Mithras-Kult in der Kienbachklamm bei Strobl#
Die Kienbachklamm bei Strobl nimmt unter den österreichischen Felsbild-Fundorten insofern eine herausragende Stellung ein, als hier auf engem Raum (auf einer Länge von bloß dreihundert Metern) über vierzig Felsbildwände konzentriert sind, was z. B. die ebenfalls diesbezüglich reich "ausgestattete" Notgasse im Kemetgebirge noch übertrifft.
Ursprünglich hatte man geglaubt, in der Kienbachklamm neben den vielen Leiter-Motiven, den Rauten und Sonnenrädern auch die Abbildung eines Mammuts entdeckt zu haben. Dies hätte das sensationelle Alter der Zeichnungen von zehntausend Jahren, nämlich jenes der ausgehenden letzten Eiszeit, bedeutet. Mittlerweile haben die Geologen aber nachgewiesen, dass in unseren Breiten die Verwitterung im Kalkgestein so stark ist, dass Ritzzeichnungen - auch in geschützten Nischen und Höhlen - sich kaum länger als drei-bis viertausend Jahre halten können, somit höchstens in die Eisen- und Bronzezeit zurückreichen. Die Natur hat das Mammutmotiv durch zufällig entstandene Auswaschungs- und Verwitterungsformen hier bloß vorgegaukelt.
Hingegen wurden in der Kienbachklamm rund 75 Darstellungen von Leitern und 30 von Radkreuzen registriert, wofür es in Europa keine Parallelen gibt. Wissenschafter sind der Meinung, dass diese große Anzahl auf engstem Kaum einen kultisch-religiösen Hintergrund haben muss. Beide Motive - Leiter und Rad - zusammen können dem Mithras-Kult zugeordnet werden: Seiner Vorstellung nach ermöglichte die Leiter dem Menschen den Aufstieg zum Sonnengott Mithras.
In der Spätzeit des Römischen Reiches war der Mithras-Kult in vielen Garnisonsorten auf heute österreichischem Boden stark verbreitet, und zwar nicht nur in der oberen Gesellschaftsschicht, sondern auch bei den einfachen Soldaten, den niederen Beamten, Zollbediensteten und Bauern. Sie alle suchten in kleinen, überschaubaren Glaubensgemeinschaften ihr Heil. Vor allem das strenge Schweigegebot über ihre - den Männern vorbehaltenen - Kulthandlungen und die geheimnisumwitterten Aufnahmeriten der Mithräer lassen ebenfalls auf einen abgeschiedenen Ort wie die Kienbachklamm schließen.
Dass der Kult auch im Raum von Bad Ischl ausgeübt wurde, ist durch eine Inschrift belegt, die lange Zeit an der Pfarrkirche oberhalb der Turmuhr angebracht war, heute jedoch nicht mehr erkennbar ist.
Sollte es sich bei den Zeichnungen in der Klamm tatsächlich um mithräische Symbole handeln, wären sie in das 4. und 5. Jahrhundert zu datieren, obwohl die Ausübung des Kultes wahrscheinlich schon seit Konstantin dem Großen (306-337) verboten war.
Skizzierte Fels-Ritzzeichnungen#
Quellen#
- Hilde und Willi Senft: Geheimnisvolles Salzkammergut. Magisches, Besonderes, Kurioses und Unbekanntes. Leopold Stocker Verlag, Graz 2002; 2. Auflage 2003.