Coudenhove-Kalergi, Richard#
* 16. 11. 1894, Tokio, Japan
† 27. 7. 1972, Schruns, Vorarlberg
Schriftsteller, Pazifist
Richard Nikolaus Coudenhove-Kalergi wurde am 16. November 1894 als Sohn eines österreichischen Botschafters und seiner japanischen Frau in Tokio geboren.
Der Vater, Heinrich Johann Marie Grafen von Coudenhove (seit 1903: Coudenhove-Kalergi; 1859–1906), beherrschte achtzehn Sprachen und hatte schon mit einer Dissertation über »Das Wesen des Antisemitismus« Aufsehen erregt. Seine Mutter Maria Thekla Coudenhove, geborene Mitsu Aoymama (1874–1941) entstammte einem alten adeligen japanischen Geschlecht.
Er und seine Schwester Ida Friederike wuchsen in Böhmen auf Schloss Ronsperg auf, er besuchte Schulen in Pilsen (Böhmen) und Brixen (Tirol), schließlich in Wien. Anschließend studierte er Philosophie und Geschichte an den Universitäten Wien und München und promovierte 1917 zum Doktor der Philosophie.
Seit 1917 war er als Journalist bei österreichischen und deutschen Zeitungen und Zeitschriften in Wien tätig, wurde nach dem Ersten Weltkrieg - dem Wohnsitz gemäß - tschechoslowakischer Staatsbürger. Es war die erste von mehreren Nationalitäten, die er annahm, ohne ihnen sonderliche Bedeutung beizumessen. Coudenhove-Kalergi hat sich zeitlebens als europäischer Weltbürger gefühlt.
1915 heiratete er die Schauspielerin Ida Roland (1881–1951). 1923 gründete er die »Paneuropa-Union« mit Sitz in Wien; Ziel war der politische Zusammenschluss der europäischen Staaten unter Ausschluss der Sowjetunion.
Seit 1924 gab er deren Organ, die Zeitschrift "Pan-Europa" heraus. Er unternahm Vortragsreisen durch Europa und die USA und knüpfte zahlreiche internationale Kontakte. 1926 fand der erste Europäische Kongress der "Paneuropa-Union" in Wien statt, in dessen Folge es zur Bildung des "Europäischen Zentralrats" aus den Vorsitzenden der nationalen Organisationen kam. Coudenhove-Kalergi wurde zum Präsidenten der "Paneuropa-Union" gewählt und war auch Vorsitzender der paneuropäischen Kongresse in Wien 1928, Berlin 1930, Basel 1932 und Wien 1935.
Er musste 1938 mit seiner Frau vor den Nationalsozialisten flüchten; über die Tschechoslowakei, Ungarn, Jugoslawien und Italien kam er in die Schweiz. Hier errichtet er in Bern das neue Zentrum der "Paneuropa-Union", das später nach Genf verlegt wurde. 1938 bis 1940 gab Coudenhove-Kalergi dessen Zeitschrift, »Europäische Briefe« heraus.
1939 emigrierte er nach Frankreich, dessen Staatsbürgerschaft er annahm. Paris wurde neuer Sitz des Zentrums der "Paneuropa-Union". Er arbeitete eng mit Otto Habsburg-Lothringen zusammen und beteiligte sich am Versuch, eine österreichische Exilregierung in Paris zu bilden. Im Juni 1940 flüchtete er in die USA, wo er sich in New York niederließ und u.a. vo 1944 bis 1946 Professor für Geschichtswissenschaft an der New York University war.
1946 ließ sich er sich zusammen mit seiner Frau wieder in der Schweiz nieder, wo er 1947 die "Europäische Parlamentarier-Union" - die spätere "Europäischen Bewegung" - gründete, deren Generalsekretär (später Ehrenpräsident) er wurde.
Drei Frauen haben in seinem Leben tragende Rollen gespielt: Ida Roland, die berühmte Bühnenkünstlerin, die den größten Teil des Weges mit ihm ging und 1951 starb; die Schweizer Gräfin Alix Tiele-Bally, die seine 1952 zweite Frau wurde, und nach deren Tod 1968 schließlich Melanie Hoffmann-Benatzy, die Witwe des Komponisten Ralph Benatzky, mit der er ein Glück der späten Tage erfuhr.
Im Lauf der Jahre hat Coudenhove-Kalergi eine große Zahl von Büchern und Artikelserien publiziert, deren Themen neben seinem Hauptanliegen - Europa - auch Fragen der Ethik, der Technik, der Weltanschauung waren.
Am 27. Juli 1972 starb er in Schruns, Vorarlberg.
Anläßlich seines 100. Geburtstages erschien im November 1994 ein Sonderpostmarke.
