Notiz 005: diSTRUKTURA#
von Martin KruscheMilica Milicevic und Milan Bosnic, die als Duo diSTRUKTURA in der Kunstwelt wirken, waren im Jahr 2007 erstmals Teil eines unserer Projekte. In den Jahren danach kam es immer wieder zu gemeinsamen Schritten. Als sie nun im Konzentrationslager Mauthausen eine Arbeit realisiert haben und jüngst nach Serbien zurückgefahren sind, machten sie unterwegs kurz in Gleisdorf Station. Mich hat dabei sehr interessiert, was auf Facebook schon zu sehen war, daß sie sich mit Fels-Oberflächen befaßt haben, woraus eine Serie von Arbeiten entstand.
Hier gibt also der Fels gewissermaßen ein Bild zurück, was mich anspricht, wo ich mich eben mit Arbeiten aus der Bronzezeit befaßt habe. Da entstanden quer durch Europa Felszeichnungen, die mir als konstituierende Werke erscheinen, was graphische Qualitäten und Reduktion angeht. Siehe dazu Notiz 018: „Die Tiefe des Geschehens“!
Der Mensch beschreibt den Felsen mit seinen Motiven, der Fels beschreibt Blätter der Menschen. Das ist eine Wechselbeziehung, die mir gerade sehr gefällt und die auch etliche Fragen aufwirft. Dazu kam dann so ein Moment, in dem ich Milan mit einer anderen Welt des Zeichnens verknüpft habe.
Dabei geht es um technische Zeichnungen von einem Mann namens Klaus Kapitza, der in Graz für die historischen Puchwerke tätig war.
Ich hab ein Konvolut dieser Zeichnungen leihweise aus dem Archiv von Ferdinand Micha Lanner erhalten. Das Blatt, mit dem man Bosnic hier sieht, wurde mit „Puch Projekt S“ beschriftet. Es zeigt den Puch S (Spider), von dem ein einziges Exemplar gebaut wurde. Ein eleganter Zweisitzer mit Heckmotor, der es nicht in die Serienproduktion geschafft hat. Eine kurzlebige Phantasie.
Dagegen sind die eingangs erwähnten Felszeichnungen aus der Bronzezeit sehr wesentlich Darstellungen von Schiffen. Die über Jahrtausende wichtigsten Fahrzeugen für die Überwindung weiter Strecken. Das Reisen über Land war in den einstmals verfügbaren Kutschen sehr strapaziös. Der Transport von Massengütern ist vor der Eisenbahn überhaupt nur auf dem Wasserweg möglich gewesen, mit Flößen, Booten, Schiffen.
Damit berühre ich auch kurz wieder Mauthausen. Ohne die umfassende Mechanisierung des Krieges und Massentransportmittel wie die Eisenbahn, aber auch die leistungsfähigen Lastkraftwagen wie Opel Blitz, Mercedes oder die österreichischen Steyr 1500, wäre der Holocaust nicht machbar gewesen.
Zeichen und Zeichnungen. Vehikel und Logistik. Kleine Erzählungen und große Narrative. Ansehnliche Lügen und unscheinbare Wahrhaftigkeit. Das steht alles in permanenter Wechselbeziehung als ein typisches europäisches Kräftespiel.
Nun fand dieser Zwischenstopp von Milicevic und Bosnic an einem Samstag statt, der von passenden Ereignissen flankiert wurde. Am Freitag davor „Das Flüstern“ als erste Markierung im öffentlichen Raum, übrigens auf jenem Terrain, wo ich mich mit diSTRUKTURA und der Kuratorin Mirjana Peitler-Selakov traf.
Am Sonntag danach die Rolling Conference mit Heimo Müller, da wir einige Stunden mit seinem alten Puch G unterwegs waren. Das ergab ein Stück Nachdenkpause und Diskurs-Phase an jenem Tag, der mit meinem Verlag als Schlußpunkt für die inhaltliche Arbeit an meiner Kulturgeschichte des Steyr-Puch Haflinger vereinbart war. Siehe: „Deadline“! Auch da hatte ich übrigens einige Zeichnungen von Klaus Kapitza an Bord.
Ich sehe das Wesen laufender Erzählungen ganz besonders in der Kontinuität, die über einzelne Personen erheblich hinausreicht, in den Querverbindungen. Dazu paßt: im August 2015 hatte ich mit Heimo Müller unsere „Beograd-Session“ absolviert. Ein Teil des damaligen Kunstsymposions („the track: pop | ikarus“).
Raumüberwindung, die Maschine im Geist, der Dumper, die verschwundene Ausstellung, ich werde hier noch bei Gelegenheit erläutern, was das mit Ikarus zu tun hat, dessen Vater Daedalus nicht nur ein einfallsreicher Handwerker war, sondern auch ein bedeutender Künstler seiner Zeit, ein herausragender Bildhauer.
Basis-Vehikel jener Session war übrigens Müllers historischer Militär-LKW, ein Steyr 680 aus dem Jahr 1969. Und die Extraposition jener Session war im Bergwerk von Majdanpek angelegt, wo mir Milan Bosnic über seine Kontakte verhalf, auf das größte Fahrzeug zu steigen, an das ich je herangekommen bin; wenn man von der gigantischen Tunnelbohrmaschine im Leib der Koralm absieht, auf die ich im Juli 2018 steigen konnte. Die ist nämlich, genau genommen, auch ein Fahrzeug, das sich seit Jahren beständig durch den Berg frißt.
Ich begegne immer wieder Menschen, die es ausgesprochen töricht finden, daß ich solche Themen verknüpfe. Was soll ich sagen? Es gibt Gesten und Motive, die durchqueren Jahrtausende, ohne ihre Aussagekraft zu verlieren. Sie fügen sich in unser gegenwärtiges Repertoire vielfältiger Kommunikation ein. Darin teilen wir etwas mit den Menschen der Vergangenheit. Eine Grundsituation menschlicher Kultur.
Vom Neolithikum, als sich Leute bemühten, Bilder in Felsen zu gravieren, über den Circus Maximus im antiken Rom, über die Mechanisierung unseres Lebens, auf dem Weg über Auschwitz, Mauthausen und Srebrenica, hin zur Tunnelbohrmaschine in der Koralm, wo es also nicht mehr bei Felsbildern bleibt, sondern einem ganzen Gebirge ein Statement eingeschrieben wird, gibt es Zusammenhänge, Verbindungen, Kontinuitäten.
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