Syncro#
(Als sich im Puchwerk etwas anders zu drehen begann)#
Von Martin Krusche#
Wissen Sie, was die „Scherung von Fluiden“ ist? Ich wußte das nicht. Und ich werde es mir wohl auch nicht merken; wie so manches Detail, von dem ich kürzlich gehört habe. Den „Hump“ in der Kupplung (ein hydrodynamischer Effekt) hat er mir seinerzeit einmal auf Papier gezeichnet und erklärt.
Bei meiner Rückkehr von dieser neuerlichen Begegnung mit Techniker Heribert Lanzer war mir klar: das ist komplexer als ich gehofft habe. Daher diese Notiz als Vorbote für einen ausführlicheren Text. So kann ich hier auch gelegentlich abschweifen, denn der Tag dieses Gesprächs war mit interessanten Details vollgeräumt.
Der Angelpunkt#
Das Wort Syncro steht für Allrad-Technik am VW-Bus. Es begann mit dem „Tee-zwo-teee-drei“. Also der VW Typ 2, was den Transporter in all seinen Varianten meint, davon die dritte Generation. Syncro = T3 mit Allrad; was immer danach noch kommen mochte. (VW Typ 1 ist der Käfer.)Den T3 Syncro, wie es ihn ab der Mitte der 1980er Jahre gab, können Sie heute noch auf unseren Straßen sehen. Diese Allrader sind bei Weltenbummlern beliebt. Oder jemand hat einen der raren Jagdwagen gehätschelt und gepflegt: Pritsche mit Doppelkabiner. Auch ein guter Zweitwohnsitz, mit dem man bei Bedarf vor einer Zombie-Apokalypse abhauen kann.
Weshalb läßt sich sagen, daß Range Rover und Audi quattro in Fragen der Fahrdynamik enge Verwandte sind? Das werde ich noch erzählen. Ich hab mit Fotograf Richard Mayr einen Abstecher nach Bruck/Mur gemacht, um Techniker Heribert Lanzer mit einigen Fragen zu stellen, über die man nichts in Büchern lesen kann.
Der große Bogen#
Zugegeben, das ist jetzt etwas Understatement. Der Mann hat dem Lauf der Technologiegeschichte im Bereich Allrad eine Wendung von Weltrang verpaßt. Wie das kam? Nein, wir haben uns nicht näher über den Panzerwagen von Austro-Daimler oder über den Rennwagen von Spyker unterhalten. Das waren die Allrad-Anfänge zu Beginn des 20. Jahrhunderts. Pure „Zahnradel-Technik“.Also mußten wir auch nicht über Porsches Hybrid reden. Davon plaudert eh jeder, wenn es zur Sache geht. Aber elektrische Radnabenmotoren sind ein ganz anderes Thema und vor allem ein anderes Genre. Lanzer ist übrigens ein weiterer Profi aus der Auto-Branche, von dem ich nicht höre, die heutigen E-Autos hätten Zukunft. (Ich formuliere das noch vorsichtig, weil allerhand Kräfte unserer Politik wie Verwaltung auf dem Thema so gerne herumreiten, als hätten sie das warme Wasser erfunden.)
Im Zweiten Weltkrieg gab es schon etliche 4WD-Brocken. Schwere Dinger. Strikt mechanisch. Der Jeep wurde dann zur allgemein bekannten Leitikone, auf dessen Fahrwerk später auch die ersten Prototypen des Land Rover in die Erprobung gingen.
Der Steyr-Puch Haflinger wurde zu einer Kontrastmarke, die einen Konzeptwechsel markiert. Statt dem Leiterrahmen des Jeep, in dem ein Reihenvierzylinder steckt, ein Zentralrohrahmen mit Pendelachsen und luftgekühltem Zweizylinder-Boxer. Wo haben wir dieses Layout bloß schon einmal gesehen? Genau! Tatra 11 (1923) und Tatra 12 (1926) von Hans Ledwinka. Okay, ich schweife ab.
Ein unaufgeregter Erzähler#
Also: Lanzer. Und ich habe ein paar meiner Ansichten aufgeblättert: wie schätzt er das ein? Ich staune erneut, wie viel er weiß und wie unaufgeregt er das vorträgt. Lassen wir blumige Metaphern und marktschreierische Aufplusterungen beiseite. Sie kennen sowas Plüschiges wie „Mister sowieso“ oder „Der Popstar des sowieso“. Geschwätzigkeit! Er saß sehr entspannt und konzentriert neben mir. Was Respektvolleres kann man doch kaum sagen: „Heribert Lanzer, Techniker“. (Allenfalls ergänzt um: Diplom-Ingenieur.) Punkt!Meine Annahmen… Der Land Rover war als reines Nutzfahrzeug konzipiert und wechselte schließlich das Milieu, kam im bürgerlichen Lager und im Privatleben der Leute an. Mit dem Puch G verlief das noch heftiger, als er schließlich zur G-Klasse wurde und bis hinauf ins schwindelerregende Luxussegment antreten konnte. Der alte Jeep bekam ebenfalls zivile Nachfahren, zuletzt sogar in einer rundgelutschten Version, zu der mir nichts einfällt.