Weiterführendes#
- Ziegerhofer, A.: Vordenker eines vereinten Europas (Wiener Zeitung)
- Historische Bilder zu Richard Nikolaus Coudenhove-Kalergi (IMAGNO)
Werke (Auswahl)#
- Die Europasymbolik
- Pan-Europa, Wien, 1923
- Kampf um Paneuropa, Wien–Leipzig: Paneuropa 1925–1928, 3 Bände
- Eine Idee erobert Europa. Meine Lebenserinnerungen, 1958.
Text aus dem Buch "Große Österreicher":#
Zur Hälfte Japaner, zur anderen Hälfte gemischt aus dem internationalen Adelsgeblüt Europas, wie man weiß, stellt er wirklich einen eurasischen Typus vornehmer Weltmenschlichkeit dar, der außerordentlich fesselt, und vor welchem der Durchschnittsdeutsche sich recht provinzlerisch fühlt.« Kein Geringerer als Thomas Mann hat den Gründer der Paneuropa-Bewegung, Richard Graf Coudenhove-Kalergi, mit diesen Worten charakterisiert. Wer den »Europa-Grafen« Jahrzehnte später in Wien kennenlernte, brauchte nur »Durchschnittsdeutscher« durch »Österreicher« (bewußt ohne die vorangestellte Einschränkung) zu ersetzen, um seinen eigenen Eindruck formuliert zu finden. Was an Coudenhove zusätzlich zu dem Gesagten faszinierte, ist nur scheinbar eine Äußerlichkeit: Auch nach seinem 75. Geburtstag liebte er es, alten Freunden und neuen Bekannten, sofern er sie mochte, seinen »Raubkatzensprung« vorzuführen - mit der Elastizität einer Stahlfeder schnellte sein Körper von einer Ecke des großen Zimmers in die andere, geschmeidig und von nicht zu schildernder Eleganz, Beweis von Training und Selbstdisziplin, von Exotik und Jugendlichkeit, auch von genau jenem Grad von Exzentrik, der nichts zu tun hat mit Snobismus.
Richard Coudenhove-Kalergi war der Sohn eines österreichischen Diplomaten, der achtzehn Sprachen beherrschte und schon mit einer Dissertation über »Das Wesen des Antisemitismus« Aufsehen erregt hatte, und einer Japanerin. Adelig waren beide Eltern, die Mutter stammte aus einer alten Samurai-Familie, die brabantischen Coudenhove erhielten ihren Adel für die Teilnahme am Kreuzzug von 1099 und führen ihre Familie lückenlos zurück auf den am 3. März 1259 verstorbenen Gerolf. In Tokio am 16. November 1894 geboren, übersiedelte der kaum Einjährige mit den Eltern nach Ronsperg in Böhmen, wurde von Privatlehrern erzogen, vom Vater in Russisch und Ungarisch unterwiesen, ehe er ins Theresianum nach Wien kam, dann an die Alma Mater Rudolphina, wo er 1916 zum Doktor der Philosophie promoviert wurde. Nach dem Ersten Weltkrieg wurde er, dem Wohnsitz gemäß, tschechoslowakischer Staatsbürger - es war die erste von mehreren Nationalitäten, die er annahm, ohne ihnen sonderliche Bedeutung beizumessen. Coudenhove-Kalergi hat sich zeitlebens als europäischer Weltbürger gefühlt. Am 17. November 1922 erschien in der »Neuen Freien Presse« ein Beitrag von ihm, der den Titel trug: »Paneuropa -Ein Vorschlag«, ein Jahr später sein gleichnamiges Buch. Beides erregte spontanes Interesse, in Österreich und jenseits der Grenzen. Anfang November 1926 konnte im Wiener Konzerthaus der erste Paneuropa-Kongress abgehalten werden; Coudenhove-Kalergi gab ihm als Emblem eine blaue Fahne (auch die heutige Europafahne ist blau) mit einer goldenen Sonne hinter einem roten Kreuz: »Das Kreuz Christi leuchtet aus der Sonne Apolls«, erläuterte er es -ob die Sonne Apolls mit eigenen griechischen Ahnen zu tun hat oder auch mit der Herkunft aus Japan, dem Land der aufgehenden Sonne, ist immer dahingestellt geblieben. Coudenhove-Kalergi war ein ausgeprägt politisch denkender Mensch, aber er hat nie ein Mandat, ein Regierungsamt oder eine Staatsfunktion innegehabt. Seine Vision vom geeinten Europa hat ihm freilich die Freundschaft einer Reihe von Staatsmännern eingetragen, zumindest ihre Achtung: von Benes und Seipel, die 1926 als Ehrenpräsidenten seines Kongresses fungierten, bis Churchill, Adenauer und de Gaulle. Politisches hat ihm aber auch übel mitgespielt: 1938 musste er vor den Nationalsozialisten flüchten, bei Nacht und Nebel, nachdem seine Frau, die namhafte Burgschauspielerin Ida Roland, am Abend des Schicksalstages noch als Kleopatra auf der Bühne gestanden war. Preßburg, Bern und London waren die nächsten Stationen, schließlich Frankreich, dessen Bürger