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Toni Distelberger: Großvaters Geschichten #

Bild 'Distelberger'

Toni Distelberger: Großvaters Geschichten. Ein Leben im Mostviertel. Verlag Bibliothek der Provinz, Weitra 2013. 264 S., € 24,00 €

Das Farbbild auf dem Buchumschlag zeigt, vor Wald, Wiese und Weg im Hintergrund, einen alten Mann. Er trägt einen Kalmuckjanker, wie er in NÖ üblich war, einen Hut und hat einen weißen Schnurrbart. Die Frau an seiner Seite, mit Kleiderschürze, Wolljacke und Kopftuch, hält, wie er, den Stiel eines geschulterten landwirtschaftlichen Arbeitsgerätes. Das suggeriert, wie der Titel "Großvaters Geschichten. Ein Leben im Mostviertel", dass es sich um die Autobiographie aus dem bäuerlichen Bereich handelt.

Aber Großvaters Geschichten sind nicht (nur) die Geschichten der Abgebildeten - Markus und Katharina Distelberger. Es sind vielmehr Teile daraus - in der Interpretation eines ihrer 31 Enkel, Dr. Toni Distelberger. Als Wissenschaftler beschäftigt er sich seit einigen Jahren mit erzählten Lebensgeschichten. Viel theoretisches Wissen, Literatur, Reflexionen und Deutungen sind eingeflossen. Das gesamte Manuskript von Markus Distelberger wird nicht abgedruckt, nicht einmal klein gedruckt als Anhang. Der Text und die umfangreichen Anmerkungen enthalten vielmehr Vergleichsmaterial aus fremden Lebensgeschichten.

Der Enkel nähert sich dem toten Großvater mit dem Seziermesser. Seiner Familie gegenüber wendet er nicht immer die feine Klinge an, nichts bleibt anonym. Auch nicht die Verwandten, die in Interviews halfen, gewisse Lücken zu füllen. Naturgemäß weist jede Autobiographie Lücken auf. "Der Autobiograph entwirft das Bild von sich, so wie er es wünscht. Bei seinen Erinnerungen kann ihm keiner dreinreden. Durch seine Aufzeichnungen inszeniert er sein Auftreten in der Erinnerung der Nachwelt, speziell seiner Nachkommen, " schreibt der Herausgeber. Er zweifelt am Wahrheitsgehalt der Geschichten, an denen ihn am meisten die Lücken interessieren. "Für mich ist die Geschichte einfach noch nicht fertig erzählt. Mir geht da noch was ab. Vielleicht gefällt die Fortsetzung, die ich zu bieten haben werde, nicht allen. Wer glaubt, dass der Geschichte meines Großvaters nichts hinzuzufügen ist, wer der Meinung ist, sie wäre komplett und umfassend genug, der hält meine Retuschen sicher für überflüssig." Markus Distelberger (1892-1979) verfasste seine Autobiographie Ende der 1960er Jahre als 72-Jähriger. Sie präsentiert sich als Erfolgsgeschichte eines Waisenknaben - die Mutter starb bei der Geburt des 15. Kindes, der Vater einige Jahre danach bei einem Arbeitsunfall - der, allen Rückschlägen zum Trotz, ein angesehener Bauer und Familienvater wird. Nach Jahren als Knecht und Dienst im Ersten Weltkrieg wurde er Wirtschafter in einem Pfarrhof. Überhaupt spielt das katholische Milieu eine wichtige Rolle, sein älterer Bruder Michael fungierte als Generalvikar in St. Pölten. In der wirtschaftlich schlechten Zwischenkriegszeit dachte Markus Distelberger an Auswanderung, doch verliebte er sich 1923 im Mostviertel in eine Magd, mit der er eine Tochter hatte. 1927 heiratete er - inzwischen Kleinhäusler und Fabriksarbeiter - eine andere, eine zehn Jahre jüngere Bauerntochter. Zwei Jahre später kaufte er das Anwesen Hubbauer in Hochrieß. Bis 1942 hatte das Ehepaar acht Kinder. Beim Tod von Markus Distelberger war sein Enkel Toni 12 Jahre alt. "Fast sein ganzes Leben hat mein Großvater ohne mich verbracht und ich meines ebenso ohne meinen Großvater. Doch zeit meines Lebens lag sein Vermächtnis bereit. Ich musste mich nur darum kümmern," stellt Toni Distelberger fest. Die in ein leeres Kassenbuch geschriebenen Memoiren interessierten ihn erst, als er Ende 30 und selbst Vater geworden war. "Ein Segen ist es, dass ich meinen Großvater nicht mehr fragen kann, wie er das gemeint hat, was er geschrieben hat. Die Lebensgeschichte wird zur Flaschenpost, überantwortet dem Strom der Zeit. Bei wem immer sie ankommen mag, sie war für ihn bestimmt."