Episode X: Stahl#
(Handwerk und Kunst)#
Von Martin Krusche#
Wenn der Dottore spazierengeht… Der Marketing-Fachmann Norbert Gall ist ein versierter Automobil-Paparazzo, mit dem ich mich schon viele Jahre über Alltagsfunde austausche. Wir sind immer am Scannen unserer Umgebung, achten auf interessante Motive.
Zu meiner aktuellen Episode über Stahl hat er mir aus Wien dieses Foto geschickt. Eine bemalte Fassade mit den Worten „Kein Handwerk ohne Kunst – Keine Kunst ohne Handwerk“. Dieses Fresko stammt von Arthur Brusenbauch, der einst an der Wiener Staatsgewerbeschule und der Akademie der bildenden Künste studiert hat.
Nach dem Ersten Weltkrieg gehörte der Spätimpressionist zur Wiener Secession, wechselte letztlich zum Künstlerhaus. Damit deutet sich schon an, daß er mit den Verknüpfungen von Handwerk uns Kunst befaßt war.
Beim Hintergrund dieses Statements spielt die Erste Industrielle Revolution eine interessante Rolle. Fabrikanten waren es rund um 1900 schon lange gewöhnt, Künstler für das Produktdesign zu engagieren. Das mag einem etwa zu Stoffdruck, Schmuck oder bei edlem Tafelgeschirr sofort einleuchten, betraf aber im Grunde alles, was in Serie produziert werden konnte. Heute sprechen wir von Industriedesign.
Hier geht es also um eine von vielen Episoden, in denen sich Künstler quer durch die Zeiten von Handwerkern zu unterscheiden bemühten, um Genres zu trennen, die in der Antike noch vereint gewesen sind.
Der Hofmaler und Kammerherr Wilhelm Georg Alexander von Kügelgen, ein Mann von Stand, betonte seinen Status unter anderem, indem er sich mit mehreren Vornamen durch sein Leben schleppte, was „ein Mann aus dem Volke“ eher nicht getan hätte. (Die Dynastie teilt sich eben auch über eine Kette von Vornamen der Vorfahren mit.)
Kunst und Können#
Kügelgen, auch Schriftsteller, hielt 1842 „Drei Vorlesungen über Kunst“. Darin hieß es unter anderem: „Das Handwerk aber ist wesentlich der schönen Kunst entgegengesetzt, obgleich auch diese Gegensätze sich aneinander haben; denn ohne Handwerk, ohne Werk der Hand, kann kein Werk schöner Kunst zustande kommen, ebensowenig als irgendeiner vollendet guten Leistung des Handwerks die Schönheit mangeln wird.“Diese Sätze - oder wenigstens deren Bedeutung - werden gerne zitiert, wo jemand das Handwerk über die bloße Dienstleistung hinaus hervorheben möchte. Es sagen auch heute manche Menschen gerne: „Kunst kommt von Können“. Damit ist gewöhnlich keine geistige Potenz, sondern die Handfertigkeit gemeint. Das ist freilich inzwischen längst eine antiquierte Position, weil wir auch immaterielle Objekte als Werke anerkennen. Also Kunstwerke, die ganz ohne traditionelles Handwerk auskommen, oftmals nicht einmal in Objekten materialisiert werden.
Das nimmt freilich nichts von der Faszination, die handwerkliches Können auszulösen vermag. Indem ich derzeit unter Aufsicht eines Meisters ohne Maschinen Stahl säge und feile, verschaffe ich mit Klarheit über die Tiefe dieser alten Kompetenzen, wenn einer dazu fähig ist, was Handwerker Franz Lukas mich sehen läßt. (Seine Fertigkeiten liegen freilich sehr weit außerhalb meiner Möglichkeiten.)
Es bleibt dabei, daß diese Kunst des Handwerks heute als Kunstfertigkeit verstanden wird. Die ist keinesfalls geringer einzuschätzen als relevantes Kunstschaffen im Sinn von Gegenwartskunst, aber ein anderes Genre. Wer das gegeneinander hierarchisch anzuordnen versucht, statt es als komplementäre Situation zu deuten, hat an beiden Genres etwas nicht verstanden, an der Kunst und am Handwerk.
Was beide Bereiche gleichermaßen verlangen, sind ein leistungsfähiger Verstand, Problemlösungskompetenz und dafür eben auch geistige Wendigkeit, Abstraktionsvermögen, Phantasie. Selbstverständlich überlappt sich das an vielen Stellen.
Gall zum Thema#
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