er wurde und wo er einen weiteren Paneuropäischen Kongress, schon den fünften, organisierte; Versuche, eine österreichische Exilregierung ins Leben zu rufen, waren von vornherein zum Scheitern verurteilt. Nach dem deutschen Einmarsch in Berlin führte sein Weg über die Schweiz in die USA, wo er einen weiteren Paneuropa-Kongress einberief, der für die Nachkriegszeit eine europäische Bundesverfassung ausarbeitete. Als es dann soweit war und Coudenhove 1946 in die Schweiz zurückgekehrt war, konnte er immerhin die Gründung der Europäischen Parlamentarischen Union initiieren und spielte in der Frühzeit der Beratenden Europäischen Versammlung in Straßburg eine vielbeachtete Rolle. Coudenhove-Kalergi hatte immer seine eigenen Vorstellungen von dem, was zu einer bestimmten Zeit geboten erschien. Er sah in der Versöhnung zwischen Frankreich und Deutschland die Vorstufe zu einer gemeinsamen europäischen Republik, die zusammen mit dem Britischen Commonwealth gleichberechtigt und selbständig zwischen den USA und der UdSSR stehen sollte; er plädierte für die Eingliederung von Marokko, Algerien und Tunesien in dieses Europa; er trat für die Anerkennung der DDR als einer realpolitischen Gegebenheit ein und geriet deshalb in einen Konflikt mit seiner eigenen, schweizerischen Europa-Bewegung, die ihn ausschloss - das Ehrenpräsidium der europäischen Gesamtbewegung legte er selbst zurück, weil ihm, unbeschadet der Zuneigung für Churchill, der dominante Einfluß der britischen Konservativen gegen den Strich ging. De Gaulles Vorstellung von einem »Europa der Vaterländer« dagegen stimmte er vollinhaltlich zu und sah in dem, was er »Anti-Gaullismus« nannte, eine Gefahr für die Zukunft Europas.
Im Lauf der Jahre hat Coudenhove-Kalergi eine große Zahl von Büchern und Artikelserien publiziert, deren Themen neben seinem Hauptanliegen, Europa, auch Fragen der Ethik, der Technik, der Weltanschauung waren. Sein philosophisches Gesamtwerk ist übrigens nur in Japanisch gesammelt veröffentlicht worden; bei allem Engagement für den »alten Kontinent« hat er die Beziehung zur Heimat seiner Mutter nie verloren, den Fernen Osten auch in seine Weltfriedenspläne einbezogen. Bei allen großen Visionen war Richard Graf Coudenhove-Kalergi kein bloßer Träumer. Er hat genau gewusst, daß er ein geeintes Europa nicht erleben würde, daß es ein echtes Weltbürgertum auf lange Sicht nicht geben würde. Aber allem Realismus zum Trotz hat er nicht aufgehört, sich für das einzusetzen, an das er geglaubt hat.
Es ist eines der Paradoxa seines Lebens, dass er, der überzeugte Demokrat, niemals als Wähler seine Stimme abgegeben hat: er war zum Zeitpunkt von Wahlen immer aus jenem Land abwesend, dessen Staatsbürger er gerade war. Im übrigen hat er nie an eine »Massenbewegung von unten« als Weg zum geeinten Europa geglaubt, eher an eine »Revolution von oben«, getragen von europäisch gesinnten Regierungen. Ob Richard Graf Coudenhove-Kalergi bei aller Europa- und Weltbürgerschaft im Herzen Österreicher war, ist eine Frage, die sich schwer beantworten lässt. Sein Wunsch, in Österreich zu sterben, ist jedenfalls in Erfüllung gegangen. Siebenundsiebzigjährig wurde er in der Bergwelt Vorarlbergs vom Tod ereilt (27. Juli 1972), wo er - in Basel wohnhaft - seinen Urlaub verbrachte. Drei Frauen haben in seinem Leben tragende Rollen gespielt: Ida Roland, die berühmte Bühnenkünstlerin, die den größten Teil des Weges mit ihm ging und 1951 starb; die Schweizer Gräfin Alix Tiele-Bally, die seine zweite Frau war in einer harmonischen Ehe, die der Tod nach kurzem trennte; und schließlich die Witwe des Komponisten Ralph Benatzky, mit der er ein Glück der späten Tage erfuhr.
Das 50-Jahr-Jubiläum seiner Paneuropa-Union in Wien (1972) hat er noch erlebt. Es rief Erinnerungen wach an die Jahre, in denen die Adresse der Europabewegung »Wien-Hofburg« gelautet hatte, und ließ den alten Herrn noch einmal auftreten als einen, der an die Zukunft Europas geglaubt hat.
Quellen#
- AEIOU
- Paneuropa Union
- Große Österreicher, ed. Th. Chorherr, Verlag Ueberreuter, 256 S.
Siehe auch: www.european-society-coudenhove-kalergi.org
Vgl. 100 Jahre Paneuropa
Redaktion: I. Schinnerl