HERZOG RUDOLF IV. UND CANSIGNORIO, HERR VON VERONA#
FAMILIENSTRUKTUREN IM SPIEGEL VON GRABMONUMENTEN#
Michael Mitterauer#
Am 27. Juli 1365 starb Herzog Rudolf IV. von Österreich bei einem Besuch von verbündeten Fürsten in Oberitalien. Er war zunächst im Juni dieses Jahres bei Cansignorio della Scala, dem Herrn von Verona, zu Gast gewesen. Anschließend traf er sich mit Bernabò Visconti in Mailand, wo er wenige Monate zuvor seinen jüngeren Bruder Leopold mit Bernabòs Tochter Viridis verheiratet hatte. In Mailand erkrankte er und verstarb nach kurzer Zeit. Bernabò ließ den Leichnam seines verschwägerten Bundesgenossen in einen wertvollen Gold-Seide-Stoff hüllen. So ausgestattet wurde der österreichische Herzog „cum maximo honore“ in San Giovanni in Conca, der Hauskirche der Visconti, der Öffentlichkeit präsentiert. Wir wissen nicht, wann der Leichenzug mit dem toten Herzog Mailand verließ. Er machte anschließend nochmals in Verona Halt. Dort erwartete ihn Cansignorio, der Schwager Bernabòs, der durch seine Schwester Beatrice, die Mutter von Viridis, ebenso mit dem Verstorbenen verwandt war. Der Signore der Stadt sowie prominente Bürger erwiesen, wie eine Veroneser Quelle berichtet, hohen Respekt. Der Leichnam wurde in der der Kirche San Pietro in Archivolto aufgebahrt. Diese Kirche nahe dem Dom war auf Betreiben von Cansignorios bedeutsamsten Vorgänger, Cangrande I. della Scala, erneuert und unter Cansignorio 1359 eingeweiht worden. In künstlerischer Hinsicht erscheint sie wichtig, weil Giotto hier ein Fresko gemalt hatte. Aber für die Aufbahrung Herzog Rudolfs war dieser Umstand bedeutungslos. Entscheidend für die Ortswahl war wohl ein besonderes Naheverhältnis zum Fürstenhaus.
San Pietro in Archivolto war allerdings nicht die Hauskirche der della Scala wie San Giovanni in Conca in Mailand die der Visconti. Als die eigentliche Hauskirche der della Scala fungierte seit Generationen Santa Maria Antica. Hier wäre jedoch eine Aufbahrung Herzog Rudolfs nicht in Frage gekommen. An diese Kirche anschließend befand sich ein Friedhof des Signorengeschlechts, auf dem schon einige Grabdenkmäler standen - vor allem direkt über dem Kirchenportal das des 1329 verstorbenen Cangrande I. Und Cansignorio hatte bereits 1364 - also im Jahr vor Rudolfs Tod - mit der Errichtung seines eigenen Grabmonuments begonnen – wie übrigens schon 1363 Bernabò in Mailand. Es sollte großartiger werden als alle bisherigen. Für dieses Projekt konnte er einen bedeutenden Künstler gewinnen – nämlich Bonino da Campione, der bisher für seinen Schwager Bernabò gearbeitet hatte. Tatsächlich wurde das schon zu Lebzeiten Cansignorios begonnene Grabdenkmal zum prunkvollsten der Fürstengräber auf dem Friedhof der della Scala bei Santa Maria Antica. Es übertraf die hier bereits vorhandenen Monumentalgräber von dessen Vater Mastino II. und dessen Großonkel Cangrande I., durch die in der Sepulkralkultur der oberitalienischen Fürsten des 14. Jahrhunderts neue Maßstäbe gesetzt wurden. Die Reiterstandbilder dieser drei Fürsten wirkten als Vorbild und beeinflussten die europäische Denkmalkultur insgesamt nachhaltig.
