Cruising#
Wenn sich die Youngtimer-Szene trifft#
von Martin KruscheDie „Benzinbrüder“, in der englischen Sprache „Petrolheads“, sind Völkchen, die verschiedene Gebiete eines Ensembles von Subkulturen beleben, in denen sich wesentliche Kapitel unserer Mobilitätsgeschichte abbilden. Das sind die Zusammenhänge, in denen wir dann übrigens eine gut beschreibbare „Volkskultur in der technischen Welt“ (H. Bausinger) finden.
Es geht um Rituale und Codes rund um Artefakte, die gemäß verschiedener Denkschulen gepflegt, gehandhabt, teils auch modifiziert werden.
Dazu gehört selbstverständlich, daß man bei den Treffen quer durch das Jahr stets schaut, was andere haben, dabei zeigt was man selbst hat. Sehen und gesehen werden… Cruising ist das englische Wort für Kreuzfahrt.
Crusader steht für Kreuzritter. Cruiser ist der Kreuzer, ein Schiffstyp, eine britische Panzerklasse, aber als Begriff auch für Fahrräder und Motorräder in Gebrauch.
Ich wußte, was Cruising ist, nachdem ich den Film „American Graffity“ (1973) gesehen hatte. Mehr nicht. Zum Glück kannte ich einen Amerikaner, von dem ich zu hören bekam, wie man den Filmtitel ausspricht. Regisseur George Lucas sagte mir gar nichts. „Star Wars“ kam erst später.
„American Graffity“ ist die sentimentale Geschichte eines Rudels Teenager in jener Nacht, wo für einige von ihnen die vertraute Jugendzeit endet.
Diese Geschichte spielte sich überwiegend in fahrenden Autos ab, in einem durch die Nacht fließenden Cruising. Die Autos erschienen im Film als ebenso wichtig, wie das menschliche Personal.
In den 1970ern gab es nichts Vergleichbares zur „Internet Movie Cars Database“, wo man sich über den Fuhrpark des Filmes hätte informieren können: (link) Ich war zu jener Zeit im Wissensgewinn auf teure, aus Amerika importierte Journale über Custom Cars, Hot Rods und Chopper angewiesen.
Es war seinerzeit mühsam, über modifizierte amerikanische Autos und die einschlägige Szene Informationen zu bekommen. Durch Modellbausätze und Kataloge, wie sie etwa die Produzenten Revell oder Monogram anboten, wußte ich zumindest ein paar Dinge zum Grundsätzlichen.
Die Dreifenster- und Fünffenster-Coupés von Ford waren zentrale Stil-Ikonen; rund um das 1932er Deuce Coupé mit dem damals brandneuen Flathead V8-Motor. In diversen Pop-Songs, am prominentesten bei "Little Deuce Coupe" von den Beach Boys, hört man das „Düss-Kupp“ ausgesprochen.
Amerikas Teenager konnten den Führerschein früher erhalten als wir. Wir teilten mit ihnen einige grundlegende Probleme, nämlich die Fragen, wie man a) Mädchen beeindruckt, b) für sich gewinnt, plus c) wo man ein Weilchen ungestört sein kann, falls man gelandet ist. Autos sind dabei, wie wir damals herausfanden, vorzügliche Medien.
Dieses Herumkurven, ein Promenieren in Automobilen, um andere zu beeindrucken, um sich kennenzulernen, um manchmal auch in ein illegales Straßenrennen zu führen, das ist eben… Genau! Cruisng.
Wir hatten Ende der 1970er ähnliche Marotten entwickelt, bloß waren die Autos unspektakulärer. Die Karren kamen, wie bei den amerikanischen Teenies, von Kiesplätzen, aus kleinbürgerlichen Garagen oder sogar vom Schrott-Handel, je nachdem, über wie viel Geld und handwerkliches Geschick jemand verfügte.
Das waren dann freilich keine von V8-Triebwerken befeuerte Gebrauchtwagen, sondern kleine Puch-Schammlern, Simca 1000, Renault 4, Enten und Käfer, mancher Mini darunter, auch exotische Ausreißer wie ein Hillman Imp, aber nichts Großes. Europäischer Standard auf dem Second Hand-Feld meiner Jugendzeit, da die Massenmotorisierung der Gesellschaft endlich satte Betriebstemperatur erreicht hatte.
Autofahren als Freizeitvergnügen war damals frei von Ressentiments, von Einwänden aller Art. Der Sprit ist billig gewesen und notfalls wurde mit Lack wie mit Klebefolie simuliert, was realer Aufwand an den Autos nicht bewirken konnte: Motorkraft, individuelles Auftreten, Exklusivität.
