmete tief auf. So war es wahr, was Gutkowski berichtet hatte. Eldad war
entlassen ; der mächtigste Mann der Zionistischen Exekutive war jetzt sein Todfeind.
Mit keinem Gedanken hatte Eldad an sie gedacht ; er hatte vier Monate neben ihr ge-
sessen, mit ihr über alles gesprochen, über Kazprin und den Solel Boneh, über die Zahl
der jüdischen Chaluzim, die in Europa warten, und über die Geburtenstatistik der Ara-
ber, bis sie geglaubt hatte, alles von ihm, alles über ihn zu wissen, und das Wichtigste
hatte er ihr verschwiegen, den ernstesten Schritt hatte er getan, ohne darüber zu spre-
190 ventre à terre (franz.) : »Bauch auf den Boden.«
Publikation im Sinne der CC-Lizenz BY 4.0
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Wolfgang von Weisl
Schauspiel und Roman im Zeichen des modernen politischen Zionismus
Erlöser - Der Anfang der Wandlung Israels
- Titel
- Wolfgang von Weisl
- Untertitel
- Schauspiel und Roman im Zeichen des modernen politischen Zionismus
- Herausgeber
- Dietmar Goltschnigg
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Datum
- 2020
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-21056-6
- Abmessungen
- 17.4 x 24.5 cm
- Seiten
- 362
- Kategorie
- Biographien
Inhaltsverzeichnis
- Vorwort 7
- Abkürzungen und Zitierweise 11
- A. Kontexte, Aspekte, Kommentare 13
- Erlöser 13
- Einbürgerung Wolfgang von Weisls in British Palestine 22
- Arnold Zweig: De Vriendt kehrt heim … 23
- Der Anfang der Wandlung Israels 28
- B. Wolfgang von Weisl 51
- Erlöser. Ein ernstes Spiel von letzten Dingen 51
- C. Wolfgang von Weisl 143
- Der Anfang der Wandlung Israels. Roman 143
- D. Anhang 335
- 1. Zeittafel 335
- 2. Biographische Daten 341
- 3. Sachen, Begriffe, Orte, Glossar 346
- 4. Bibliographie 353
- 5. Personenregister 355