Arno GEIGER: Das glückliche Geheimnis#
Arno GEIGER: Das glückliche Geheimnis, Hanser, 2023 / Rezension von GUENTHER Johann
GEIGER, Arno: „Das glückliche Geheimnis“, München 2023 Es ist ein sehr persönliches Buch des Dichters Arno Geiger. Er gibt darin das Geheimnis preis, dass er ein „Lumpensammler“ ist. Er sammelt keine Lumpen, sondern alte Bücher, Ansichtskarten und Briefe. Er stöbert in Papiercontainern und sucht hier weggeworfene Bücher, die er dann am Flohmarkt verkauft und Briefe, die ihm wieder Stoff und Anregungen für seine schriftstellerische Tätigkeit bieten. In jungen Jahren war dies eine wichtige Einnahmequelle. Mit seiner Freundin war er von Vorarlberg nach Wien gezogen, gemeinsam gingen sie verkaufen und erwirtschafteten oft das Mehrfach ihrer monatlichen Miete. Die Streifzüge zu den Papiercontainern machte er aber allein. Diese Arbeit – seine dunklen Geheimnisse – machen ihn glücklich und zufrieden. Sie strukturieren sein Leben und gaben dem Buch den Titel „das glückliche Geheimnis“. Das Buch schildert aber nicht nur das Doppelleben zwischen dem Sandler, der in Containern sucht und dem Schriftsteller, sondern gibt auch Einblick in sein persönliches Leben und seine Beziehungen. Den Freundinnen gibt er aber nur einen Buchstaben als Namen und anonymisiert sie so. Er stellt auch seine Freundinnen – Lebensabschnittspartnerinnen – vor: M. die erste aus den Jugendjahren, K. eine Ärztin und O. eine Beziehung, die im Rahmen eines Studienaufenthalts in Polen zustande kam. Die ersten beiden Beziehungen dauerten mehrere Jahre an. Die Trennung von K. wurde mehrmals ausgesprochen, aber der wahre Grund war, dass sie als Ärztin schon ihr Ziel erreicht hatte „Bei mir dauerten die Aufbaujahre an. Ich war weiterhin mit dem Durchbruch ins Leben beschäftigt. … Und obwohl es zwischen K. und mir grundsätzlich stimmte, warf uns diese Ungleichzeitigkeit aus der Bahn.“ (Seite 79) Letztlich machte er aber seiner Freundin einen Heiratsantrag. Sie, die selbstbewusste Frau, konnte damit nicht umgehen. Die Antwort kam zeitversetzt und sie heirateten allein mit den Trauzeugen. Geiger sah es so: „Für mich ist die Ehe mit K. keine Einschränkung, sondern eine Befreiung.“ (Seite 164) Gegen Ende des Buches kommt es zu einer besonderen Liebeserklärung, in dem er schreibt „K. und ich wurden von Jahr zu Jahr glücklicher. In mancher Hinsicht war es bedauerlich, wie geübt wir im Umgang mit Schicksalsschlägen geworden waren. Aber es war unser Leben. Der Beziehung schien es eher zu nutzen als zu schaden.“ (Seite 200) Arno Geiger – das erfährt man in diesem Buch – wollte von jungen Jahren an schon Schriftsteller werden. Die ersten Bücher wurden aber nicht erfolgreich. Um seinen Bestseller „Es geht uns gut“ auf den Markt zu bringen musste er mit dem Verlag kämpfen. Letztlich bekam er dafür den Deutschen Buchpreis und sein Leben änderte sich. Hundert Auftritte, Lesungen und Interviews hatte er zu absolvieren, aber wenn er nach Wien zurückkam, ging er seinem zweiten Beruf des „Altpapiersammelns“ nach. Es erstaunte ihn aber, dass er, der bekanntgewordene Buchpreisgewinner, auf der Straße in der Sammlerkluft nicht erkannt wurde. Aber das Stöbern in Papiercontainern und das Rumfahren wurde zum Teil seines Lebens. „Erfahrungen, die außerhalb meiner Reichweite lagen, wurden mir zugänglich. Die Runden eröffneten mir Einblick in Bezirke des menschlichen Lebens, denen ich sonst nicht so nahe gekommen wäre.“ (Seite 158) Der Erzähler pendelt in seinem Leben zwischen den Städten Wien und Wolfurt. Immer wieder besucht er seinen dementen Vater und fühlt mit ihm. Als aber dann auch seine Mutter mit 72 Jahren einen Schlaganfall erlitt und stark eingeschränkt war, traf ihn das sehr. Mit ihm fühlt man als Leser, wenn er die Situation zum Greifen nahe schildert. Es erschütterte ihn, wie er sah, dass seine Mutter, die Lehrerin, bei der auch er zur Schule gegangen ist, von der er lesen und schreien gelernt hatte, jetzt selbst nicht mehr schreiben konnte, nicht mehr alles Gelesene verstand. Der demente Vater hat einen größeren Wortschatz, als die belesene Mutter. ABER: sie war eine Kämpferin und das bewunderte er wieder. Dieser Abschnitt des Buches ist etwas depressiv. Es geht ums Sterben und ums Ende des Lebens. Ein Ende nahm schließlich auch sein „Stadtstreichertum“. Er beendet die Fahrten zu den Papiercontainern und wenn, dann nahm er nur mehr jene Bücher, die er zum Eigenbedarf brauchte. Auch der Verkauf am Flohmarkt wurde eingestellt. Ein neuer Lebensabschnitt begann. Trotzdem erschien es ihm wichtig, diese „Runden“ zu drehen. Jetzt aber mehr aus gesundheitsvorsorglichen Überlegungen. Auch die Anschaffung eines eBikes wurde (noch) abgelehnt. Er registriert anhand des Abfalls die Veränderungen der Gesellschaft. „Die Liebesromane wurden von Jahr zu Jahr weniger, die Kriminalromane von Jahr zu Jahr mehr.“ (Seite 189) Der gesellschaftliche Wind wurde rauer. Er blickt zurück und gibt auch preis, dass seine wertvollste Findung in den Containern eine Schrift aus dem Jahr 1519 war. Geiger kehrt in diesem Buch sein Inneres nach außen. Man lernt generell viel von anderen Menschen und wie hier kennt man auch das eine oder andere von sich selbst. Streckenweise ist es auch ein Rückblick auf das eigene Leben, wie man es von einem älteren Menschen erwarten würde. Selbst meint er „Mir ist klar, ein Buch über mich selbst das ist schwierig, schwieriger als ein Roman.“ (Seite 194) Den Lesern wünscht er, „dass alle, die das Buch lesen, darin etwas für sie Wichtiges finden.“ (Seite 226)