Doctor Johann Löschner#
Von Franz Allmer
Der erste Doktor der technischen Wissenschaften#
Seit dem 12. Jahrhundert erhielten namhafte Juristen, z.B. Irnerius, und ebenso hervorragende theologische Scholastiker die Bezeichnung eines Doctors. So wurden Thomas von Aquin Doctor angelicus, Alexander von Hales Doctor irrefragabilis, Gregorius von Rimini Doctor authenticus usw. genannt.
Mit dem Aufkommen der Universitäten zu Anfang des 13. Jahrhunderts wurde der Doctor zugleich "Lehrender" an seiner Universität, was meist mit sehr großen Kosten verbunden war. Der Doktortitel überwog in den Fakultäten der Juristen, Mediziner, Theologen und Philosophen. In der Regel war mit der Gründung einer Universität auch das Promotionsrecht verbunden.
Die rasante technische Entwicklung des 19. Jahrhunderts ließ das Bedürfnis nach höher ausgebildeten Technikern immer dringender werden. Der Impuls ging von der Polytechnischen Schule in Paris aus, die dann in ganz Europa Nachahmung fand. So entstanden Polytechnische Schulen, oder Polytechnika genannt, in Prag (1803), Graz (1811), Wien (1815) und Brünn (1849). Ab 1865/66 wurden sie in k.k. Technische Hochschulen umbenannt und ab 1872 von einem Rektor geleitet; bis dahin von einem Direktor, der aus dem Professorenkollegium gewählt wurde.
Aus der Disziplinar-Ordnung der steiermärkischen landschaftlichen technischen Hochschule (1865) geht hervor, daß die Aufnahme eines Hörers zwei Voraussetzungen erfüllen mußte:
- Besuch einer Oberrealschule oder eines Obergymnasiums nach § 15 und
- Ablegung der Aufnahmsprüfung nach § 16.
Mit diesen Voraussetzungen und dem Studienabschluß in Form von strengen Prüfungen, deren Bestehen durch ein Diplom nachgewiesen wurde, scheint der Übergang zur Gleichwertigkeit einer Universität gegeben.
Der Absolvent einer Technischen Hochschule erhielt in der k.k. Monarchie den gesetzlich geschützten Titel "Ingenieur" (ab 1938 nach damaliger Gesetzgebung "Diplom-Ingenieur").
Wie eingangs erwähnt, war auf den Universitäten die Einführung des Doktortitels seit dem 13. Jahrhundert gebräuchlich; er qualifizierte den Doktor als Lehrenden. An den Technischen Hochschulen fehlte also die Möglichkeit, einen Doktortitel zu erwerben. Man behalf sich in der österreichischen Monarchie mit einer weiteren strengen Prüfung zum "diplomierten Ingenieur", der der heutigen Habilitation gleichkam. Daß das ein besonders strenges Prüfungsverfahren war, geht aus einer Äußerung von Professor, diplomierter Ingenieur Adolf Klingatsch (1864-1926) hervor: "Das war die anstrengendste Prüfung, die ich je in meinem Leben durchzustehen hatte."
Trotz allem wurde der Ruf immer lauter, daß der Absolvent einer Technischen Hochschule auch die Möglichkeit haben sollte, ein Doktorat zu erwerben.
Kaiser Wilhelm hat mit Erlaß vom 11. Oktober 1899 den drei Technischen Hochschulen Preußens, Berlin-Charlottenburg, Hannover und Aachen, das Recht beigelegt, die Würde eines "Doctor-Ingenieurs" zu verleihen. Die übrigen deutschen Staa¬ten, Sachsen, Braunschweig, Baden, Hessen und Württemberg, schlossen sich dem Vorgehen Preußens in kürzester Zeit an. Auch das Königreich Bayern konnte auf die Dauer nicht zurückstehen, ohne sich der Gefahr auszusetzen, seine berühmte Technische Hochschule in München zu schädigen. Um jedoch eine Sonderstellung auch hier zu kennzeichnen, wurde ein anderer Titel, der eines "Doctors der technischen Wissenschaften" geschaffen.