Verglichen mit den „Arche scaligere“ von Verona wirkte die von Herzog Rudolf in der Wiener Stephanskirche begründete Grablege seines Fürstenhauses vielleicht eher bescheiden. Sie war jedoch in ihrer Konzeption ähnlich anspruchsvoll und innovativ. Ihre Gestaltung umfasste mehrere Ebenen innerhalb des Kirchenbaus und auch verschiedene Örtlichkeiten im Außenbereich der Kirche – oberhalb der Herzogsgruft mit den Särgen den Kenotaph mit der Grabplatte, auf der Rudolf und seine Gattin Katharina von Böhmen als Liegefiguren dargestellt waren, und darüber das Porträt des Fürsten mit der dazugehörigen Inschrift. Ebenso sind die Stifterfiguren bei den Haupttoren der Kirche als Teil der Grabanlage zu sehen. Von diesen unterschiedlichen Grabmonumenten ausgehend soll vergleichend versucht werden, die unterschiedlichen sozialen Kontexte der Fürstengräber in Verona und Wien aus dem 14. Jahrhundert zu analysieren. Dabei geht es um unterschiedliche Familienstrukturen im Zusammenhang mit unterschiedlichen Herrschaftsstrukturen.
Ein „Familienfriedhof“ ohne Ehefrauen#
Die „Arche scaligere“ von Verona werden häufig als „Familienfriedhof“ der Scaliger charakterisiert. Das waren sie nur in sehr bedingter Form. Es findet bei einer solchen Bezeichnung der Umstand keine Beachtung, dass hier nur Männer begraben liegen, die über mehrere Generationen hin als Signori Verona und andere Stadtstaaten Oberitaliens beherrscht haben – aber keine einzige Frau. Es handelt sich also eher um einen Friedhof der Fürstendynastie als einen der Fürstenfamilie. Kein einziger della Scala des 14. Jahrhunderts hatte sich hier gemeinsam mit seiner Frau bestatten lassen. Ganz anders war die Situation in Wien. Herzog Rudolf IV. plante eine Fürstengruft für männliche und weibliche Angehörige der Dynastie. Und auf der Grabplatte seines Kenotaphs wurde er gemeinsam mit seiner Ehefrau Katharina dargestellt. Eine einzige Ehefrau eines Veroneser Signore aus dem Haus der della Scala wurde in Santa Maria Antica bestattet – aber nicht auf dem „Familienfriedhof“ im öffentlichen Raum, sondern in der Kirche selbst. Es handelt sich um Giovanna da Suevia, die Witwe des großen Cangrande I. Sie war nicht nur als Ehefrau des mächtigsten Herrschers aus diesem Fürstengeschlecht bedeutsam, sondern auch als dynastische Mittlerin zum staufischen Kaiserhaus, auf das ihre Benennung als „Johanna von Schwaben“ verwies. Für die della Scala als die führende Macht der oberitalienischen Ghibellinen war diese Verbindung sehr wichtig. Schon Cangrandes älterer Bruder Bartolomeo I. hatte eine Frau dieser Abstammung geheiratet, nämlich Costanza da Suevia, die Schwester der Giovanna. Und auch eine dritte Schwester mit dem bezeichnenden Namen „Imperatrice“ wurde mit einem della Scala verehelicht. Die drei Schwestern stammten in direkter männlicher Linie von Kaiser Friedrich II. ab – und zwar über dessen natürlichen Sohn Friedrich von Antiochia. Das verlieh den della Scala, die selbst patrilinear von einer Veroneser Kaufmannsfamilie abstammten, eine erwünschte Legitimation. Aber keine dieser drei Schwestern wurde gemeinsam mit ihrem Mann begraben – auch sonst keine Frau eines Veroneser Signore dieser Zeit. Ebenso wenig hatte Cansignorio ein Doppelgrab vorgesehen wie etwa gleichzeitig sein Wiener Verwandter Herzog Rudolf IV. Cansignorios Gattin Agnes von Durazzo stammte aus dem Neapolitaner Königshaus der Anjou und war somit kapetingischer Herkunft. Sie verließ nach dem Tod ihres Mannes Verona und kehrte zu ihrer Herkunftsfamilie zurück. In Neapel erhielt sie ein eindrucksvolles Grabmal in der Kirche Santa Chiara, die König Robert I. zur Familiengrablege ausbaute. Erstaunlich erscheint, dass