Fachbuch auf Raten#
(Österreichische Automobilgeschichte in kleinen Bildchen)#
von Martin KruscheIch hatte kürzlich einigen Spaß rund um das Schreiben des Beitrags „Markenware“ (Das flache Museum). Erstens bin ich immer noch mit Kinderlaune am Postschalter, wenn eine gewünschte Sondermarke in Aussicht steht. So ein Moment war Auslöser für jenen Text. Zweitens hab ich dazu eine dunkle Schublade geöffnet, um nach altem Papier zu suchen.
Meiner Briefmarkensammelung besteht wesentlich aus zwei Teilen. Ein junges Konvolut, das der Mobilitätsgeschichte gewidmet ist. Damit hab ich vor einigen Jahren begonnen, weil mir dieses Genre interessantes und preiswertes Bildmaterial liefert. Sozusagen ein Fachbuch auf Raten.
Dann gibt es aber auch diesen alten Teil aus meinen Kindertagen. Dazu gehören einige Alben mit Marken, die noch von meiner Großmutter Marianne stammen. Sie war die Tochter des Fleischhauermeisters Matthias Renner, damit die Nichte des Artisten Franz Renner, die Cousine von Alexander und Anatol Renner, also der Renner-Buben, die zu Kaisers Zeiten Motorradrennen fuhren und außerdem zwei Luftschiffe bauten. Eines davon, die Estaric, war von einem Puch-Motor angetrieben, brachte es allerdings bis heute zu keiner österreichischen Briefmarke.
In jenen alten Alben aus meiner Volksschulzeit sind all jene Briefmarken vorhanden, die in der Zweiten Republik auf den Markt kamen und Automobile zeigen. Ich hab als Kind die eher naturgetreuen Darstellungen bevorzugt. Heute kenne ich ein besonderes Faible für Gebrauchsgraphik aus vergangenen Tagen. Darunter sticht eine Sondermarke hervor, die zum Tag der Briefmarke im Jahr 1978 herauskam. Sie zeigt ein frühes Nutzfahrzeug, das ich als Kind nicht identifizieren konnte und einfach für einen stilisierten Autobus hielt. (Die Marke hat den auffallend hohen Nennwert von 10+5 Schilling.)
Vor einigen Jahren landete dieser Postbus als Modell im Maßstab 1:87 in meiner Sammlung. Es ist eine Miniatur der Einheitstype von 1913, zu der auch der Betrieb von Johann Puch Komponenten beigetragen hat. So begann die Ära einer Entwicklung von Flottenfahrzeugen, die ökonomisch gehalten werden sollten. Als Maßnahme gegen einen Fuhrpark voller Busse verschiedener Anbieter, was die Kosten für Ersatzteile, Lagerhaltung und Service unüberschaubar gemacht hätte.
Statt dessen ein Automobil nach klaren Vorgaben, zu deren Produktion die verschiedenen Betriebe der Monarchie in Anspruch genommen wurden. Das war zugleich Ausdruck der Zweiten Industriellen Revolution. Automaten und Halbautomaten in den Fabriken ermöglichten die Herstellung größerer Stückzahlen von Komponenten wie etwa Wellen und Zahnräder. Man hatte verstanden, daß zunehmende Qualitätskontrolle einen Sprung in der Geschäftsentwicklung bewirken konnte. Siehe zu diesem Teil der Geschichte: „Industrielle Revolutionen“ (Ein kleiner Überblick)!
Ich hatte schon darauf verwiesen, daß im Austria-Forum die Briefmarken Österreichs seit dem Jahr 1947 dokumentiert sind, also auch im Detail beschrieben. Aus diesem Konvolut läßt sich die Automobilgeschichte des Landes schön hervorheben. Allerdings lief es zu diesem Teilthema bis 2010 eher salopp. Sporadisch kamen Beiträge von sehr unterschiedlicher graphischer Qualität daher.
Im Jahr 2009 erschien anläßlich „50 Jahre Steyr-Puch Haflinger“ eine Aufriß-Zeichnung des kleine Allraders. 2010 tat sich nichts. 2001 war eine spröde Graphik einfach mit Puch 500 unterschrieben. Das meint den Steyr-Puch 500. Was vom Werk erst als Eisblau und dann als Hellblau bezeichnet wurde, wirkt hier weit kräftiger als das Original. Der „Vogel“ auf der Nase markiert das zweite Baumuster, am ersten hätte man den „Kanaldeckel“ gesehen.
Im gleichen etwas altbackenen Graphik-Stil war 2011 auch ein Motorrad ausgegeben worden, die KTM 125 in der Rennversion. In eben diesem Zeichenstil hatte die Post 2006 eine Geländeversion der KTM 125 und den populären Steyr 220 aufgelegt. Blickt man weiter zurück, klafft da wieder eine Lücke. Im Jahr 2002 finden sich zwei Meilensteine, die Puch 175 SV sowie der Gräf &V Stift Typ 40/45.
Das war offenbar der Auftakt jener Gestaltungslinie, denn davor steht im Jahr 2000 ein Cannstatter Daimler-Omnibus, der erstens nicht zum österreichischen Automobilbau gezählt werden kann und zweitens in Graphik wie Typographie nicht ganz augenfreundlich ausgefallen ist. (Zu viele Details!)
