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Der Anfang der Wandlung Israels 309
paar Wochen länger hat warten wollen. Dummkopf, der er war. Nein, er ist kein Führer,
kein Politiker. Kazprin ist ihm überlegen.
Steinberg ließ dem Freund Zeit, mit sich fertig zu werden. Fragte endlich so neben-
bei, scheinbar gleichgültig, in die Luft hinein : »Was willst du jetzt anfangen ? Willst du
zu mir in meine Kanzlei eintreten ? Es geht mir nicht schlecht, ich kann einen Sekretär
brauchen. Du kannst zugleich in der Rechts-Schule der Regierung inskribieren, wirst in
drei Jahren Advokat.«
Eldad schüttelte, aus seinen Gedanken geschreckt, den Kopf : »Ich werde zunächst
ausruhen. Ich bin«, er lächelte mühsam, »ich bin etwas müde, weißt du.« Er machte eine
Pause. »Von meinem Gehalt habe ich mir Geld erspart, genug, um zwei, drei Monate
warten zu können. Und dann will ich irgendwo Arbeiter werden. Wenn ihr nicht mit mir
zusammen gehen wollt, dann muss ich eben die neue Partei von unten her aufbauen.«
Steinberg seufzte. »Von unten aufbauen – das wird schwer sein. Aber höre. Ich rate
dir zu etwas anderem. Sprechen wir jetzt nicht von der Zukunft. Im Augenblick gibt es
eine einzige Aufgabe, die drängt. Der arabische Angriff. Bis der vorbei ist, werde statt
Arbeiter
– Schomér ! Wächter in einer der großen Kolonien, wo wir dich brauchen. Ein
Pferd zwischen den Knien, ein Gewehr über dem Sattel – so wirst du mehr leisten als
ein Arbeiter bei einem Haus- oder Straßenbau. So diene dem Land, wenn du nicht
Beamter oder Advokat sein willst. Auch so wirst du mit den Arbeitern leben, hast aber
freie Zeit für die Selbstwehr, mehr Freiheit und mehr Einfluss, als wenn du Taglöhner
wirst.«
Misstrauisch sah Eldad auf. »Vor einem Jahr wollte ich Schomér werden, du rietest
mir ab, brachtest mich zu Kazprin. Jetzt willst du, dass ich Schomér werde ?«
Steinberg drehte den Kopf so, dass Eldad sein Gesicht nicht sehen konnte, das trau-
rig war : »Vor einem Jahr hoffte ich, du würdest lernen, Führer zu werden. Eldad, wir
brauchen Führer, die Vorbilder sind, die unsere Jugend begeistern und unsere Alten
beraten. Die uns die Fahne vorantragen in der Stunde des Kampfes. Und nun sehe ich,
entweder dass du uns zu weit voraus bist – dann musst du warten, bis das Volk nach-
kommt, oder dass du zu jung und zu ungeduldig bist – dann musst du warten, bis du
selbst reif wirst. Aber während deines Wartens sollst du arbeiten und dienen. Und da du
einmal Soldat bist, sollst du uns als Soldat dienen.«
Wieder das Schweigen. Das lange Schweigen, in dem das gleichmäßige Klopfen des
Pulses das einzige Geräusch ist, das gehört wird. Dann reckte sich Eldad hoch, streckte
die Arme aus und wölbte die Brust, tief einatmend. »Sei es, Genosse. Sei es ! Ich wollte
ein paar Monate ausruhen ; stattdessen werde ich mir ein Pferd kaufen und Wächter
werden. Schomér ! Ein jüdischer Kosak !« Er lachte in bitterem Selbstspott.
Steinberg blieb ernst und sachlich : »Zuerst mache die Inspektionsreise in die Ko-
lonien von Samaria, die du so lange angesagt hast. Wir haben keine guten Leute dort.
Publikation im Sinne der CC-Lizenz BY 4.0
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Wolfgang von Weisl
Schauspiel und Roman im Zeichen des modernen politischen Zionismus
Erlöser - Der Anfang der Wandlung Israels
- Titel
- Wolfgang von Weisl
- Untertitel
- Schauspiel und Roman im Zeichen des modernen politischen Zionismus
- Herausgeber
- Dietmar Goltschnigg
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Datum
- 2020
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-21056-6
- Abmessungen
- 17.4 x 24.5 cm
- Seiten
- 362
- Kategorie
- Biographien
Inhaltsverzeichnis
- Vorwort 7
- Abkürzungen und Zitierweise 11
- A. Kontexte, Aspekte, Kommentare 13
- Erlöser 13
- Einbürgerung Wolfgang von Weisls in British Palestine 22
- Arnold Zweig: De Vriendt kehrt heim … 23
- Der Anfang der Wandlung Israels 28
- B. Wolfgang von Weisl 51
- Erlöser. Ein ernstes Spiel von letzten Dingen 51
- C. Wolfgang von Weisl 143
- Der Anfang der Wandlung Israels. Roman 143
- D. Anhang 335
- 1. Zeittafel 335
- 2. Biographische Daten 341
- 3. Sachen, Begriffe, Orte, Glossar 346
- 4. Bibliographie 353
- 5. Personenregister 355