im Grabmonument Cansignorios mit Ausnahme des Wappens keinerlei Hinweis auf die Abstammung in väterlicher Linie gegeben erscheint. Auf dem Kenotaph Herzog Rudolfs IV. hingegen findet sich eine Inschrift, die auf die Bestimmung der Grablege für die Nachkommenschaft Herzog Albrechts II. und seiner Gattin Johanna von Pfirt zum Ausdruck bringt. Vor allem aber stellen die Figuren bei den Kirchenportalen von St. Stephan sowohl die Eltern Rudolfs als auch die seiner Gattin Katharina dar - nämlich Herzog Albrecht und Johanna von Pfirt sowie Kaiser Karl IV. und Blanche de Valois. Herzog Albrecht II. ließ Rudolf übrigens mit der von ihm für seine Familie beanspruchten Zackenkrone darstellen, mit der er sich selbst auf seinem Porträt abbilden ließ, die ihm aber von seinem kaiserlichen Schwiegervater untersagt war. In die Erinnerungskultur an Rudolf als den Stifter der Kirche wurden also sowohl die Vorfahren des Herzogs als auch die der Herzogin einbezogen. Diese Konstellation deutet auf ein ganz anderes Familienbewusstsein als es in den Darstellungen der Scaligergräber in Verona zum Ausdruck kommt.Individualismus und Familienbewusstsein#
Mit dem unterschiedlichen Selbst- und Familienbewusstsein Cansignorios einerseits, Rudolfs IV. andererseits korrespondieren auch ganz unterschiedliche Grabinschriften. Cansignorio ließ sich auf sein Grabmonument folgenden Text schreiben: „Ich, Cansignorio, der ich es vermocht habe, Monarch über viele Städte Italiens zu sein. Ich, der ich über zwei ‚popoli‘ (nämlich Verona und Vicenza) gemeinsam das Zepter gehalten habe, welche ich in Gerechtigkeit regierte. Meine Tapferkeit - verbunden mit der Liebe zum Frieden und nicht getrennt von meinem Glauben – gibt mir überzeitlichen Ruhm“. Auf dem Porträt Rudolfs IV. steht hingegen nur schlicht „Rudolfus Archidux Austrie etc.“ und auch sein Epigraph auf der Chormauer, bei dem das Porträt angebracht war, kommt mit einigen nüchternen lebensgeschichtlichen Daten aus. Cansignorio ist auf der Spitze seines Grabmonuments dreidimensional als Reiterfigur dargestellt, wie schon zuvor sein Vater Mastino II. und sein Großonkel Cangrande I., Rudolf hingegen zweidimensional im Porträt, aber skulpturiert auf dem Tumbadeckel sowie auf den Kirchenportalen. Erwähnenswert erscheint, dass Cansignorio auf seinem Grabmonument noch ein zweites Mal abgebildet wird – nämlich als Teilnehmer an der Krönung Mariens. Dieses Relief erscheint gleichsam als ein Gegenstück zu den Identifikationsporträts, die sich zur gleichen Zeit in der Malerei Veronas finden. Hat das gesteigerte Selbstbewusstsein und der extreme Individualismus in der Grabinschrift Cansignorios etwas mit mangelndem Familienbewusstsein zu tun? Cansignorio hat zunächst seinen älteren Bruder Cansignorio II. umbringen lassen und später dann seinen jüngeren Bruder Alboino II. Dabei ging es nicht so sehr um die Alleinherrschaft als Signore von Verona und die anderen abhängigen Städte. Alboino hatte sich längst schon zurückgezogen und war keine Gefährdung mehr. Es ging Cansignorio viel mehr um die Nachfolge seiner beiden unehelichen Söhne Bartolomeo und Antonio, der der legitim geborene Alboino wohl im Weg stand. Bruder- und Verwandtenmord war in der Signorendynastie von Verona an der Tagesordnung. Man begegnet solchem Verhalten auch in anderen Signorenfamilien Oberitaliens zu dieser Zeit. Cansignorios älterer Bruder Cangrande II. soll besonders grausam gewesen sein. Zu Brudermord kam es auch in der nächsten Generation der Dynastie. Als Ausnahmeerscheinung darf man Cangrande I. betrachten. Er begnadigte einen rebellierenden Verwandten und setzte ihn sogar in eine hohe Position seines Herrschaftssystems ein. In der österreichischen Herzogsdynastie der Habsburger gab es sicher im Spätmittelalter auch einiges an Rivalitäten und Streitigkeiten. Aber zu ähnlichen Verhaltensformen wie in Verona ist es bei ihnen nie gekommen. Insgesamt darf man diesbezüglich grundsätzliche Unterschiede zwischen den Signori Oberitaliens und den nordalpinen Landesfürsten sehen.Reiterstandbild und Herrschaftssystem#