Was heute Cruising ist, hatte seine historische Entsprechung schon im Österreich des frühen 20. Jahrhunderts. Da nannte man das Korso. Es blieb damals ausschließlich wohlhabenden Leuten vorbehalten, weil in meinem Herkunftsmilieu Automobile erst nach dem Zweiten Weltkrieg allgemein erschwinglich waren.
„Mit der langsamen Etablierung des Automobils fand 1925 zum ersten Mal ein Benzinblumencorso statt, doch Autos waren damals noch rar gesät und es sollten nur zehn teilnehmen. Industrielle, gesellschaftliche und finanzielle Größen stellten ihre Automobile zur Verfügung, die zugleich für Biersorten, Eiscreme, Seifen und ähnliche Produkte warben.“ So nachzulesen im Absatz „Vom Blumen- zum Benzinblumencorso“ in „Blumen, Bier und Backhendl“ von Clemens Marschall.
Dieses Flanieren mit Automobilen ist seinerseits mit einer entsprechender Vorgeschichte unterlegt. In der Belletristik, aber auch in Spielfilmen, die einer Verklärung der Monarchie gewidmet sind, findet man die Entsprechungen von Leuten zu Pferd oder in Kutschen, wie sie sich etwa in Prater-Alleen um das effektvolle Sehen und Gesehenwerden kümmern.
Zurück in die Gegenwart. Wenn Micky Tieber, Frontman der Alltagsklassiker, einen Car-Freitag ausruft, ist das eine gesellige Sache mit lockeren Umgangsformen. Das „Friday Night Cruising Graz“ wurde zu einem Treffen der Schrauber- und Sammler-Szene.
Es war bisher an Graz gebunden, mit einer jungen Ausnahme. Für Mythos Puch III verlagerte sich das Cruising nach Hofstätten an der Raab: (link)
Das Mission Statement der Alltagsklassiker lautet: „Unser Ziel war und ist, wie schon in den vergangenen Jahren, im Großraum Graz einen lockeren Treffpunkt zu installieren, an dem Fahrer von Youngtimern und Oldtimern ungezwungen ihr Fahrzeug ausführen können, mit gleichgesinnten Gespräche zu führen, einen Happen zu essen und evtl. im Anschluß daran noch eine Runde zu cruisen.“
Dazu die Einschränkung: „Gecruist wird nur noch selten, durch die große Anzahl an Teilnehmern ist das Alltagsklassiker Friday Night Cruising mehr und mehr zu einem Parkplatztreffen geworden.“ Dann aber zum Beispiel, anläßlich Mythos Puch III: „In kleiner Runde sind wir noch eine Runde durch Gleisdorf gecruist um schlußendlich im True Fellas Diner den Tag ausklingen zu lassen.“
Tieber hat dafür gesorgt, daß ein Markenfetischismus, wie ihn herablassende Menschen gelegentlich hätscheln, hier keinen Boden gewinnt:
„Willkommen sind bei uns alle Fahrzeuge (Autos, Mopeds, Motorräder und Fahrräder) die über 20 Jahre alt sind, egal ob Old- oder Youngtimer, egal welcher Marke und Type, US-CARS , europäische Fahrzeuge, Nipponklassiker, im Topzustand, als Ratte, zeitgenössisch getunt oder mit kleinem Budget am Leben erhalten – alle sind gleichwertig und herzlich willkommen!“
So sind klassische Bürgerkäfige und rare Sportgeräte ebenso auf dem Set zu finden wie traditionelle Straßenkreuzer, Feuerwehrautos oder die Allzweckwaffen von Street Warriors.
Ob tiefgelegter Volvo oder hochgestochene Corvette, ob seltener Honda Roadster oder der ebenso seltene Steyr-Fiat 600, wie schon angedeutet, es zählt: Schauen, was da ist und zeigen, was man hat.
Dazu ein Menge Plauderton und auch allerhand Fachsimpelei, sei es zur Lösung von technischen Problemen, sei es bezüglich der oft schwierigen Ersatzteilbeschaffung.
Es ist also eine sehr freundliche Manifestation des zeitgemäßen Ikarier-Daseins, bei dem laufend Wissensarchäologie betrieben wird, denn Know how zum Erhalt der historischen Fahrzeuge ist äußerst flüchtig und manches davon nicht dokumentiert.
+) Ein Beitrag zu "Wir sind Ikarier" (link)
+) Alltagsklassiker (link)
Weiterführendes#
ÖGHK - Österreichische Gesellschaft für historisches Kraftfahrwesen
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