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Mythos Puch VI: Intro#

(Ein laufender Prozeß)#

von Martin Krusche

Fährt man über die Bundesstraße von Gleisdorf östlich weiter nach Ilz, passiert man einen weiteren Meilenstein, wie auch einer in Gleisdorf steht. Diese Wegmarken stammen allerdings nicht aus der römischen Antike. Sie wurden anläßlich des Wiener Kongresses errichtet, als man die sogenannte Ungarnstraße verbessert hatte.

Der Meilenstein aus den Tagen des Wiener Kongresses. (Foto: Martin Krusche)
Der Meilenstein aus den Tagen des Wiener Kongresses. (Foto: Martin Krusche)

Jene politische Veranstaltung zur Neuordnung Europas fand von September 1814 bis Juni 1815 statt und war, nebenbei bemerkt, ein Festival der besten Kutschen, mit denen sich die honorige Herrschaft damals zeigte.

Das Ereignis wurde von einem anderen berührt, welches viel unspektakulärer blieb, aber für die Steiermark weitaus bedeutender war. In den Jahren 1815 und 1816 bereiste Erzherzog Johann von Österreich England, um in der damals führenden Industrienation der Welt Innovationen kennenzulernen, vor allem auch die nun optimierten Dampfmaschinen von James Watt.

Dieser Bruder des Kaisers Franz I. setzte seine grenzenlose Wißbegier und ein enormes Vermögen ein. Durch ihn erhielt die Steiermark bedeutende Impulse, um von einer rückständigen Region zu einem zeitgemäßen Gebiet zu werden, dessen Talente bis heute ungebrochen für technische Innovationen sorgen.

Zu jener Zeit, im April 1815, brach in Indonesien der Vulkan Tambora mit solcher Wucht aus, daß die Erdatmosphäre schwer belastet wurde und sich weltweit Klimakatastrophen ereigneten, die auch in Europa für Mißernten sorgten. Das verursachte ein großes Pferdesterben. (Diese Tiere stehen, anders als die Rinder, in einer direkten Nahrungskonkurrenz zum Menschen.) Durch derlei Vorkommnisse erlitt Europas Wirtschaft, vor allem die agrarische Welt, eine enorme Einbuße an Zugkraft.

Wenn also in jenen Jahren Dampfmaschinen neue Kraftquellen für allerhand Branchen ergaben, wenn Karl Freiherr von Drais anno 1817 seine Laufmaschine vorführte und damit die Geschichte des Fahrrades begründete, so sind das nur zwei Beispiele, wie sich die Menschen mit technischen Entwicklungen gegen alte und neue Belastungen wappneten.

Ein erfahrenes Duo: Manfred Haslinger (links) und Fredi Thaler. (Foto: Martin Krusche)
Ein erfahrenes Duo: Manfred Haslinger (links) und Fredi Thaler. (Foto: Martin Krusche)

Mit dem Anbrechen jenes Maschinenzeitalters begann ein Prozeß, der uns nun seit rund zwei Jahrhunderten in einer permanenten technischen Revolution leben läßt, deren Tempo bis heute laufend zunimmt.

Die Grundlagen dazu haben wir aber seit der Antike. Die Arbeiten eines Archimedes sind selbst Laien mit wenig Geschichtsinteresse irgendwie geläufig, wenigstens seine Hebelgesetze. Seit der Entschlüsselung des Mechanismus von Antikythera wissen wir überdies, daß im alten Griechenland auch Feinmechanik auf hohem Niveau in Gebrauch war. Siehe dazu: Rosa, Rosae, Rosae... (Wozu über die Antike nachdenken?)

Zurück zu Erzherzog Johann. Seine Sammlungen, durch die er bemüht war, Know how in die Steiermark zu bringen, sind als Joanneum institutionalisiert worden, heute: Universalmuseum Joanneum. Diese Einrichtung gilt als Vorläufer der Technischen Universität Graz, welche ein markanter Beleg ist, wie sich innerhalb des genannten Zeitfensters, der 200 Jahre permanenter technischer Revolution, die Maschinenwissenschaften entwickelt und etabliert haben, das Ingenieurswesen.

Der eingangs erwähnte Meilenstein vor Ilz liegt auf dem Weg, den ich kürzlich mit Techniker Markus Rudolf nach Nestelberg nahm, wo wir unter anderem Siegfried Graf trafen, den Gründer von „Graf Carello“. Siehe dazu die Notiz Erkundungen (Der Handwerker und der Ingenieur)

Autor Martin Krusche (links) und Unternehmer Siegfried Graf. (Foto: Pepsch Jandrisits)
Autor Martin Krusche (links) und Unternehmer Siegfried Graf. (Foto: Pepsch Jandrisits)

Dieses Motiv, der Handwerker und der Ingenieur, finde ich auch, wenn ich Altmeister Fredi Thaler in seinem Schuppen besuche und Manfred „Hasi“ Haslinger gerade auf dem Set ist, weil die beiden gelegentlich an einem gemeinsamen Projekt schrauben. Thaler, der Handwerker, und Haslinger, der Ingenieur aus der Versuchsabteilung der Puchwerke.

Sie ahnen nun gewiß, es ist kein Zufall, daß ich diesen Zusammenhang hier so betone und in einigen Aspekten aus der Antike herleite, um eine Ausgangspunkt für die Phase II von Mythos Puch VI zu markieren.

Das altgriechisch Wort téchne ist mit Fähigkeit, Handwerk, Kunstfertigkeit zu übersetzen. Wir unterscheiden bis heute zwischen Kunstfertigkeit und Kunst. In der Antike war das eine Unterscheidung zwischen artes mechanicae (praktische Künste) und artes liberales (freie Künste). Aber selbstverständlich schöpfen daß Bereiche teilweise aus den gleichen Quellen.

Figuren aus der Mythologie, wie etwa Daedalus, der Vater des Ikarus, waren gleichermaßen Handwerker und Künstler. Wo stehen wir aktuell? Im Fortschreiten der Vierten Industriellen Revolution haben wir neu zu verhandeln und zu klären, was die Conditio humana sei, was uns Menschen in der Koexistenz mit Maschinen Räume sichert, in denen uns solche Systeme nicht überlegen sind. Was ist also in diesem Zusammenhang spezifisch menschlich und nicht maschinisierbar?

Das meint auch eine zeitgemäße Reaktion auf das, was der Philosoph Günther Anders die prometheische Scham nannte, also jene konfliktträchtige Erfahrung, daß von uns erdachte Werkzeuge uns gelegentlich überflügeln, daß wir Systeme schaffen, die unsere Auffassungsgabe überfordern.

Mit Mythos Puch VI überprüfen wir ein paar historische Zusammenhänge, in denen Weltgeschichte die Regionalgeschichte berührt hat. Wir verknüpfen das mit den Erfahrungen und Kompetenzen einiger Menschen, die Jahrzehnte in solchen Bereichen tätig sind.