Haben die Selbstdarstellungsformen der della Scala auf ihren Grabmonumenten mit den spezifischen Herrschaftsstrukturen der Region zu tun? Der kriegerischen Figur des Reiterstandbilds scheint bei der Frage nach solchen Erklärungszusammenhängen entscheidende Bedeutung zuzukommen. Das maßgebliche Vorbild war diesbezüglich wohl das Grabmal Cangrandes I., das nach seinem Vergiftungstod 1329 in Angriff genommen wurde. Unter ihm erreichte die Signorie der della Scala in Verona ihren Höhepunkt – sowohl in territorial-herrschaftlicher wie auch in künstlerisch-kultureller Hinsicht. Cangrande war ein erfolgreicher Kriegsherr und ein großer Mäzen. Sein Herrschaftsgebiet weitete er bis weit nach Friaul hinein aus. Als Förderer der Künste war er für Dante, für Giotto und für Petrarca attraktiv. Er genoss insgesamt als Persönlichkeit hohes Ansehen. So wurde ihm auch ein exemplarisches Grabdenkmal geschaffen. Monumentale Reiterstandbilder entstanden nach diesem Vorbild in Verona selbst – vor allem für seine Nachfolger Mastino II. und Cansignorio – aber ebenso in Mailand und anderwärts in Oberitalien. Verona war seit Cangrande ein vorbildhaftes Zentrum. Die damals erreichte Bedeutung der Stadt wirkte wohl auch noch zu Zeiten nach, als Rudolf IV. sie als erster österreichischer Landesfürst besuchte. In Verona lernte der Herzog auch das frühe Meisterwerk des Altichiero da Zevio im Palast Cansignorios kennen, den er dann für sein Porträt gewonnen haben dürfte. Reiterstandbilder als Grabmonumente treten in Oberitalien häufig bei Söldnerführern auf. Solche Kondottieri stiegen mehrfach selbst zu Signori auf. Die Sforza in Mailand sind dafür ein markantes Beispiel. Als Söldnerführer begannen sie ihre Laufbahn – und wirkten auch in Mailand unter den Visconti. Schließlich lösten sie ihre früheren Dienstgeber als Herren von Stadt und Territorium ab. Auch die della Scala waren mit dem Söldnerunternehmertum der Kondottieri eng verbunden – von ihrer Frühzeit im 13. Jahrhundert angefangen bis über ihre endgültige Vertreibung aus der Stadt zu Anfang des 15. Jahrhunderts hinaus. Brunoro della Scala – 1404 noch kurzfristig Signore der Stadt – war sein Leben lang immer wieder als Söldnerführer im Einsatz, jetzt allerdings vor allem im Dienste nordalpiner Landesfürsten.Oberitalienische Signorie und nordalpines Landesfürstentum#
Der Kondottiere gehört in die Militärverfassung des ausgehenden Mittelalters in Oberitalien. Er kann als erfolgreicher Aufsteiger eventuell eine günstige Eheverbindung mit einer hochadeligen Dame eingehen. Wenn er ein herausragendes Grabmonument bekommt, dann verdankt er das aber seiner individuellen militärischen Leistung – nicht seiner Herkunft. Die Grabdenkmäler nordalpiner Landesfürsten sehen anders aus. Reiterstandbilder werden ihnen nicht errichtet. Für diesen Typus des nordalpinen Landesfürstentums steht die Grabanlage Herzog Rudolfs IV. in St. Stephan, ebenso die seines Vaters Herzog Albrechts II. in der Kartause von Gaming oder die seines Onkels Herzog Otto in Neuberg an der Mürz. Es handelt sich um zwei grundverschiedene Formen der Fürstenherrschaft. Und diesem Unterschied zwischen Signorie und Landesfürstentum entsprechen unterschiedliche Formen von Grabdenkmälern. Das Familiengrab mit dem Kenotaph für das Stifterpaar, wie