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treuer?
Wie solch ein Schiff sich dem Lande anlegt, anschmiegt – da genügt’s, daß
eine Spinne vom Lande her zu ihm ihren Faden spinnt. Keiner stärkeren Taue
bedarf es da.
Wie solch ein mĂĽdes Schiff in der stillsten Bucht: so ruhe auch ich nun der
Erde nahe, treu, zutrauend, wartend, mit den leisesten Fäden ihr angebunden.
O GlĂĽck! O GlĂĽck! Willst du wohl singen, o meine Seele? Du liegst im
Grase. Aber das ist die heimliche feierliche Stunde, wo kein Hirt seine Flöte
bläst.
Scheue dich! Heißer Mittag schläft auf den Fluren. Singe nicht! Still! Die
Welt ist vollkommen.
[514] Singe nicht, du Gras-GeflĂĽgel, o meine Seele! FlĂĽstere nicht einmal!
Sieh doch – still! der alte Mittag schläft, er bewegt den Mund: trinkt er nicht
eben einen Tropfen Glücks –
– einen alten braunen Tropfen goldenen Glücks, goldenen Weins? Es
huscht über ihn hin, sein Glück lacht. So – lacht ein Gott. Still! –
– ›Zum Glück, wie wenig genügt schon zum Glücke!‹ So sprach ich einst
und dünkte mich klug. Aber es war eine Lästerung: das lernte ich nun. Kluge
Narrn reden besser.
Das wenigste gerade, das Leiseste, Leichteste, einer Eidechse Rascheln, ein
Hauch, ein Husch, ein Augen-Blick – wenig macht die Art des besten Glücks.
Still!
– Was geschah mir: Horch! Flog die Zeit wohl davon? Falle ich nicht? Fiel
ich nicht – horch! in den Brunnen der Ewigkeit?
– Was geschieht mir? Still! Es sticht mich – wehe – ins Herz? Ins Herz! Oh
zerbrich, zerbrich, Herz, nach solchem GlĂĽcke, nach solchem Stiche!
– Wie? Ward die Welt nicht eben vollkommen? Rund und reif? O des
goldenen runden Reifs – wohin fliegt er wohl? Laufe ich ihm nach! Husch!
Still – –« (und hier dehnte sich Zarathustra und fühlte, daß er schlafe).
»Auf!« sprach er zu sich selber, »du Schläfer! Du Mittagsschläfer! Wohlan,
wohlauf, ihr alten Beine! Zeit ist’s und Überzeit, manch gut Stücks Wegs
blieb euch noch zurück –
Nun schlieft ihr euch aus, wie lange doch? Eine halbe Ewigkeit! Wohlan,
wohlauf nun, mein altes Herz! Wie lange erst darfst du nach solchem Schlaf –
dich auswachen?«
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Buch Also sprach Zarathustra"
Also sprach Zarathustra
- Titel
- Also sprach Zarathustra
- Autor
- Friedrich Wilhelm Nietzsche
- Datum
- 1885
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- PD
- Abmessungen
- 21.0 x 29.0 cm
- Seiten
- 354
- Kategorie
- Geisteswissenschaften
Inhaltsverzeichnis
- Zarathustras Vorrede 2
- Teil 1 - Die Reden Zarathustras 19
- Von den drei Verwandlungen 20
- Von den LehrstĂĽhlen der Tugend 22
- Von den Hinterweltlern 25
- Von den Verächtern des Leibes 28
- Von den Freuden- und Leidenschaften 30
- Vom bleichen Verbrecher 32
- Vom Lesen und Schreiben 34
- Vom Baum am Berge 36
- Von den Predigern des Todes 39
- Vom Krieg und Kriegsvolke 41
- Vom neuen Götzen 43
- Von den Fliegen des Marktes 46
- Von der Keuschheit 49
- Vom Freunde 51
- Von tausend und Einem Ziele 53
- Von der Nächstenliebe 55
- Vom Wege des Schaffenden 57
- Von alten und jungen Weiblein 60
- Vom Biss der Natter 63
- Von Kind und Ehe 65
- Vom freien Tode 67
- Von der schenkenden Tugend 70
- Teil 2 - Also sprach Zarathustra 75
- Das Kind mit dem Spiegel 77
- Auf den glĂĽckseligen Inseln 80
- Von den Mitleidigen 83
- Von den Priestern 86
- Von den Tugendhaften 89
- Vom Gesindel 92
- Von den Taranteln 95
- Von den berĂĽhmten Weisen 98
- Das Nachtlied 101
- Das Tanzlied 103
- Das Grablied 106
- Von der Selbst-Ueberwindung 109
- Von den Erhabenen 112
- Vom Lande der Bildung 115
- Von der unbefleckten Erkenntniss 118
- Von den Gelehrten 121
- Von den Dichtern 123
- Von grossen Ereignissen 126
- Der Wahrsager 130
- Von der Erlösung 134
- Von der Menschen-Klugheit 139
- Die stillste Stunde 142
- Teil 3 - Also sprach Zarathustra 145
- Der Wanderer 147
- Vom Gesicht und Räthsel 150
- Von der Seligkeit wider Willen 155
- Vor Sonnen-Aufgang 158
- Von der verkleinernden Tugend 161
- Auf dem Oelberge 167
- Vom VorĂĽbergehen 170
- Von den AbtrĂĽnnigen 173
- Die Heimkehr 178
- Von den drei Bösen 182
- Vom Geist der Schwere 187
- Von alten und neuen Tafeln 191
- Der Genesende 222
- Von der groĂźen Sehnsucht 228
- Das andere Tanzlied 231
- Die sieben Siegel 236
- Teil 4 - Also sprach Zarathustra 243
- Das Honig-Opfer 245
- Der Notschrei 248
- Gespräch mit den Königen 251
- Der Blutegel 256
- Der Zauberer 259
- AuĂźer Dienst 267
- Der häßlichste Mensch 271
- Der freiwillige Bettler 276
- Der Schatten 280
- Mittags 283
- Die BegrĂĽĂźung 286
- Das Abendmahl 291
- Vom höheren Menschen 293
- Das Lied der Schwermut 313
- Von der Wissenschaft 319
- Unter Töchtern der Wüste 322
- Die Erweckung 330
- Das Eselsfest 334
- Das trunkne Lied 339
- Das Zeichen 352