Doktor der technischen Wissenschaften in Österreich#
Am 13. April 1901 erhielten die Technischen Hochschulen in Österreich (und deren gab es damals 12) gleichfalls das Recht, den Grad eines "Doctors der technischen Wissenschaften" zu verleihen. Die Erklärung für die nach österreichischen Verhältnissen erstaunliche Kürze der Frist ist darin zu suchen, daß Ungarn bereits vorangegangen war. Damit war aber der letzte Schritt getan, die völlige Gleichstellung der Technischen Hochschulen mit ihren weitaus älteren Schwesteranstalten, den Universitäten, zu vollziehen.In Österreich-Ungarn wurde das Reichsgesetz Nr. 38 vom 13. April 1901 erlassen. 37. Erlaß des Ministeriums für Cultus und Unterricht vom 13. April 1901 bereffend die Verleihung des Promotions-rechtes an die technischen Hochschulen der im Reichsrathe vertretenen Königreiche und Länder. "Seine k. und k. Apostolische Majestät haben mit allerhöchster Entschließung vom 13. April d.J. den technischen Hochschulen der im Reichsrathe vertretenen Königreiche und Länder vom Studienjahr 1901/1902 die Ausübung des Promotionsrechtes zum Grade eines Doctors der technischen Wissenschaften nach Maßgabe der zu erlassenden Vorschriften allergnädigst zu gestatten geruht."
Über die vorgenommene Promotionsfeier des ersten Technischen Doktorates innerhalb der ganzen Monarchie gibt wohl ein Artikel des "Grazer Volksblattes" vom Freitag, dem 15. November 1901, den besten Einblick:
"An der hiesigen Technischen Hochschule fand gestern, den 14. November mittags, die Promotion des k.k. Statthalterei-Ingenieurs Herrn Hans Löschner zum Doctor rerum technicarum statt. Es ist dies die erste Promotion zum Doctor rerum technicarum in Österreich und wurde deshalb besonders feierlich begangen. Der Festsaal war mit der Büste des Kaisers, die sich aus einer prächtigen Gruppe von Blattpflanzen erhob, geschmückt. Rechts hatten die Mitglieder des Academischen Gesangsvereines und links die academischen Verbindungen Stellung genommen. Groß war die Zahl der erschienenen Gäste, unter denen sich auch Damen befanden. Als Vertreter des Statthalters war der k.k. Hofrat Statthalterei-Vizepräsident Dr. Eugen Netoliczka anwesend. Ferner waren zu bemerken: Statthaltereirat Dr. Alfons Ritter von Scherer, Statthaltereirat Dr. August Schneditz, Bezirkshauptmann Präsidialsecretär Dr. Ferdinand Graf Stürkh, Oberbaurat Maurus, die Bauräte Friedrich Byloff, Victor Pirner, Friedrich Pernitsch, Ferdinand Edler von Reichenberg, Avelin Brunar, Baudirector i.R. Linner, Baudirector Putschar, Landesbaurat Adolf Rosmann, Landesoberingenieur v. Hervelly, der Director der landwirt-schaftlichen Oberrealschule Regierungsrat Dr. Franz Ilwolf, Professor Gemeinderat Dr. Julius Kratter, die Gemeinderäte Raimund Postl, Heinrich Cless usw. Zur Promotion des ersten Doctor rerum technicarum waren sämtliche Professoren der Technischen Hochschule erschienen.
Um 12 Uhr betrat der Rector der Technischen Hochschule, Professor Johann Wist, mit dem Promotor Professor Josef Bartl und dem Decan Professor Adolf Klingatsch den Festsaal. Rector Professor Wist hielt eine schwungvolle Ansprache, hinweisend auf die Bedeutung des Tages für alle, die auf dem Gebiet der Technik ihre Ausbildung suchen und erhalten haben, im allgemeinen, als für die Technische Hochschule in Graz insbesondere, da an ihr der erste Doctor rerum technicarum in ganz Österreich promoviert wird. Nach langem Ringen nach Anerkennung der Gleichberechtigung in dem Verlangen nach dem academischen Grad durch Verleihung des Doctortitels ist es endlich gelungen, diese Anerkennung zu finden, welche in der ersten Promotion zur Tatsache wird. Diese Errungenschaft ist den vereinten Bestrebungen des "Verbandes ehemaliger Grazer Techniker", der Tätigkeit des "Clubs der Techniker" in Graz und den anläßlich der Tagung der Ingenieur-Vereine in Wien gefaßten Beschlüssen und der Ausführung derselben zu danken, daher auch dieser Dank heute offen zum Ausdruck gebracht werde. Dem zu Promovierenden überbrachte der Rector die herzlichste Gratulation und ein kräftiges „Glück auf“ zu seinen weiteren Bestrebungen, worauf über Ersuchen des Rectors von Professor Bartl die Promotion in der üblichen Weise vorgenommen wurde. Dr. Hans Löschner sprach den Dank für die ihm gewordene Auszeichnung durch Verleihung des Doctorgrades, die ihn umsomehr erfreue, da seine Graduierung eine umso höhere Bedeutung erhalte, da sie in ihrer Art die erste in Österreich sei. Er werde stets vorwärts streben, denn es gibt auf dem Gebiet der Technik keinen Stillstand, sondern nur ein Vorwärts ohne Unterlaß. Dem ersten Doctor rerum technicarum in Östrreich wurden von den Festgästen die innigsten Glückwünsche gebracht, ebenso von der Studentenschaft, die bei seinem Abgange Spalier bildete und in Hoch- und Heilrufen ausbrach. Eingeleitet wurde diese feierliche Promotion mit der vom Academischen Gesangsvereine unter des Chormeisters Zack bewährter Leitung vorgetragenen "Hymne" Beethovens, den Schluß bildete das "Gaudeamus".