es Herzog Rudolf IV. in St. Stephan vorgesehen hatte, kommt aus einer Tradition des Lehenswesens der mittel- und westeuropäischen Königreiche. Die Signorie hingegen ist eine spezifische Sonderentwicklung Oberitaliens. Hier sind aus hochmittelalterlichen Kommunen nach Geschlechterkämpfen in der Führungsschicht vielfach lebenslängliche und erbliche Einzelherrschaften mit monarchischen Strukturen entstanden, die wir als „Signorien“ zu charakterisieren gewohnt sind. Eine abweichende Entwicklung erlebte in Oberitalien die Seerepublik Venedig. Sie konnte mit Erfolg ihren oligarchisch-kommunalen Charakter erhalten und monarchische Tendenzen immer wieder hintanhalten. Sie wurde auch nie in die Lehensverfassungen der karolingischen Nachfolgereiche in Mittel- und Westeuropa eingegliedert. Vielmehr entwickelte sie ihre spezifischen Herrschaftsformen in Anschluss an byzantinische Strukturen. Der auf Lebenszeit gewählte Doge der Seerepublik und die mit ihm korrespondierende „Dogeressa“ stellen ein ganz anderes Modell der Herrschaftsstruktur dar als die Signorien des oberitalienischen Festlands. Gräber von Dogenpaaren kommen in Venedig im Spätmittelalter vor. Sie gehören in einen alternativen Entwicklungsstrang. In den Scaligergräbern Veronas haben sie keinerlei Entsprechung. Eine seltene Ausnahme hinsichtlich der Darstellung eines Signore der della Scala-Familie mit seiner Ehefrau verdient Erwähnung. Wesentlich erscheint, dass es sich um kein Grabbild handelt, sondern um ein Votivbild. Es zeigt Cangrande II. (1351-1359) mit seiner Gattin Elisabeth von Bayern, einer Tochter Kaiser Ludwigs IV. und befindet sich in der großen Dominikanerkirche Sant’Anastasia in Verona. Im Mittelpunkt der Darstellung ist die thronende Muttergottes umgeben von Engelsköpfen. Cangrande II. und Elisabetta knien als Stifter vor ihr – Cangrande II. geführt vom heiligen Dominikus, Elisabetta vom Dominikanerheiligen Petrus Martyr, der in Verona wegen seiner Rolle in der Verfolgung lombardischer Ketzer besonders verehrt wurde. Elisabetta hatte in Verona nicht die Position einer „co-signora“. Die gab es hier überhaupt nicht. Etwas günstiger dürften die Verhältnisse in Mailand gewesen zu sein. Beatrice della Scala, die Schwester Cangrandes II., die mit Bernabò Visconti verheiratet war, dürfte es besser getroffen haben. Ihr wurde eine gewisse Mitherrschaft zugestanden. Das kommt auch in bildhaften Darstellungen zum Ausdruck. Nicht in der Hauskirche in Mailand, sondern in der Cappella Spagnuola von Santa Maria Novella in Florenz findet sich in einem Fresko eine Darstellung von Bernabò mit seiner Gattin und vielen ihrer fünfzehn ehelichen Kinder - ein rarer Fall von Familienbild aus diesem Milieu. Das Grabdenkmal Cansignorios in den „Arche scaligere“ umfasst sechs Figuren von Grabwächtern. Es handelt sich – dem Reiterstandbild des Fürsten entsprechend – durchgehend um ritterliche Heilige: St. Georg, St. Martin, St. Valentin, St. Siegmund und auch König Ludwig IX. der Heilige von Frankreich ist als Kreuzzugsführer zu diesem Typus zu zählen. Eine Ausnahmefigur in diesem Ensemble scheint der sechste Heilige zu sein, nämlich der heilige Ludwig von Toulouse – ein Franziskanerheiliger, der erst 1317 kanonisiert worden war. Als Bruder König Roberts I. von Neapel, zu dessen Gunsten er verzichtet hatte, war er zunächst wohl auch ritterlich erzogen worden. Er gehörte ja als Angehöriger des Hauses Anjou- Neapel zu einem Kreis früh heiliggesprochener Fürstenkinder wie etwa auch die heilige Elisabeth von Thüringen. Und Cansignorio hatte durch seine Ehe mit Agnes von Durazzo in diesen Kreis eingeheiratet. Auch in Wien verehrte man sehr früh diesen heiligen