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Citroen Ami im Design von Pierre Leclercq
Citroen Ami im Design von Pierre Leclercq

Endorphin-Maschine: Der elektrische Freund#

(Endlich eine Überraschung auf der Straße)#

von Martin Krusche

Ende der 1950er Jahre bot der Markt erstmals preiswerte Automobile, mit denen in Österreich eine Volksmotorisierung möglich wurde. In den 1970ern konnte man schon für wenig Geld ein Auto finden. Ab etwa 20.000,- Schilling (heute rund € 1.453,-) gab es vorzügliche Gebrauchtwagen.

Rund 50 Jahre später befindet sich das gesamte Genre des „Personal Transport“ in einem radikalen Umbruch. In diesem Trubel tauchen gelegentlich Überraschungen wie diese auf. Zitat „Formfaktor“: „Dieses Fahrzeug soll eine elektrische Mobilitätslösung ‚für jedermann‘ sein und ist auf die Fortbewegung in der Stadt zugeschnitten.“ Seine Farbe heißt „Night Sepia“. Das Wägelchen ist zarte 2,41 Meter lang, 1,39 Meter breit und 1,52 Meter hoch. Ich dachte, es würde mir schwer fallen, rein- und rauszukommen. Klappte aber problemlos.

Der Citroen Ami ist ein Elektro-Leichtfahrzeug, was in meinem Umfeld erfahrungsgemäß für gelegentliches Lästern sorgt. Und dann dieses raffinierte Design, über welches man sich auch vorzüglich ärgern kann. Sowas hat bei uns Tradition. Das populärste Exempel für so ein ästhetisches Ärgernis wurde 1956 auf den Markt gebracht. Der Fiat 600 Multipla. Über dessen Design belieben manche Fans klassischer Automobile heute noch zu meckern.

Was womit wofür?#

Es ist eine Sache, ob ich mit viel sehr viel Geld auf die Basis eines Ferrari oder Lambo einen eleganten Hauch von Dynamik schneidern lasse, eine Freude für die Sinne auch weniger betuchter Leute, die wenigstens schauen dürfen. Es ist eine völlig andere Sache, ob mit einem möglichen Minimum an technischem und materiellem Aufwand ein taugliches, vor allem leistbares Kraftfahrzeug gestaltet werden soll.
Bild 'puch2611b'
Bild 'puch2611c'

Der historische Multipla ist ein Beispiel, wie das damals von Dante Giacosa und seinem Team meisterhaft gelöst wurde. So viel Auto auf so kurzem Radstand zu realisieren, das war eine knifflige Aufgabe. Ich meine, der Citroen Ami ist dafür ein aktuelles Beispiel, im Design ebenso markant wie der Multipla. (Ja, ich weiß, es gibt schon länger den Smart und allerhand „Mopedautos“.)

Ich hab inzwischen einer Version des im fließenden Verkehr gesehen. Für ein Foto war der zu schnell an mir vorbei. Aber er hinterließ einen deutlichen Eindruck. Der ansehnliche Kleine ist ein wohlgerundeter Quader, dessen raffinierte Gestaltung ihn schon von der Ferne erkennbar werden läßt. In jenem Fall in Graz war es das Fiat-Derivat. Es hätte auch die Opel-Variante sein können. Das läßt sich dann in der Nähe feststellen.

Hintergrundfolie#

Es gab 1961 schon einmal ein Citroen-Modell mit dem Namen Ami (franz.: Freund). Ein Wagen im unverwechselbaren Design von Flaminio Bertoni. Anfang der 1970er gab es ein elektrisches Stadtfahrzeug, das auch formal einen guten geschichtlichen Referenzpunkt für den Ami abgibt. Den Zagato Zele konnte ich freilich nur noch in einem Museum finden.
Post von Matthias Marschik: Fiat 600 Multipla
Post von Matthias Marschik: Fiat 600 Multipla
Fund in Serbien: Citroen Ami
Fund in Serbien: Citroen Ami

Was Citroen und Opel angeht, gibt es ein kurioses historisches Detail. Da bestand einst eine Verbindung, die uns per Sprichwort erhalten ist: „Dasselbe in Grün“. Eine der überlieferten Deutungen dieses Spruchs lautet, der Opel 4 PS von 1924 sei als erstes deutsches Automobil von einem Fließband gerollt. Zu jener Zeit ein sensationell kompakter Wagen, ein Kleinwagen auf dem Weg zu allgemein leistbaren Automobilen.

