Notiz 107: Auftakt Phase III#
(Die Ludersdorf-Konferenz)#
Von Martin Krusche#
Nun wird in den vier Gemeinden entschieden, welche Objekte in das kommende Buch kommen sollen und was dazu noch gewußt wird. Wir finden dabei eine ähnliche Situation wie bei meiner Tour zum Thema „Die Ehre des Handwerks“: da und dort haben uns schon Menschen verlassen, die viele Details kannten, welche nirgends dokumentiert wurden.
Es klingt so banal, doch es ist oft plötzlich eine Flut von jenem Wissen, das uns Menschen so schnell verloren geht, wenn wir nicht mehr danach fragen. Das einzelne Detail mag kaum jemandem scheren. Aber gesamt macht es viel von dem aus, was eine Gemeinschaft prägt, was man kennen sollte, damit der Umgang miteinander gut geordnet werden kann.
Das ist ja auch einer der Gründe, weshalb Bräuche Bedeutung haben. Sie helfen uns, einander zu verstehen und miteinander zu klären, welchen Umgang wir bevorzugen, was wir ablehnen.
Nun also die Redaktionsbesprechung in Ludersdorf-Wilfersdorf. Bürgermeister Hans-Peter Zaunschirm legte die erste Auswahl der Exponate für das Buch fest. Sein Vize Peter Moser ist unser Projektleiter auf der operativen Ebene. (Gesamtleistung: Christoph Stark, Bürgermeister Gleisdorf.) Mit Werner Höfler von Hofstätten und Robert Schmierdorfer von Albersdorf war ich jüngst zugange.
Meine Fotos sind protokollarisches Material für unsere laufenden Arbeit und Stoff für die Dokumentation im Internet. Die Fotos für das Buch kommen von Richard Mayr, mit dem ich inzwischen eine gemeinsame Tour über Dörfer begonnen hab.
Lebenswelten#
Während unserer Besprechung waren wir immer wieder tief in alltägliche Aspekte des Lebens gekommen, wie es unsere Region geprägt hat. Zaunschirm kommt aus der bäuerlichen Welt und obwohl er zur gleichen Generation gehört wie ich, hat er Dinge erlebt und gesehen, die in meinen Kindertagen nicht vorgekommen sind.Das ist übrigens ein wichtiger Aspekt von „Dorf 4.0“, dieser nun schon etliche Jahre andauernden Kooperation, der auch noch zwei andere Bürgermeister angehören, die vorhin schon erwähnten Werner Höfler in Hofstätten an der Raab und Robert Schmierdorfer von Albersdorf-Prebuch. Wir haben die Überschrift vor Jahren debattiert und vier Bereiche skizziert, in denen sich entfaltet hat, was wir heute leben. So läßt es sich auch gut darstellen:
Dieses Schema handelt von einer außergewöhnlichen Erfolgsgeschichte. Die Oststeiermark war ursprünglich ein Armenhaus der Monarchie. Nicht weil es den Menschen an Fleiß und Tüchtigkeit gemangelt hätte (das sind zwei verschiedene Kategorien!), sondern weil hier hauptsächlich kleine Selbstversorgerwirtschaften bestanden haben.
- Dorf 1.0: Die alte agrarische Welt
- Dorf 2.0: Umbrüche durch eine teilweise Industrialisierung der Region und ihre Mechanisierung
- Dorf 3.0: Das Agrarische, Industrielle und Urbane hat sich in den Dörfern verzahnt
- Dorf 4.0: Die Vierte Industrielle Revolution ändert das alles völlig, und zwar jetzt!
Die produzierten nicht für den Markt, sondern hauptsächlich für den Eigenbedarf. Da war es einfach unmöglich, Wohlstand zu erwirtschaften, während Österreich den Weg zu einem modernen Industriestaat ging. Das änderte sich dann in sehr kurzer Zeit radikal.
Volksmotorisierung und die Folgen#
Dorf 2.0 bezieht sich auf das enorme Kräftespiel mit einer Mechanisierung der Landwirtschaft und einer umfassenden Volksmotorisierung. Das ereignete sich nach dem Zweiten Weltkrieg, als im ländlichen Raum viele Häuer erstmals Strom und Wasser eingeleitet bekamen, sich die Arbeitswelt völlig veränderte und allgemein ein wachsender Wohlstand spürbar wurde, den es zuvor für die Menschen in solchem Ausmaß nie gegeben hat.Siehe zusammenfassend: „Das Dorf und die Vier“ (Wie kommt das 4.0 in Dorf 4.0?) Bezüglich der Mechanisierung nach dem Zweiten Weltkrieg haben wir ein Projekt realisiert, das in zwei Bändchen dokumentiert ist, die Sie online finden:
- Martin Krusche: Band 1
- Martin Krusche: Band 2
Das sind Veränderungsschübe, die sich innerhalb weniger Generationen vollzogen haben. So leben wir heute in einer Region, in der sich agrarische Welt, industrielle Prägungen und städtisches Leben verzahnt haben.
Die Wegmarken#
Das Ländliche und das Urbane haben gleichermaßen Bezugspunkte in den Klein- und Flurdenkmälern, in diesem raffinierten kulturellen Zeichensystem, welches uns umgibt und das bis heute von vielen Menschen in privater Initiative gepflegt wird. Darin ist außerdem viel von dem repräsentiert, was die Mentalitätsgeschichte der Menschen unserer Region ausmacht. Und das hält an, auch wenn die alte Welt mit ihren Bedingungen versunken ist.Ich werde bei anderer Gelegenheit noch zeigen können, wie sich unser aktuelles Projektteam aus Menschen zusammensetzt, die mit diesen Bereichen sehr gut vertraut sind: die bäuerliche Welt, der industrielle Komplex, das städtische Leben mit seinen Kaufleuten und Dienstleistungsbetrieben.
Die Klein- und Flurdenkmäler, überwiegend religiöser Natur, aber auch mit etlichen profanen Beispielen, reflektieren diese historischen Dimensionen als einen Ausdruck der Volkskultur. Das meint, jeder Mensch hat kulturelle und spirituelle Bedürfnisse, die sich auf jeden Fall äußern. Bei diesem Thema findet man kontrastreiche Beispiele, wie und mit welchen stilistischen Formen sich das in unserem Lebensraum manifestiert. (Der Titel „Auftakt Phase III“ bezieht sich auf unseren Projektverlauf, der nun in eienr neuen Situation angelangt ist…)
- Wegmarken (Ein kulturelles Zeichensystem)
- Dorf 4.0: Die Notizen-Übersicht
- Alle Fotos: Martin Krusche