Prinzen Ludwig von Anjou-Neapel, der in seiner geistlichen Laufbahn als Erzbischof von Toulouse zu hohen Ehren kam, in seinem Selbstverständnis aber letztlich stets der einfache Franziskanerbruder blieb. Die Ludwigskapelle bei den Wiener Minoriten wurde ihm geweiht, nachdem zunächst König Ludwig der Heilige hier Patron war. Dessen Enkelin Blanche de France war die Stifterin. Sie finanzierte sie aus ihrer reichen Mitgift, die sie in ihre Ehe mit Herzog Rudolf III. einbrachte, dem Onkel Rudolfs IV. Zunächst wurde sie selbst hier in einem prunkvollen Hochgrab in französischem Stil beigesetzt – nach ihr ihre Schwägerin Elisabeth von Aragonien, die Witwe König Friedrich des Schönen. Für die Ehefrauen habsburgischer Landesfürsten gab es kein Problem aufwändiger Prunkgräber, wie es in Verona für Gattinnen und Witwen von Signori bestand.Die Bedeutung unehelicher Söhne im Herrschaftssytem#
Mit der spezifischen Position der Ehefrauen in der Dynastie der Scaliger hängt wohl auch die Rolle der unehelichen Kinder in diesem Geschlecht zusammen. Einige der Signori von Verona aus diesem Fürstenhaus heirateten zwar Frauen hochadeliger Abkunft – etwa Bartolomeo I., Cangrande I., Cangrande II. oder Cansignorio – sie hatten aber von ihnen keine Kinder. Umso häufiger war illegitimer Nachwuchs aus Beziehungen zu Mätressen. Für das Herrschaftssystem der Scaliger waren vor allem uneheliche Söhne wesentlich. Sie wurden vielfach in hohe geistliche Positionen gebracht, die für die Herrschaft des Geschlechts wichtig waren – zum Beispiel in Kanonikate des Domstifts von Verona. Giuseppe della Scala, ein unehelicher Halbbruder Cangrandes I. wurde Abt des alten und reichen Benediktinerklosters San Zeno in Verona. Sein Baldachingrab in diesem Kloster, das nach 1313 errichtet wurde, gilt in mancher Hinsicht für die drei großen Monumentalgräber der „Arche scaligere“ als vorbildlich – seinem geistlichen Stand entsprechend natürlich ohne Reiterstandbild. Giuseppe della Scala hatte seinerseits einen unehelichen Sohn Bartolomeo, der es bis zum Bischof von Verona brachte. Einige Angehörige der della Scala-Dynastie erreichten diese Position, die für die Machtstellung des Geschlechts von höchster Bedeutung war. Nicht nur über die geistliche Laufbahn dienten uneheliche Nachkommen der Signorenherrschaft. Sie wurden auch als Heerführer, als Diplomaten oder als Verwalter von abhängigen Städten eingesetzt. Durch ihre hohen Positionen im Herrschaftssystem konnten sie den Signoren allerdings auch gefährlich werden. Einige von ihnen rebellierten – mit entsprechender Gefährdung ihres Lebens. Bis zu Cansignorio waren alle Signori der herrschenden Dynastie ehelicher Abkunft. Cangrande II. und sein Bruder Cansignorio konkurrierten schon um die Nachfolgerechte ihrer jeweiligen unehelichen Söhne. Die Signori Bartolomeo II., Antonio I., Guglielmo, Brunoro und Antonio II. im ausgehenden 14. und frühen 15. Jahrhundert waren bereits alle unehelicher Abstammung. Keiner von ihnen konnte sich dauerhaft halten. Das lag aber vor allem an der Übermacht benachbarter Signorengeschlechter, die Verona in Abhängigkeit brachten – zunächst die Visconti von Mailand, dann die da Carrara von Padua. Auch nach ihrer Vertreibung gaben die della Scala ihre Ansprüche auf die Stadt und ihr Territorium nicht auf. Sie flohen an die Höfe nordalpiner Fürsten – an die der Wittelsbacher, der Luxemburger und vor allem auch der Habsburger. Kaiser Sigismund verlieh ihnen das Reichsvikariat über Verona und Vicenza und sicherte ihnen damit den Anspruch auf die alten Kerngebiete ihrer Macht. Brunoro della Scala, der zusammen mit seinem jüngeren Bruder Antonio 1404 noch kurz tatsächlich Herr von