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300 C. Wolfgang von Weisl
»Warum soll es Elend bedeuten, wenn ich Arbeiter werde ?«, erwiderte er endlich.
»Du verdienst ja im Gesundheitsamt deine fünfzehn Pfund monatlich – ich werde als
Arbeiter auch meine sechs oder sieben Pfund heimbringen und vielleicht mehr, wenn
ich später anfangen werde, Bücher zu schreiben. Das ist mehr, als wir brauchen, viel
mehr !«
»Du meinst, dass es richtig ist, wenn ich mehr verdiene als du, wenn eine Frau mehr
verdient als der Gatte ?«, starrte ihn Hanna fassungslos an. »Meine Mutter will nicht,
dass ich nach der Heirat überhaupt noch arbeite.«
Eldad verstand sie nicht : »Aber – wenn du doch siehst, dass ich eine große, heilige
Aufgabe vor mir habe. Dass ich meine ganze Kraft ihr widmen muss – verstehst du
denn nicht, dass mir ernst war, was ich dir damals sagte, als wir vom Pasteur-Institut
weggingen – dass ich mein Leben weggeschenkt habe ? Dass es dem Volk gehört und
dem Land, dass ich diesem armen, elenden Volk gehöre und nicht mir und nicht dir ?«
Hanna nickte bitter : »Gehen wir heim. Ich verstehe es zu gut, dass dein Leben nicht
mir gehört. Zu gut.«
Entsetzliche Angst ergriff Eldad. Er fühlte, dass die Geliebte ihm entglitt. Er fühlte,
dass er nie wieder einer Frau begegnen werde, die so harmonisch, so schön, so liebrei-
zend sein werde wie Hanna. Dass er Kazprin nicht hatte überzeugen können, verstand
er. Kazprin war ein Mann, und er wusste, dass er auf viele Männer aufreizend, zum Wi-
derspruch herausfordernd wirkte. Aber Hanna
– Hanna !
Heiß stieg ihm das Blut in die Schläfen, trieb dünne Schweißperlen aus der braunen
Haut seiner Stirn. Er riss die Lammfellmütze herab, so dass sein Haar voll und schön
im Licht des untergehenden Mondes erglänzte. Er warf die Mütze in den Sand, griff
beschwörend nach Hannas Arm, presste ihn an sich : »Und hältst du es für gering, mir
auf diesem Weg zu helfen ? Mir die Möglichkeit zu geben, zu den Massen zu sprechen,
die Arbeiter zu überzeugen, die Gewerkschaften zu erobern, indem du weiter arbeitest,
weiter verdienst für mich ? Ich weiß, ich muss mit Feindschaft rechnen – muss damit
rechnen, dass Kazprin befiehlt, mich zu boykottieren, dass ich Arbeitsstellen verliere,
wenn Kazprin erfährt, dass ich gegen ihn kämpfe – aber wenn du nur bei mir bleibst,
dann halte ich den Kampf aus und werde siegen ! Denke doch, Hanna, denke an die
Hunderttausenden Juden, die in Polen, Rumänien, Litauen, im Jemen, in Persien, in
Griechenland warten, zitternd warten, dass die Tore des Landes sich ihnen öffnen, die
Kazprin ihnen versperrt.«
»Warten sie, dass du, gerade du ihnen hilfst ?«, ergänzte Hanna ohne Bitterkeit. Viel-
leicht hast du Recht. Vielleicht ist das ein großes Ziel und eine heilige Aufgabe«, sprach
sie weiter, unbetont Wort nach Wort setzend, wie sie müde, langsam ihren Fuß Schritt
für Schritt durch den Dünensand zog. »Vielleicht hast du Recht. Vielleicht bist du ein
Führer des Volkes. Vielleicht wartet es wirklich auf dich. Aber ich bin ein einfaches
Publikation im Sinne der CC-Lizenz BY 4.0
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Wolfgang von Weisl
Schauspiel und Roman im Zeichen des modernen politischen Zionismus
Erlöser - Der Anfang der Wandlung Israels
- Titel
- Wolfgang von Weisl
- Untertitel
- Schauspiel und Roman im Zeichen des modernen politischen Zionismus
- Herausgeber
- Dietmar Goltschnigg
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Datum
- 2020
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-21056-6
- Abmessungen
- 17.4 x 24.5 cm
- Seiten
- 362
- Kategorie
- Biographien
Inhaltsverzeichnis
- Vorwort 7
- Abkürzungen und Zitierweise 11
- A. Kontexte, Aspekte, Kommentare 13
- Erlöser 13
- Einbürgerung Wolfgang von Weisls in British Palestine 22
- Arnold Zweig: De Vriendt kehrt heim … 23
- Der Anfang der Wandlung Israels 28
- B. Wolfgang von Weisl 51
- Erlöser. Ein ernstes Spiel von letzten Dingen 51
- C. Wolfgang von Weisl 143
- Der Anfang der Wandlung Israels. Roman 143
- D. Anhang 335
- 1. Zeittafel 335
- 2. Biographische Daten 341
- 3. Sachen, Begriffe, Orte, Glossar 346
- 4. Bibliographie 353
- 5. Personenregister 355