Aus Haflinger und Pinzgauer wurden keine biederen Bürgerkäfige. Sie blieben Nutzfahrzeuge, obwohl einzelne Liebhaber sich welche ins private Leben geholt haben. Also brach mit Lanzers Erfindungen eine nächste Ära an; auch wenn er nicht der einzige Techniker war, von dem an der Allradisierung des PKW für den Alltagseinsatz geschraubt wurde.
In meinen Kindertagen war Allradantrieb etwas exotisches. Inzwischen ist 4WD ein banaler Standard bei vielen PKW, um Fahrsicherheit und Komfort zu erhöhen. Hier werden Sie also in nächsten Schritten zu diesem Themen einiges aus erster Hand erfahren.
Unebenheiten#
Lanzer hat wesentliche Lösungen beigetragen, um diese Entwicklung voranzubringen. Das technische Schlüsselereignis war seine Idee, die sogenannte Visco-Kupplung regelbar zu machen. Ich spare hier im Momente technische Details aus. (Wikipedia bietet einiges zum Thema, falls man es gar nicht erwarten kann.)Wenn Lanzer erzählt, vor welchen Problemen sie dabei standen, bekomme ich beim Mitdenken Probleme. Zugleich mag ich solche intellektuellen Kreuzworträtsel, selbst wenn ich dabei ratlos bleibe. Denken Sie bloß an den schönen Begriff Achsverschränkung, den man braucht, um zu beschreiben, was auf sehr unebenem Terrain geschieht.
Eine wesentliche Herausforderung im Bereich Allrad ist ja der Umstand, daß ich je nach Fahrsituation und Gelände unterschiedliche Kraftpotentiale bei den Achsen brauche, je nachdem, auf welcher Achse grade am meisten Gewicht lastet. Und wie gut, wenn davon die Maschine selbst am meisten weiß.
Als ich das erstem Mal unter Anleitung von Altmeister Fredi Thaler die alte Puch Teststrecke am Schöckl befahren durfte, bekam ich eine Ahnung, welche Knoten im Kopf entstehen können, wenn es ins Gehackte geht. Vier Räder, drei Sperrdifferentiale, ich weiß gar nicht mehr, wie viele Gänge, ein Kriechgang darunter, da finde also flott die richtige Kombination aller Aspekte, vor allem passend zur angemessenen Motordrehzahl, wenn es mit der Nase in den Himmel oder mit dem Herzen in den Keller geht.
Vorläufereien#
Es gab also schon ab der Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert Automobile mit Allradantrieb. Während des Zweiten Weltkrieges war naturgemäß einiges entwickelt worden und zum Einsatz gekommen. Auch bei so kuriosen Konstruktionen wir Ferdinand Porsches VW Typ 166 Schwimmwagen. Der war eine Ableitung des VW Typ 87 „Kommandeurswagen“, während die allgemein bekannten VW Kübelwagen (VW Typ 82) – von einigen Ausnahmen abgesehen – keinen Allradantrieb hatte.Nach dem Krieg war 4WD – wie schon erwähnt – vor allem im Nutzfahrzeugbereich üblich. Aber schließlich setzte sich diese Option auch im Bereich privater PKW durch, die nicht mehr auf Abwege oder gar ins Gelände mußten. Wie erhebliche die technischen Probleme waren, zu deren Lösung Lanzer beigetragen hat, mag an zwei Exoten deutlich werden.
Das bekanntere Gefährt ist der Citroen 2 CV Safari 4x4, dem einfach pro Achse ein Motor verpaßt wurde. Genau! Zwei Motoren in einem Auto. Weniger bekannt ist der ähnliche Versuch auf Mini Moke-Basis. Sie erinnern sich? Der Mini Moke, die Spaß-Variante des Austin Mini, das britische Pendant zum französischen Citroen Mehari. Diese kleine Moke bekam zu Testzwecken für das Militär zwei Motoren aufgebürdet. Hat sich freilich nicht durchgesetzt.
Erich Ledwinka, Sohn von Konstrukteur Hans Ledwinka, zeigte, schließlich, wie ein effizienter, sehr kompakter Allrader gebaut sein sollte, um Furore zu machen und durch Robustheit wie Fahrleistung bis heute eine solide Anhängerschaft zu gewinnen.
