Notiz 097: Der Mensch als Maschinenkomponente#
(Unsere Fragen und Debatten)#
Von Martin Krusche#
Ich habe meine aktuelle Episode im „Zeit.Raum“ dem Wandel von Produktionsmethoden gewidmet und das mit einer kleinen Serie von Exponaten anschaulich gemacht. Das Thema „Die Ehre des Handwerks“ bekommt ja mitten in der Vierten Industriellen Revolution neue Kontraste.
Ich habe mir außerdem eine Art Reise durch die Region vorgenommen, um ältere Praxisformen des Handwerks näher zu betrachten. Dabei muß ich freilich auch Abstecher in Nischen der Gegenwart machen, um das „Big Picture“ deutlicher herausarbeiten zu können.
Es ist einige Jahre her, daß ich mich mit dem Thema „Internet Of Things“ (IOT) befaßt hab, mit dem „Internet der Dinge“. Im Jahr 2014 ergab sich dazu ein besonderer Anlaß aus der Rückschau: „Ich habe diesen Zeitraum schon öfter betont: 1814, 1914, 2014. Vom Wiener Kongreß zum Großen Krieg, von da weiter zum wankenden EU-Europa nach dem Berliner Mauerfall.“ Und so auch der Blick auf unsere Gegenwart, da meine Lebensspanne von zwei industriellen Revolutionen bestimmt ist.
In den Jahren 2015 und 2016 blieb ich bei diversen Projekten auf solchen Spuren. Zitat: „Man muß sich bloß in der Autoindustrie umsehen, wie heftig da an kommenden Standards gearbeitet wird, auf daß Systeme miteinander problemlos kommunizieren können.“ (Quelle)
Interlude#
Diese beiden Fotos zeigen Norbert Gall vor dem Gleisdorfer „Zeit.Raum“, den zwei große Fenster zur Bürgergasse hin öffnen. Im Zweier-Slot wurde eben die zweite Episode zum Thema „Die Ehre des Handwerks“ eingerichtet: Transition: Unikate, Klein- und GroßserienDie Industrie im völligen Umbruch#
Stichwort Autoindustrie! Der Dottore ist ein Marketing-Experte. Er ist – wie ich – ein Petrol Head und Automobilpaparazzo. (Wir sind immer auf Foto-Beute aus.) Und er ist Italianita auf zwei Beinen. Da er sich dieser Tage auf dem Rückweg von Italien nach Wien befand, haben wir uns für eine kleine Konferenz verabredet, denn Gleisdorf liegt an dieser Strecke günstig.Gall war über die Jahre für verschiedene Automobilproduzenten tätig, zuletzt für Toyota und Lexus. Er hat nun die Branche gewechselt und befaßt sich mit einem High Tech-Produktfeld, mit Keramik-Komponenten, die aufgebaut werden. Ich würde etwas laienhaft sagen: Zeugs aus dem Drucker. (Es ist natürlich weit komplexer und einschüchternd präzise.)
Das paßt vorzüglich zu meinem Thema. Aber wir waren dann bei diesen weitreichenderen Fragen. Wer heute noch meint, das Auto sei ein Gebrauchsgegenstand, um damit zu fahren, wer auch einrechnet, daß es Kultgegenstand einer Volkskultur in der technischen Welt sein kann, hat völlig übersehen, was es mittlerweile eigentlich ist.
Ich erinnere mich noch gut, was ich zu hören bekam, als Ewald Ulrich, ein erfolgreicher Unternehmer der IT-Branche, sich einen neuen Kombi kaufte, weil sein alter Wagen ausgedient hatte. Ulrich, der also vom Fach ist, stieß sich daran, daß sein Neuwagen sich eigenständig mit einer Firmenzentrale in London verständigte, um Daten abzuliefern. Ulrich konnte nicht herausfinden, wo sich das abstellen ließe, forderte den Händler auf, das zu regeln. Ohne Erfolg.
Gall erklärt mir nun: „Das kannst du auch nicht abstellen. Es ist nicht möglich. Moderne Autos liefern Daten. Täglich. Du kannst nur verbieten, daß die Company diese Daten nutzt und verwertet.“ Ich war verunsichert. Das heißt also, ein Auto hat heute seine geringste Funktion im Fahren? „Genau!“ bestätigte Gall. „Es ist eine Schnittstelle um Kundendaten zu liefern. Dank dieser Daten sind Anschlußgeschäfte möglich.“
Anschlußgeschäfte #
Es geht um Planbarkeit. Es geht um vorausschaubares Verhalten der Kundschaft. Anschlußgeschäfte als der eigentliche Zweck einer Ware? Um diese Geschäfte geht es im Deal? „Genau!“ An der Technik und der Online-Verbindung des Fahrzeuges kannst du persönlich nicht drehen. „Du kannst nur der Company die Datennutzung untersagen.“Gall erzählte mir auch so amüsante Dinge wie: Da arbeitest du in einem High Tech-Unternehmen, das mit enormem Aufwand gegen Hackerangriffe abgesichert ist. Firewalls, Karten, Retina-Scans, weiß der Teufel was alles. Und dann kauft jemand für die Küche im Ruheraum des Personals eine neue Mikrowelle zum Aufwärmen des Essens. Die hat ein Interface und lädt sich eigenständig Updates vom Server des Herstellers. Zack! Plötzlich hat das Millionen teure System eine Sicherheitslücke für ein paar Euro, über die eine Cyberattacke erfolgen kann.