Doctor Johann Löschner#
Wer war nun dieser erste Doctor der technischen Wissenschaften?
Hans Löschner wurde an 22. Juni 1874 in Leoben geboren. Nach der Pflichtschule kam er zum Studium des Bauingenieurwesens an die Technik in Graz und legte im Juli 1897 die zweite Staatsprüfung ab. Bereits im Februar desselben Jahres war er zum Assistenten an der Lehrkanzel des Geodäsieprofessors Josef Wastler ernannt worden. In den Studienjahren 1897/98 und 1898/99 war er als Supplierung für den erkrankten Prof. Wastler tätig.
Nach dessen Tod behielt er die Assistentenstelle auch noch beim Nachfolger Professor Adolf Klingatsch bei, um einen anderen Übungsbetrieb kennenzulernen. Während seiner Tätigkeit als Assistent wurde er im Herbst 1897 in den Baudienst der steiermärkischen Statthalterei in Graz aufgenommen. In dieser Funktion hatte er umfangreiche Vermessungsarbeiten auszuführen. Sie reichten von Flußaufnahmen bis zu grundlegenden Aufnahmen für Hoch- und Straßenbauprojekte. Er war auch an der Triangulierung zur Absteckung des Bosrucktunnels beteiligt und wirkte an der Kommissionierung der Eisenbahnlinie von Mariazell nach Gußwerk mit.
Im September des Jahres 1901 wurde ihm das österreichische Patent Nr. 5782 auf eine Vorrichtung für Präcisions-Stahlbandmessung erteilt. Zur selben Themenstellung hatte er unter dem Titel "Genauigkeitsuntersuchungen für Längenmessungen mit besonderer Berücksichtigung einer neuen Vorrichtung für Präcisions-Stahlbandmessung" eine Dissertation verfaßt und wurde am 14. November 1901 zum Doctor der technischen Wissenschaften promoviert. In der weiteren Folge war er als Leiter für Hochwasserschutzbauten tätig. Vom November 1907 bis November 1932 war Hans Löschner als Professor der Geodäsie, Sphärischen Astronomie und Photogrammetrie an der damaligen Deutschen Technischen Hochschule Brünn tätig. Berufungen an die Deutsche Technische Hochschule in Prag (1922), an die Technische Hochschule in Graz (1926) und an die Technische Hochschule Wien (1933) nahm er nicht an. Von 1943 an lebte Hans Löschner in Wien und stellte sich ab 1946 als Honorarprofessor der Universität Wien sowie der Montanis-tischen Hochschule Leoben zur Verfügung. Hans Löschner verstarb am 20. Juli 1956 in Wien.
Literaturhinweise:#
- ALLMER, Franz: Das Studium des Vermessungswesens in Graz, 1811-1983, Mitteilungen der geodätischen Institute der Technischen Universität Graz, Folge 48, Graz 1984
- ALLMER, Franz: Das erste Doktorat in der österreichischen k.u.k. Monarchie, in: Der Wirtschaftsingenieur, 25(1993)4, S. 18-21
- BROCKHAUS: Konversationslexikon: Der große Brockhaus, Jahrgang 1910, 1933
- LÖSCHNER, Fritz: In memoriam o.ö. Professor Dr.techn. Hans Löschner, 1874-1956, Mitteilungen der geodätischen Institute der Technischen Universität Graz, Folge 47, Graz 1991
© Text und Bilder: Josef W. Wohinz
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