Seite - 278 - in Also sprach Zarathustra
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»Und warum ist es nicht bei den Reichen?« fragte Zarathustra versuchend,
während er den Kühen wehrte, die den Friedfertigen zutraulich anschnauften.
»Was versuchst du mich?« antwortete dieser. »Du weißt es selber besser
noch als ich. Was trieb mich doch zu den Ärmsten, o Zarathustra? War es
nicht der Ekel vor unsern Reichsten?
– vor den Sträflingen des Reichtums, welche sich ihren Vorteil aus jedem
Kehricht auflesen, mit kalten Augen, geilen Gedanken, vor diesem Gesindel,
das gen Himmel stinkt,
– vor diesem vergüldeten, verfälschten Pöbel, dessen Väter Langfinger
oder Aasvögel oder Lumpensammler waren, mit Weibern willfährig, lüstern,
vergeßlich – sie haben’s nämlich alle nicht weit zur Hure –
Pöbel oben, Pöbel unten! Was ist heute noch ›arm‹ und ›reich‹! Diesen
Unterschied verlernte ich – da floh ich davon, weiter, immer weiter, bis ich zu
diesen Kühen kam.«
Also sprach der Friedfertige und schnaufte selber und schwitzte bei seinen
Worten: also daß die Kühe sich von neuem wunderten. Zarathustra aber sah
ihm immer mit Lächeln ins Gesicht, als er so hart redete, und schüttelte dazu
schweigend den Kopf.
»Du tust dir Gewalt an, du Berg-Prediger, wenn du solche harte Worte
brauchst. Für solche Härte wuchs dir nicht der Mund, nicht das Auge.
Auch, wie mich dünkt, dein Magen selber nicht: dem widersteht all solches
Zürnen und Hassen und Überschäumen. Dein Magen will sanftere Dinge: du
bist kein Fleischer.
Vielmehr dünkst du mich ein Pflanzler und Wurzelmann. Vielleicht malmst
du Körner. Sicherlich aber bist du fleischlichen Freuden abhold und liebst den
Honig.«
»Du errietest mich gut«, antwortete der freiwillige Bettler mit erleichtertem
Herzen. »Ich liebe den Honig, ich malme auch Körner, denn ich suchte, was
lieblich mundet und reinen Atem macht:
– auch was lange Zeit braucht, ein Tag- und Maul-Werk für sanfte
Müßiggänger und Tagediebe.
Am weitesten freilich brachten es diese Kühe: die erfanden sich das
Wiederkäuen und In-der-Sonne-Liegen. Auch enthalten sie sich aller
schweren Gedanken, welche das Herz blähn.«
– »Wohlan!« sagte Zarathustra, »du solltest auch meine Tiere sehn, meinen
Adler und meine Schlange – ihresgleichen gibt es heute nicht auf Erden.
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Buch Also sprach Zarathustra"
Also sprach Zarathustra
- Titel
- Also sprach Zarathustra
- Autor
- Friedrich Wilhelm Nietzsche
- Datum
- 1885
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- PD
- Abmessungen
- 21.0 x 29.0 cm
- Seiten
- 354
- Kategorie
- Geisteswissenschaften
Inhaltsverzeichnis
- Zarathustras Vorrede 2
- Teil 1 - Die Reden Zarathustras 19
- Von den drei Verwandlungen 20
- Von den Lehrstühlen der Tugend 22
- Von den Hinterweltlern 25
- Von den Verächtern des Leibes 28
- Von den Freuden- und Leidenschaften 30
- Vom bleichen Verbrecher 32
- Vom Lesen und Schreiben 34
- Vom Baum am Berge 36
- Von den Predigern des Todes 39
- Vom Krieg und Kriegsvolke 41
- Vom neuen Götzen 43
- Von den Fliegen des Marktes 46
- Von der Keuschheit 49
- Vom Freunde 51
- Von tausend und Einem Ziele 53
- Von der Nächstenliebe 55
- Vom Wege des Schaffenden 57
- Von alten und jungen Weiblein 60
- Vom Biss der Natter 63
- Von Kind und Ehe 65
- Vom freien Tode 67
- Von der schenkenden Tugend 70
- Teil 2 - Also sprach Zarathustra 75
- Das Kind mit dem Spiegel 77
- Auf den glückseligen Inseln 80
- Von den Mitleidigen 83
- Von den Priestern 86
- Von den Tugendhaften 89
- Vom Gesindel 92
- Von den Taranteln 95
- Von den berühmten Weisen 98
- Das Nachtlied 101
- Das Tanzlied 103
- Das Grablied 106
- Von der Selbst-Ueberwindung 109
- Von den Erhabenen 112
- Vom Lande der Bildung 115
- Von der unbefleckten Erkenntniss 118
- Von den Gelehrten 121
- Von den Dichtern 123
- Von grossen Ereignissen 126
- Der Wahrsager 130
- Von der Erlösung 134
- Von der Menschen-Klugheit 139
- Die stillste Stunde 142
- Teil 3 - Also sprach Zarathustra 145
- Der Wanderer 147
- Vom Gesicht und Räthsel 150
- Von der Seligkeit wider Willen 155
- Vor Sonnen-Aufgang 158
- Von der verkleinernden Tugend 161
- Auf dem Oelberge 167
- Vom Vorübergehen 170
- Von den Abtrünnigen 173
- Die Heimkehr 178
- Von den drei Bösen 182
- Vom Geist der Schwere 187
- Von alten und neuen Tafeln 191
- Der Genesende 222
- Von der großen Sehnsucht 228
- Das andere Tanzlied 231
- Die sieben Siegel 236
- Teil 4 - Also sprach Zarathustra 243
- Das Honig-Opfer 245
- Der Notschrei 248
- Gespräch mit den Königen 251
- Der Blutegel 256
- Der Zauberer 259
- Außer Dienst 267
- Der häßlichste Mensch 271
- Der freiwillige Bettler 276
- Der Schatten 280
- Mittags 283
- Die Begrüßung 286
- Das Abendmahl 291
- Vom höheren Menschen 293
- Das Lied der Schwermut 313
- Von der Wissenschaft 319
- Unter Töchtern der Wüste 322
- Die Erweckung 330
- Das Eselsfest 334
- Das trunkne Lied 339
- Das Zeichen 352