Da er oftmals in Grüner Lackierung aufgetaucht ist, bekam der en Spitznamen „Opel Laubfrosch“. Im Hause Citroen strengte man einen Plagiatsprozeß an, weil dort die Auffassung herrschte, der Opel sei eine rechtswidrige Kopie des Citroen Typ C, sei eben bloß „Dasselbe in Grün“.

Museums-Inventar: Zagato Zele
Museums-Inventar: Zagato Zele
Einstiger Streitpunkt mit Opel: der zarte Citroen.
Einstiger Streitpunkt mit Opel: der zarte Citroen.

Heute ist es längst gängige Praxis, daß sich Konzerne die enormen Investitionen für die neue Entwicklung eines Autos teilen und entsprechende Verträge abschließen. So dient dann eine gemeinsame Plattform verschiedenen Marken für leicht abgewandelte Modelle. Hier nun der Citroen Ami im Verband mit dem aktuellen Fiat Topolino und dem Opel Rocks Electric.

Der Kleine in einigen Details#

Aus der Nähe besehen konnte ich mir bei diesem Fahrzeug vorstellen, daß die Karosserieteile und die Innenausstattung aus einem Drucker gekommen wären. Ein Design in der Verantwortung des Belgiers Pierre Leclercq. Der Mann war davor schon für BMW, Rolls Royce und Mini tätig gewesen, aber auch bei Kia oder Great Wall Motors hat er Spuren hinterlassen. „Passionnement Citroen“ notierte: „His aim was to create a completely new visual language for the brand, a challenge made all the more complex by Citroën's rich history, including iconic models such as the 2CV.”

Was man sofort sieht, Zitat Leclercq: “The front and rear are exactly the same, as are the doors, which reduces the number of parts.” Das heißt, die gleich geformten Türen sind einmal vorne und einmal hinten angeschlagen. In der Massenproduktion ergeben ja allein schon zehn Zentimeter mehr oder weniger Kabelbaum einen nennenswerten Kostenfaktor. Da kann selbst ein Laie erahnen, was es in der Großserie bedeutet, wenn nur eine Türvariante statt zweien benötigt wird.

Pierre Leclercq laut „Formfaktor“: „Beim Ami handelt es sich um ein Produktdesign, nicht um ein Automobildesign. Hier wird die Form von der Funktion bestimmt. Der Ami wurde von innen nach außen designt“. Das hier erwähnte Prinzip, nämlich „form follows function“, soll der amerikanische Bildhauer Horatio Greenough 1852 formuliert haben. Dabei ging es um organische Prinzipien der Architektur.

Fiat nennt sein Ami-Derivat Topolino: Mäuschen.
Fiat nennt sein Ami-Derivat Topolino: Mäuschen.
Das ist der historische Fiat 500 Topolino.
Das ist der historische Fiat 500 Topolino.

Leclercqs Hinweis finde ich bemerkenswert. Produktdesign statt Automobildesign. Das unterstreicht, was mir evident erscheint. Unsere Automobile sind eben nicht bloß Produkte, die uns zur Raumüberwindung dienen. Sie haben auch eine Reihe anderer, nämlich soziale und kulturelle Funktionen.

Aber die bekommt inzwischen auch der Citroen Ami angehängt, denn er ist selbstverständlich nicht bloß pure Funktion. So hat etwa David Obendorfer, Designer bei der Carrozzeria Caselani, in Zusammenarbeit mit dem Citroen Style Center Karosserieteile entworfen, dank derer man den Ami optisch auf des Wellblech-Look des Citroën Typ H Transporters von 1948 umkupfern kann. Ich denke, ist in Zukunft noch mit einer ganzen Reihe von Ami-Variationen zu rechnen.

Vorlauf & Kontext#