Seite - 185 - in Also sprach Zarathustra
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zu selbstgenugsamen Höhen steigt, glühend gleich einer Liebe, welche
purpurne Seligkeiten lockend an Erdenhimmel malt.
Herrschsucht: doch wer hiesse es Sucht, wenn das Hohe hinab nach Macht
gelüstet! Wahrlich, nichts Sieches und Süchtiges ist an solchem Gelüsten und
Niedersteigen!
Dass die einsame Höhe sich nicht ewig vereinsame und selbst begnüge;
dass der Berg zu Thale komme und die Winde der Höhe zu den
Niederungen: –
Oh wer fände den rechten Tauf- und Tugendnamen für solche Sehnsucht!
»Schenkende Tugend« – so nannte das Unnennbare einst Zarathustra.
Und damals geschah es auch, – und wahrlich, es geschah zum ersten Male!
– dass sein Wort die Selbstsucht selig pries, die heile, gesunde Selbstsucht, die
aus mächtiger Seele quillt: –
– aus mächtiger Seele, zu welcher der hohe Leib gehört, der schöne,
sieghafte, erquickliche, um den herum jedwedes Ding Spiegel wird:
– der geschmeidige überredende Leib, der Tänzer, dessen Gleichniss und
Auszug die selbst-lustige Seele ist. Solcher Leiber und Seelen Selbst-Lust
heisst sich selber: »Tugend.«
Mit ihren Worten von Gut und Schlecht schirmt sich solche Selbst-Lust wie
mit heiligen Hainen; mit den Namen ihres Glücks bannt sie von sich alles
Verächtliche.
Von sich weg bannt sie alles Feige; sie spricht: Schlecht – das ist feige!
Verächtlich dünkt ihr der immer Sorgende, Seufzende, Klägliche und wer
auch die kleinsten Vortheile aufliest.
Sie verachtet auch alle wehselige Weisheit: denn, wahrlich, es giebt auch
Weisheit, die im Dunklen blüht, eine Nachtschatten-Weisheit: als welche
immer seufzt: »Alles ist eitel!«
Das scheue Misstrauen gilt ihr gering, und Jeder, wer Schwüre statt Blicke
und Hände will: auch alle allzu misstrauische Weisheit, – denn solche ist
feiger Seelen Art.
Geringer noch gilt ihr der Schnell-Gefällige, der Hündische, der gleich auf
dem Rücken liegt, der Demüthige; und auch Weisheit giebt es, die demüthig
und hündisch und fromm und schnellgefällig ist.
Verhasst ist ihr gar und ein Ekel, wer nie sich wehren will, wer giftigen
Speichel und böse Blicke hinunterschluckt, der All-zu-Geduldige, Alles-
Dulder, Allgenügsame: das nämlich ist die knechtische Art.
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Buch Also sprach Zarathustra"
Also sprach Zarathustra
- Titel
- Also sprach Zarathustra
- Autor
- Friedrich Wilhelm Nietzsche
- Datum
- 1885
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- PD
- Abmessungen
- 21.0 x 29.0 cm
- Seiten
- 354
- Kategorie
- Geisteswissenschaften
Inhaltsverzeichnis
- Zarathustras Vorrede 2
- Teil 1 - Die Reden Zarathustras 19
- Von den drei Verwandlungen 20
- Von den Lehrstühlen der Tugend 22
- Von den Hinterweltlern 25
- Von den Verächtern des Leibes 28
- Von den Freuden- und Leidenschaften 30
- Vom bleichen Verbrecher 32
- Vom Lesen und Schreiben 34
- Vom Baum am Berge 36
- Von den Predigern des Todes 39
- Vom Krieg und Kriegsvolke 41
- Vom neuen Götzen 43
- Von den Fliegen des Marktes 46
- Von der Keuschheit 49
- Vom Freunde 51
- Von tausend und Einem Ziele 53
- Von der Nächstenliebe 55
- Vom Wege des Schaffenden 57
- Von alten und jungen Weiblein 60
- Vom Biss der Natter 63
- Von Kind und Ehe 65
- Vom freien Tode 67
- Von der schenkenden Tugend 70
- Teil 2 - Also sprach Zarathustra 75
- Das Kind mit dem Spiegel 77
- Auf den glückseligen Inseln 80
- Von den Mitleidigen 83
- Von den Priestern 86
- Von den Tugendhaften 89
- Vom Gesindel 92
- Von den Taranteln 95
- Von den berühmten Weisen 98
- Das Nachtlied 101
- Das Tanzlied 103
- Das Grablied 106
- Von der Selbst-Ueberwindung 109
- Von den Erhabenen 112
- Vom Lande der Bildung 115
- Von der unbefleckten Erkenntniss 118
- Von den Gelehrten 121
- Von den Dichtern 123
- Von grossen Ereignissen 126
- Der Wahrsager 130
- Von der Erlösung 134
- Von der Menschen-Klugheit 139
- Die stillste Stunde 142
- Teil 3 - Also sprach Zarathustra 145
- Der Wanderer 147
- Vom Gesicht und Räthsel 150
- Von der Seligkeit wider Willen 155
- Vor Sonnen-Aufgang 158
- Von der verkleinernden Tugend 161
- Auf dem Oelberge 167
- Vom Vorübergehen 170
- Von den Abtrünnigen 173
- Die Heimkehr 178
- Von den drei Bösen 182
- Vom Geist der Schwere 187
- Von alten und neuen Tafeln 191
- Der Genesende 222
- Von der großen Sehnsucht 228
- Das andere Tanzlied 231
- Die sieben Siegel 236
- Teil 4 - Also sprach Zarathustra 243
- Das Honig-Opfer 245
- Der Notschrei 248
- Gespräch mit den Königen 251
- Der Blutegel 256
- Der Zauberer 259
- Außer Dienst 267
- Der häßlichste Mensch 271
- Der freiwillige Bettler 276
- Der Schatten 280
- Mittags 283
- Die Begrüßung 286
- Das Abendmahl 291
- Vom höheren Menschen 293
- Das Lied der Schwermut 313
- Von der Wissenschaft 319
- Unter Töchtern der Wüste 322
- Die Erweckung 330
- Das Eselsfest 334
- Das trunkne Lied 339
- Das Zeichen 352