Roman Hans Gröger: Die Pulsadern Europas. Franz Joseph und seine Eisenbahnen#
Roman Hans Gröger: Die Pulsadern Europas. Franz Joseph und seine Eisenbahnen. Verlag Berger Horn 2016. 120 S., ill., € 19,90
Jeder Wiener kennt die Franz-Josefs-Bahn. Kaum bekannt ist hingegen die zweite Linie, die seinen Namen trug, die Kaiser Franz Joseph-Orientbahn. Sie sollte von Österreich Richtung Konstantinopel und von Ungarn zur Adria führen. Doch die geplante "Pulsader Europas" bestand kaum zwei Jahre und geriet nur unvollständig. Schon während der Bauzeit gingen Strecken, Kapital und Mitarbeiter an die Südbahngesellschaft.
Roman Hans Gröger zeichnet die Geschichte der vergessenen Routen nach. Der Historiker ist als Referent des Staatsarchivs u.a. für das Eisenbahnwesen zuständig, was sich ideal mit seinen persönlichen Interessen trifft. Exakt bis ins Detail erläutert der Autor anhand archivalischer Primärquellen die Entwicklung der Orientbahn. Damit betritt er absolutes Neuland und schafft im Franz-Josephs-Jahr 2016 eine sehr spezielle Publikation über den Kaiser, einen Förderer des Eisenbahnwesens.
Dieses erlebte zu seiner Regierungszeit einen Höhepunkt. Bahnen waren wichtig für die Wirtschaft (Stichworte: Böhmische Kohlenreviere, Getreideausfuhr, Industrie) und das Militär. Aber auch Banken (Stichworte: Rothschild, Sina, Arnstein, Eskeles) und Kapitalgesellschaften, die mit Eisenbahnaktien spekulierten und die für die Errichtung vom Staat gewährten Zinsen- und Steuervorteile nutzten, profitieren davon. Mit dem Börsenkrach platzte 1873 die Spekulationsblase.
1856 hatte der Kaiser die Konzessionsurkunde für die Orientbahn unterzeichnet. Der Transitverkehr mit dem Osmanischen Reich und den Donaustaaten sollte über die Relationen Wien - Ödenburg - Fünfkirchen bzw. Wien - Komárom - Stuhlweißenburg - Semlin (jetzt ein Stadtteil von Belgrad) verlaufen. Der erste Eisenbahnplan für das gesamte Königreich Ungarn sah auch eine Verbindung nach Triest vor. Im Vorfeld wuren zahlreiche Komitees weitgereister und kaisertreuer Männer gebildet. Im folgenden Jahr konstituierte sich ein Verwaltungsrat. Die Angestellten waren in sechs Kategorien eingeteilt und trugen Uniformen, deren Aussehen die Publikation genau beschreibt. Die Aktien fanden im Inland geringes Interesse, ihre Kurse waren schwankend, eher sinkend. Der Bahnbau verzögerte sich, doch lagen konkrete Pläne für 30 Haupt- und Zwischenstationen vor. Sie stammten vom international angesehenen Fachmann Wilhelm von Flattich, der u.a. auch der Architekt des Wiener Südbahnhofs war. Spekulationen und Unstimmigkeiten führten 1858 dazu, dass das Netz der Kaiser Franz Joseph-Orientbahn der neu gegründeten Südbahn-Gesellschaft übertragen wurde. Der Monarch schrieb eigenhändig auf einen Antrag: "Erledigt durch Meine Entschließung vom 30. November d. J., zu folge welcher das Bestehen der Orientbahn aufhört."
Die zeitmäßig kurze Geschichte des ambitionierten Projekts würde, obwohl detaillert dargestellt, noch kein Buch füllen. Roman Hans Gröger hat daher, getreu dem Untertitel "Franz Joseph und seine Eisenbahnen", Kapitel über die Entwicklung des Schienenverkehrs in Österreich, Hinweise auf die Franz-Josephs-Bahn (wobei die Literaturempfehlungen sehr willkürlich erscheinen) und vorallem "Der Kaiser auf Reisen" angefügt. Bis 1870 ließen die Eisenbahngesellschaften Salonwagen bauen, die ergänzt mit Gepäck-, Speise- und Küchenwaggons Teile regulärer Züge waren. Später gab es eigene Hofzüge, um noch besser auf die Erfordernisse des Benützers einzugehen. Ein solcher 1891 gebauter "Palast auf Schienen" bestand aus acht Wagen. Deren Pläne und Fotos sind für Leser, die nicht zum harten Kern der Eisenbahnfans zählen, wohl der interessanteste Teil der Broschüre.
Den Franz Josephs-Bahnhof im 9. Wiener Gemeindebezirk gestalteten die Prager Architekten Ignaz Ullmann und Anton Barvicius so, dass der Monarch nicht mit den anderen Reisenden in Kontakt kam. Für diese befand sich die Abfahrts- und Kassenhalle an der heutigen Althanstraße, die Passagiere kamen an der Seite der Nordbergstraße an. "Die imposante Front des Gebäudes am heutigen Julius- Tandler-Platz mit ihrer Wagenauffahrt und den Säulen diente einzig dem Kaiser und seinem Hof." Den marmornen "Kaisersaal" im Nordbahnhof beleuchteten goldene Luster mit Kristallschalen. Die historistische Ausstattung des Hofwartesalons im Südbahnhof entwarf der Architekt des Parlaments, Oberbaurat Theophil Hansen. Hingegen plante Otto Wagner den Hofpavillon in Schönbrunn im Jugendstil.