Der Steyr-Puch Haflinger kam 1959 auf den Markt. Das war also noch Militärkram und Nutzfahrzeugsegment. Den größeren Land Rover gab es als Zivilist. Die Series I (markant, weil ohne Türschweller), liefen schon ab 1948. Ein Fahrzeug, das vor allem für die agrarische Welt bestimmt war, dann aber auch eine militärische Karriere machte.
Jetzt aber!#
Unsere Story setzt dann Anfang der 1970er ein. Mit dem Audi 80. Der bekam versuchsweise einen Allradantrieb verpaßt und Lanzer erzählt gerne eine Episode aus jenen Tagen, da Porsches im winterlichen Wetter hängenbleiben und der biedere Audi ihnen davon zog. Das wird ab 1980 mit dem Ur-Quattro Legende.Jürgen Stockmar kam aus der Rennsportabteilung von Audi nach Graz und wurde zum Boss von Lanzer. Er beauftragte den ambitionierten Tüftler, eine spezielle Abteilung (Vorentwicklung) aufzubauen und ein Team zu formieren, das dann auch Elektroniker und Mechatroniker brauchte, um etwa manche Steuerungsvorgänge technisch umsetzen zu können. Neuland!
So kam es zu jenem Moment, da Stockmar Lanzer wissen ließ, er habe nun etwas gelöst, was sie bei Audi nicht hingekommen hätten. Lanzer erzählte, daß er die Anregungen zu einer entscheidenden Problemlösung aus der Welt der Panzerfahrzeuge bezogen habe.
Logischerweise ist das Gebiet der Militärfahrzeuge ein Themenbereich, wo alle nur denkbaren Antriebsarten durchgespielt wurden, aber auch viele andere Funktionen nach smarten technischen Lösungen verlangen. Mechanik, Hydraulik, Elektronik, was auch immer helfen kann, einfach alles.
Was haben denn Dschingis Khan und Napoleon gemeinsam? Ihre militärischen Erfolge beruhen in wesentlichen Bereichen auf sehr schneller und effizienter Raumüberwindung. Das bot der „Hafermotor“ den Menschen über rund fünftausend Jahre. Das Pferd. Reiterei ist pures Tempo. Dem müssen dann auch die Wagen standhalten. Es ist faszinierend, sich zum Beispiel alte Handbücher über den Wagenbau für die Feldartillerie anzusehen.
Heribert Lanzer hielt es ähnlich mit den motorisierten Fahrzeugen. Jahrzehnte vertiefte er sein Wissen bezüglich all dieser Fahrwerke, kombinierte das mit seinem speziellen Abstraktionsvermögen und seiner Leidenschaft in Details zu gehen, also auch: rechnen, rechnen, rechnen. (In seiner Verantwortung für Patente waren seine Strenge und sein enzyklopädisches Wissen von den Kollegen gefürchtet.) Das werde ich in der nächsten Geschichte genauer ausführen.
Drumherum#
Während unserer Session hatte Fotograf Richard Mayr einige Videomitschnitte angefertigt, die wir inzwischen aufargebeitet haben. (Siehe die Links am Seitenende!) Damit werden sehr spannende Details erfahrbar, wie sich also ab der Mitte der 1980er Jahre die Allradgeschichte gravierend verändert hat.Die Fahrt zu Lanzer wurde übrigens von zwei passenden Momenten eingerahmt. Vormittag hatte ich ein Packerl aus dem Verlagshaus Brüder Hollinek erhalten. Das Rezensionsexemplar „Historische Spielzeugautos aus Österreich“ von Marco Annau. Eine sehr feine Arbeit zu einem Nischenthema, für das man jene Geduld und Hingabe braucht, die einem auch das Schrauben an alten Autos abverlangt. Es dauert oft lange, bis man ein gewünschtes Teil auf dem Markt entdeckt. Es ist vieles nicht dokumentiert. Es gibt manchmal Überraschungen.
Als ich dann nachts Altmeister Fredi Thaler eine Nachricht schickte, kamen die ersten Bilder von seiner Arbeit am Steyr-Puch Landwagen. Ein Konzeptfahrzeug, das nie in Serie ging und von dem nur noch Leichenteile existieren. Es soll wieder in Form gebracht werden. (Na klar werden ich davon hier, in dieser Leiste, noch berichten.) Fortsetzung folgt!
- Fotos: Martin Krusche
- Heribert Lanzer, Techniker (Übersicht)
- Funkenflug (Eine Erkundung)
Die Videoclips#
Bücher#
- Hermann Bausinger: Volkskultur in der technischer Welt
- Brix Emil et al. (Hg.): Memoria Austriae III
- Markus Caspers: Designing Motion
- Historische Spielzeugautos (Fast eine Buchbesprechung)