Solche Situationen sind auch in privater Dimension möglich. Etwa elektronisches Kinderspielzeug, das surrend und scheppernd durch die Wohnung wackelt. Hat vielleicht eine kleine Kamera eingebaut und eine Schnittstelle, um sich mit dem Server der Herstellerfirma zu verbinden. Tja! Einmal dürfen Sie raten, was damit möglich ist.
Man kann über derlei Gadgets Haushalte angreifen, Zugangsdaten stehlen, private Daten manipulieren etc. Das alles zu erörtern kam mir grade sehr entgegen, weil es das Ausmaß der Umbrüche illustriert, in die wir längst gegangen sind.
Pay Per Use#
Gall ist vom Konzept „Pay Per Use“ nicht beeindruckt: Nur wer eine Sache nutzt, soll sie auch bezahlen. Du bezahlst also für die Nutzung, nicht für das Gerät. Das macht dann auch rechtlich einen enormen Unterschied, ob ich zum Beispiel Software kaufe oder bloß für ihre Nutzung bezahle. Na, das ist nicht neu.Stellen Sie sich vor, ihr ganzes Leben wäre mit Dingen ausgestattet, die Ihnen nicht gehören, sondern einer Company, welche Ihnen überdies bei jedem Schritt und bei jedem Handgriff über ihre Schulter schaut. Kein verlockendes Bild!
Wir werden das freilich nicht zurückschrauben oder gar abschalten können. Wie einzelne Gegenstände etwa auf kurze Distanz per RFID-Technik ganz ohne Stromquelle auskommen, um mit anderen Gegenständen zu kommunizieren, und zwar außerhalb unserer Wahrnehmung, so sind inzwischen eben auch weit komplexere Systeme im Einsatz.
Aber wir wissen im Grunde alle, ein Gewinn an Komfort ist meist ein Verlust an Freiheit. Wenn ich beim Beispiel Auto bleibe: Sobald ich in ein aktuelles Fahrzeug einsteige, werde ich zum Hybridwesen, zu einer Art Cyborg, dessen Tun von einem System beobachtet, registriert und ausgewertet wird. Derzeit ist es schon äußerst verblüffend, wie zielgenau die Prognosen bezüglich des Verhaltens von Menschen werden können, wenn ein geeignetes System genug Daten zur Verfügung hat.
Was also?#
Na, wenn ich das wüßte. Aber! Die laufende Kommunikation mit inspirierten Menschen nützt mir enorm. Vorhaben in der Wissens- und Kulturarbeit mag ich ganz wesentlich als kollektive Praxis umsetzen. Ich hab hier in einer Notiz zusammengefaßt, wie ich mir sowas aktuell vorstelle.- Textil, Textur, Text (Zeit.Raum: der Netzkultur-Zusammenhang)
Doch wo ansetzen, um das passende Zeitfenster aufzumachen? Ich hab oben angedeutet, daß der Bogen 1814-1914-2014 eine anschauliche Hintergrundfolie ergibt. Im Aufbruch hin zu unserem heutigen Status quo ist allerdings das Jahr 1909 sehr entscheidend, als die Motorenentwicklung sich auf bedeutende Art manifestiert hat. Das ergibt außerdem eine gute Markierung auf dem Weg in die Zweite Industrielle Revolution, die Ära damals völlig neuer Massenfertigung. Hier eine Skizze:
- Aviatik und Akrobatik (Was sich rund um 1909 verdichtet hat)
Das heißt, polemisch verkürzt, daß um 1909 der Automobilismus und die Fliegerei kategoriale Sprünge gemacht haben. Es etablierte sich auch ein neuer Heldentyp. Was erst als „Der soldatische Mann“ Bewunderung auslöste, erhielt eine Motorisierung und wurde zum Rennfahrer, wahlweise zum Aviator.
Entwicklungssprünge und das Handwerk#
Als 1914 der Große Krieg losgetreten wurde, machte die Technologie Sprünge. Die Zweite Industrielle Revolution lieferte Stückzahlen in völlig neuer Dimension. Nach dem Zweiten Weltkrieg kam die Volksmotorisierung Österreichs in Schwung und machte Kraftfahrzeuge allgemein erschwinglich.Das alles ist inzwischen Geschichte und wird sowohl technologisch wie sozial von neuen Gegebenheiten überrollt. Wir sind von Maschinensystemen umgeben, die vieles tun, was bisher nur Menschen leisten konnten. Ist traditionelles Handwerk deshalb obsolet? Keinesfalls! Wir brauchen es zwar nicht mehr, um uns zur Alltagsbewältigung mit ausreichend brauchbaren Dingen auszustatten.
Aber Handwerk macht etwas mit den Menschen, die sich um Handfertigkeit und Problemlösungskompetenzen bemühen. Handwerk liefert außerdem Gegenstände, die uns besondere Wahrnehmungserfahrungen ermöglichen. Diese Aspekte rutschen derzeit zunehmend aus dem Fokus der Menschen. Da besteht Klärungs- und Handlungsbedarf.
Weiterführend#
- Automotive 1: Im Wandel (Auftakt in Hofstätten)
- Umbruch als Normalzustand (Die permanente technische Revolution)
- Klein und fein (Auto-Miniaturen zwischen Spielzeug und Sammelobjekt)
- Unter Druck (Lithography-based Ceramic Manufacturing und etwas Kontext)
- Maschine (Eine laufende Erzählung)
- Zeit.Raum: Slot II
- Dorf 4.0: Die Notizen-Übersicht