Seite - 302 - in Wolfgang von Weisl - Schauspiel und Roman im Zeichen des modernen politischen Zionismus
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302 C. Wolfgang von Weisl
Hanna sah mit tränenüberströmtem Gesicht zu ihm auf, dessen Lippen schmerzlich
zuckten, »deshalb bitte ich dich : geh weg von mir, lass’ mich allein ! Du wirst vielleicht
Führer deines Volkes werden – ich glaube nicht daran, ich glaube nicht, dass es dir fol-
gen wird, denn die Juden sind alle so schwach wie ich. Aber sicher wirst du ein Held
werden, von dem die Kinder in den Schulen voll Stolz und Liebe reden werden. Und
ich werde auch stolz auf dich sein, den Helden von Metulla, mein Eldad. Aber heiraten
kann ich dich nicht. Dein Leben teilen kann ich nicht.«
Sie weinte leise. Unaufhaltsam, unaufhörlich strömten Tränen aus ihren Augen, wie
ein stiller Fluss geräuschlos durch hohe Wiesen fließt. Ihr ganzes Wesen löste sich in
diesen Tränen auf, die unerträgliche Anspannung ihrer Nerven verwandelte sich in
sanften, fast wohltuenden Kummer.
Eldad streichelte mechanisch ihre Hand. Sein Herz war wie versteint. So hart, dass
er beinahe keinen Schmerz verspürte. Mein halbes Leben habe ich ihr gegeben – alle
meine Träume – alle meine Sehnsucht. Meinen Stolz wollte ich ihr zu Füßen legen.
Meinen Ehrgeiz ihr. Wenn ich Führer werden wollte, dann träumte ich von ihrem Bei-
fall, nur von ihrem. Der anderer kümmerte mich nie. Und sie glaubt nicht an mich.
Auch sie nicht. Glaubte sie – sie würde mir folgen. Aber sie glaubt nicht, sowenig wie
Kazprin glaubt. Ich bin ein Träumer. Ein Narr.
Dann sah er Hanna an. Streichelte zart die tränenfeuchte Rundung um Kinn und
Wange, wieder und wieder. Wehmut und Trauer, Liebe und Verzicht strömten aus sei-
nen Fingerspitzen auf die weiche Haut des Mädchens. Dann presste er seinen Mund
auf den ihren. Lange, lange, als hauche er seine ganze Seele, seine brennende, lodernde
Seele in den Körper der Geliebten, die ihm nicht gehören sollte. Riss sich los, schöpfte
tief Atem. Ordnete die Haare. Setzte die Pelzmütze auf.
Wortlos schritten die zwei jungen Menschen heimwärts. Vor der Tür ihrer Wohnung
reichte Hanna dem Geliebten ihre Hand : »Wir bleiben gute Freunde, ja ?«, versuchte sie
zu lächeln.
Eldad fasste ihre Finger und drückte sie wie traumverloren, ohne zu antworten. Die
Welt, die Zukunft, die er sich aufgebaut hatte, zerbrach in dieser Sekunde. Noch hatte er
auf ein anderes Wort gehofft.
Dann straffte er sich. Der Säbel klirrte gegen die Gartentür bei dieser Bewegung, und
das metallische Geräusch erinnerte ihn irgendwie an seine Uniform, an seine Offiziers-
erziehung. Und wie er es vor vier Jahren in Charkow getan hatte, schlug er die Sporen
zusammen, griff grüßend an die Mütze und neigte sich über die Hand Hannas : »Wir
bleiben Freunde, Hanna. Ich bleibe dein Freund !«
Publikation im Sinne der CC-Lizenz BY 4.0
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Buch Wolfgang von Weisl - Schauspiel und Roman im Zeichen des modernen politischen Zionismus"
Wolfgang von Weisl
Schauspiel und Roman im Zeichen des modernen politischen Zionismus
Erlöser - Der Anfang der Wandlung Israels
- Titel
- Wolfgang von Weisl
- Untertitel
- Schauspiel und Roman im Zeichen des modernen politischen Zionismus
- Herausgeber
- Dietmar Goltschnigg
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Datum
- 2020
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-21056-6
- Abmessungen
- 17.4 x 24.5 cm
- Seiten
- 362
- Kategorie
- Biographien
Inhaltsverzeichnis
- Vorwort 7
- Abkürzungen und Zitierweise 11
- A. Kontexte, Aspekte, Kommentare 13
- Erlöser 13
- Einbürgerung Wolfgang von Weisls in British Palestine 22
- Arnold Zweig: De Vriendt kehrt heim … 23
- Der Anfang der Wandlung Israels 28
- B. Wolfgang von Weisl 51
- Erlöser. Ein ernstes Spiel von letzten Dingen 51
- C. Wolfgang von Weisl 143
- Der Anfang der Wandlung Israels. Roman 143
- D. Anhang 335
- 1. Zeittafel 335
- 2. Biographische Daten 341
- 3. Sachen, Begriffe, Orte, Glossar 346
- 4. Bibliographie 353
- 5. Personenregister 355