Verona war hielt sich häufig in Wien auf, wo er wohl gemeinsam mit seinen Geschwistern das Votivbild für Antonio in der Vorhalle des Singertors von St. Stephan stiftete, das von einem Veroneser Meister im Stil des großen Altichiero da Zevio gestaltet wurde. Brunoro starb 1437 in Wien und wurde – wie mehrere seiner Geschwister – in der Augustinerkirche bestattet – also in unmittelbarer Nachbarschaft zur Residenz der Habsburger. Länger als in Wien hielten sich die della Scala in Bayern. Nach ihrem alten Wappenbild wurden sie hier als Herren „von der Leiter“ benannt. Im Hause Habsburg war die Situation im Spätmittelalter hinsichtlich der Familienverhältnisse ganz anders als bei den della Scala. Uneheliche Söhne spielten damals im Herrschaftssystem dieser Landesfürsten nicht die geringste Rolle. Erst im 16. Jahrhundert änderte sich die Situation – wohl vor allem unter spanischem Einfluss. 1561 nahm König Philipp II. von Spanien Don Juan d’Austria, den unehelichen Sohn Kaiser Karls V. offiziell als seinen Halbbruder an und ließ ihn gemeinsam mit seinem eigenen Sohn Don Carlos erziehen. Don Juan erlangte höchste Positionen – als Generalkapitän der Mittelmeerflotte und als Statthalter der Spanischen Niederlande. Bei den österreichischen Habsburgern gab es auch in der Folgezeit kein Gegenstück dazu. Als Ausnahmeerscheinung im Spätmittelalter sei auf Erzherzog Siegmund „den Münzreichen“ als Grafen von Tirol 1477 bis 1496 verwiesen. Er war zweimal mit Frauen hochfürstlicher Abstammung verheiratet, hatte aber von keiner seiner beiden Gattinnen Kinder. Von ihm wird berichtet, dass vierzig bis fünfzig uneheliche Kinder seinem Sarge folgten. Nach seinem Lebensstil scheint er eher dem Typus eines oberitalienischen Signore entsprochen zu haben als dem eines mitteleuropäischen Landesfürsten.LITERATUR#
- Highlights aus dem Dom Museum Wien. Historische Schätze und Schlüsselwerke der Moderne Hrsg. von Johanna Schwanberg. Berlin/Boston 2017
- Johanna Schwanberg (Hg.) Dom Museum Wien. Kunst Kirche Gesellschaft, 1. Auflage Berlin/Boston 2017, darin: Michael Viktor Schwarz, Eine Pionierleistung europäischer Malere. Das Bildnis Rudolfs des Stifters (S. 239-248) und Islamische Kunst in Europa: Ein Stoff für Diskussionen. Der Professor für islamische Kunstgeschichte Markus Ritter im Gespräch mit Johanna Schwanberg (S. 249-262)
- Josef Riedmann, Landesfürstentum und Signorie. Zwei Entwicklungsformen der „staatlichen“ Gewalt in der deutsch-italienischen Kontaktzone des späten Mittelalters, 24. Österreichischer Historikertag, Innsbruck 2005, Innsbruck 2006, S. 182-190
- Constanze Huber, Das Porträt Rudolfs IV. im Kontext, Masterarbeit Universität Wien, 2015
- Barbara Schedl, St. Stephan in Wien. Der Bau der gotischen Kirche (1200-1500), Wien 2018
- Evelyn Klammer, Familienbande. Auftraggeberschaft und Funktionen eines Wandbildes des Quattrocento am Wiener Stephansdom, in: Mitteilungen des Kunsthistorischen Instituts in Florenz, 59. Bd., H. 2 (2017) S. 262-270.
- Peter Seiler, Mittelalterliche Reitermonumente in Italien. Studien zu personalen Monumentsetzungen in den italienischen Kommunen und Signorien des 13. und 14. Jahrhunderts. Phil. Diss., Heidelberg 1989
- Peter Seiler, Das Lächeln des Cangrande, Zeitschrift für Kunstgeschichte 62, 1999, 136-143
- Lucas Burkart, Die Stadt der Bilder. Familiale und kommunale Bildinvestition im spätmittelalterlichen Verona, München 2000
- Gian Maria Varanini, DELLA SCALA, Cansignorio, in: Dizionario Biografico degli Italiani 37, 1989
- Donne a Verona. Una storia della città dal medioevo a oggi, a cura di Paola Lanaro e Alison Smith, Verona 2011
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