Zurück in die nähere Vergangenheit. Im Jahr 2012 kam der Richtungswechsel in der Gestaltung. Das sind bis heute zwei graphische Varianten, die den Automobil- und den Zweiradsektor trennen. Diesen Richtungswechsel markiert ein Steyr XII in spezieller Karosserie-Ausführung als Taxi-Landaulet. Nebenan -- im gleichen Jahr -- der unverwechselbare Lohner-Roller L 125. Damit ist eine Darstellungsart eingeführt, die wir bis heute bei den weiteren Ausgaben finden. Das Fahrzeug selbst freigestellt, auf einfärbigem Hintergrund, der jedoch in einer verlaufenden Schattierung gehalten ist.
Dem folgte 2013 der Porsche 356 Nr.1 Gmünd, also jener erste Porsche dieser Marke überhaupt, wie er von Ferdinand Porsche und Designer Erwin Komenda in Kärnten geschaffen wurde. Hier wieder die gleiche graphische Linie wie beim Steyr XII, inklusive des Firmenlogos. Dagegen im selben Jahr die zarte HMW Z 50, ein Moped aus Hallein, in der Darstellung wie der Lohner-Roller, aber ohne Logo.
Im Jahr 2014 ein Austro-Daimler ADR 22/70 und das Zweier-Ponny von KTM. Im Folgejahr darf angenommen werden, daß spätestens jetzt ausgesprochene Kenner bei der Wahl der Motive mitreden. Die schlanke Delta Gnom LM 125 ist eine Rarität, ebenso das 700er IMP Coupé auf Steyr-Puch-Basis.
So speziell geht es 2016 weiter. Die Puch 125 LM war ein großer Wurf von Giovanni Marcellino, dem Graz verdankte, daß es die Puchwerke weiter gab, denn Spekulant Camillo Castiglioni wollte den Betrieb liquidieren. Und der Denzel WD Super 1300 ist überhaupt nur ausgesprochen Liebhabern bekannt, wird gerne versehentlich für eine Version des Porsche 356 gehalten.
Das Jahr 2017 war den Grazer Erfolgsgeschichten reserviert. Der Puch Roller 150 SR ist heute bei vielen Klassiker-Treffen zu sehen. Nach dem Puch XII Alpenwagen müssen Sie allerdings in Museen suchen oder einen privaten Sammler auf Knien um Zutritt zu seinen Hallen anflehen. Aus dieser Ära der Puchwerke sind kaum Automobile erhalten.
Nun, 2018, ist das Steyr Baby schon da, von dem die eingangs erwähnte Geschichte („Markenware“) ausgelöst wurde. Ein hinreißendes Stromlinien-Auto von Konstrukteur Karl Jenschke. Außerdem dürfen wir heuer mit der KTM R 125 Grand Tourist rechnen. Und das ist ein Glück, denn bei Oldtimer-Veranstaltungen ist mir noch keine KTM-Mopperl jener Ära untergekommen, da geht’s meist erst von der Ponny aufwärts und das war’s.
Wir könnten übrigens in Österreich historisch auch von den „Großen Drei“ sprechen. In Amerika sind das geflügelte Worte, mit denen ursprünglich Chrysler, Ford und General Motors gemeint waren. Auf die Gegenwart trifft das ja nicht mehr zu, denn daß sie „Big“ seien, ist Geschichte. Kleiner Einschub: Derzeit ist der Welt größter Automobilproduzent Toyota. Siehe dazu: „Im Wandel“!
In Österreich bieten sich für so eine Zuschreibung Austro-Daimler, Puch und Steyr an, wie sie unter den Briefmarken der Zweiten Republik nun mit prominenten Exemplaren vertreten sind. Manche PR-Fachkräfte lassen sich übrigens hinreißen, Graz als das „Detroit der Alpen“ vorzuführen. (Detroit ist der Stammsitz der Big Three.) Mir erscheint das unpassend. Zu verschieden sind die Geschichten der Städte und der Automobilkonzerne, vielfach auch der einzelnen Produkte, zu verschieden Tradition und Dimension.
Außerdem werden mindestens Fans mit vertiefter Sachkenntnis bei Österreich noch Laurin & Klement mitdenken, ohne deren Anteil die Story nur lückenhaft erzählt wäre. Das historische Österreich hätte mindestens die Großen Vier betonen können, vielleicht sogar eine fünfte Position. Die Nesselsdorfer Wagenbau-Fabriks-Gesellschaft, später Tatra.
Aber da Laurin & Klement in Skoda aufging und Skoda schließlich, wie Tatra, hinter dem Eisernen Vorhang verschwand, ist Laurin & Klement offenkundig nicht mehr im Fokus. Ich würde diesem Konzern sofort eine eigene österreichische Marke widmen, vorzugsweise mit einer der Voiturettes, wie sie Laurin & Klement von 1905 bis 1907 gebaut wurde. Und auch Tatra ist in seiner Historie bedeutend genug, um in Österreichs Automobilgeschichte berücksichtigt zu werden.
Post Scriptum:#
Der Text stammt aus dem Jahr 2018. Die Bildunterschrift "Wäre für eine österreichische Briefmarke fällig: Laurin & Klement Voiturette Typ A 1906..." hat nun, im Herbst 2020, eine Entsprechung. Hier ist die Marke: (Link)