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»Und weisst du noch, oh Zarathustra? Als deine stillste Stunde kam und
dich von dir selber forttrieb, als sie mit bösem Flüstern sprach: Sprich und
zerbrich!« –
»- als sie dir all dein Warten und Schweigen leid machte und deinen
demüthigen Muth entmuthigte: Das war Verlassenheit!« –
Oh Einsamkeit! Du meine Heimat Einsamkeit! Wie selig und zärtlich redet
deine Stimme zu mir!
Wir fragen einander nicht, wir klagen einander nicht, wir gehen offen mit
einander durch offne Thüren.
Denn offen ist es bei dir und hell; und auch die Stunden laufen hier auf
leichteren Füssen. Im Dunklen nämlich trägt man schwerer an der Zeit, als im
Lichte.
Hier springen mir alles Seins Worte und Wort-Schreine auf: alles Sein will
hier Wort werden, alles Werden will hier von mir reden lernen.
Da unten aber – da ist alles Reden umsonst! Da ist Vergessen und
Vorübergehn die beste Weisheit: Das – lernte ich nun!
Wer Alles bei den Menschen begreifen wollte, der müsste Alles angreifen.
Aber dazu habe ich zu reinliche Hände.
Ich mag schon ihren Athem nicht einathmen; ach, dass ich so lange unter
ihrem Lärm und üblem Athem lebte!
Oh selige Stille um mich! Oh reine Gerüche um mich! Oh wie aus tiefer
Brust diese Stille reinen Athem holt! Oh wie sie horcht, diese selige Stille!
Aber da unten – da redet Alles, da wird Alles überhört. Man mag seine
Weisheit mit Glocken einläuten: die Krämer auf dem Markte werden sie mit
Pfennigen überklingeln!
Alles bei ihnen redet, Niemand weiss mehr zu verstehn. Alles fällt in’s
Wasser, Nichts fällt mehr in tiefe Brunnen.
Alles bei ihnen redet, Nichts geräth mehr und kommt zu Ende. Alles
gackert, aber wer will noch still auf dem Neste sitzen und Eier brüten?
Alles bei ihnen redet, Alles wird zerredet. Und was gestern noch zu hart
war für die Zeit selber und ihren Zahn: heute hängt es zerschabt und zernagt
aus den Mäulern der Heutigen.
Alles bei ihnen redet, Alles wird verrathen. Und was einst Geheimniss
hiess und Heimlichkeit tiefer Seelen, heute gehört es den Gassen-Trompetern
und andern Schmetterlingen.
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Buch Also sprach Zarathustra"
Also sprach Zarathustra
- Titel
- Also sprach Zarathustra
- Autor
- Friedrich Wilhelm Nietzsche
- Datum
- 1885
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- PD
- Abmessungen
- 21.0 x 29.0 cm
- Seiten
- 354
- Kategorie
- Geisteswissenschaften
Inhaltsverzeichnis
- Zarathustras Vorrede 2
- Teil 1 - Die Reden Zarathustras 19
- Von den drei Verwandlungen 20
- Von den Lehrstühlen der Tugend 22
- Von den Hinterweltlern 25
- Von den Verächtern des Leibes 28
- Von den Freuden- und Leidenschaften 30
- Vom bleichen Verbrecher 32
- Vom Lesen und Schreiben 34
- Vom Baum am Berge 36
- Von den Predigern des Todes 39
- Vom Krieg und Kriegsvolke 41
- Vom neuen Götzen 43
- Von den Fliegen des Marktes 46
- Von der Keuschheit 49
- Vom Freunde 51
- Von tausend und Einem Ziele 53
- Von der Nächstenliebe 55
- Vom Wege des Schaffenden 57
- Von alten und jungen Weiblein 60
- Vom Biss der Natter 63
- Von Kind und Ehe 65
- Vom freien Tode 67
- Von der schenkenden Tugend 70
- Teil 2 - Also sprach Zarathustra 75
- Das Kind mit dem Spiegel 77
- Auf den glückseligen Inseln 80
- Von den Mitleidigen 83
- Von den Priestern 86
- Von den Tugendhaften 89
- Vom Gesindel 92
- Von den Taranteln 95
- Von den berühmten Weisen 98
- Das Nachtlied 101
- Das Tanzlied 103
- Das Grablied 106
- Von der Selbst-Ueberwindung 109
- Von den Erhabenen 112
- Vom Lande der Bildung 115
- Von der unbefleckten Erkenntniss 118
- Von den Gelehrten 121
- Von den Dichtern 123
- Von grossen Ereignissen 126
- Der Wahrsager 130
- Von der Erlösung 134
- Von der Menschen-Klugheit 139
- Die stillste Stunde 142
- Teil 3 - Also sprach Zarathustra 145
- Der Wanderer 147
- Vom Gesicht und Räthsel 150
- Von der Seligkeit wider Willen 155
- Vor Sonnen-Aufgang 158
- Von der verkleinernden Tugend 161
- Auf dem Oelberge 167
- Vom Vorübergehen 170
- Von den Abtrünnigen 173
- Die Heimkehr 178
- Von den drei Bösen 182
- Vom Geist der Schwere 187
- Von alten und neuen Tafeln 191
- Der Genesende 222
- Von der großen Sehnsucht 228
- Das andere Tanzlied 231
- Die sieben Siegel 236
- Teil 4 - Also sprach Zarathustra 243
- Das Honig-Opfer 245
- Der Notschrei 248
- Gespräch mit den Königen 251
- Der Blutegel 256
- Der Zauberer 259
- Außer Dienst 267
- Der häßlichste Mensch 271
- Der freiwillige Bettler 276
- Der Schatten 280
- Mittags 283
- Die Begrüßung 286
- Das Abendmahl 291
- Vom höheren Menschen 293
- Das Lied der Schwermut 313
- Von der Wissenschaft 319
- Unter Töchtern der Wüste 322
- Die Erweckung 330
- Das Eselsfest 334
- Das trunkne Lied 339
- Das Zeichen 352