Repolitisierung#
(Eine fällige Debatte)#
Von Martin Krusche#
(Vorlauf) Wir waren eben fünf Leute an einem Tisch, um im Zusammenhang mit kulturpolitischen Fragen eine grundsätzliche Erörterung zu beginnen. Nach den Krisenjahren, die uns zwischen 2010 und 2020 eine interessante Auswahl von Aufgaben verpaßt haben, ist die Zerrüttung des Verhältnisses zwischen Kräften der Politik und der Zivilgesellschaft deutlich und variantenreich.
Wenn wir kurz darauf verzichten, daß vorzugsweise immer andere schuld seien, falls die Dinge schlecht laufen, kristallisiert sich eine anregende Überlegung heraus: Wovon würde eine Situation handeln, in der Personen aus Politik und Zivilgesellschaft sich aufraffen, um gemeinsam die Verantwortung für das Gemeinwesen zu übernehmen? (Das meine ich zum Beispiel mit „Repolitisierung der Kulturpolitik“.)
Schieben wir einmal alle wohlklingenden Sätze beiseite, von denen wir uns gerne rote Wangen machen lassen. Wenn Landespolitiker Franz Majcen am erwähnten Tisch Ingeborg Bachmann zitiert hat, dann mag ich diesen Satz als eine kleine Fahne nützen, die wir in den Boden stecken, um einen Ausgangspunkt zu markieren: „Die Wahrheit ist dem Menschen zumutbar.“
Reden wir also darüber, was der Fall ist. Verzichten wir auf verdeckte Intentionen und auf Schönfärberei. Damit wären wir eigentlich schon bei meiner schlichten Definition von Redlichkeit. Wenn ein Mensch für das Fließgleichgewicht zwischen seinem Denken, dem Reden und dem Tun sorgt, dann halte ich ihn für redlich.
Ich hab diesen Begriff, den ich sehr mag, aus der Physik mitgebracht. Ein dynamisches Gleichgewicht statt einer starren Anordnung, weil die – auf menschliches Verhalten umgelegt –eher auf Heuchelei hinausliefe. Statt der starren Moralkonzeption also: Fließgleichgewicht. Das hat irgendwie auch mit Kohärenz zu tun. Eine Schlüssigkeit, die an Menschen meist wahrnehmbar ist, falls man sich noch nicht verrohen ließ.
Aber ich schweife ab. Und ich möchte außerdem hier doch noch eine meiner Lieblingsmantras aus Krusches kleinem Handbüchlein der bewährten Mantras deponieren. Im Gegensatz zu anderen Sinnsprüchen, die ich vorrätig halte, hat dieser einen konkreten Autor, nämlich den Soziologen Gunnar Heinsohn: „Um Brot wird gebettelt, um Rang wird geschossen“.
Zur Sache!#
Rund um Beuys in Gleisdorf flattert mir der Kontext. Das liegt an einem banalen Umstand. Ich bin recht befangen, bin ein Kind der Popkultur. Dabei wurden mir über viele Jahre die Kontraste geschärft, weil die alte Intellektuellenfeindlichkeit und die Auffassungen von „entarteter Kunst“ aus dem Umfeld meiner Eltern und Großeltern springlebendig blieben.Die Intellektuellenfeindlichkeit ist heute nicht verschwunden, sondern hat sich verfeinern dürfen und wohnt auch in meinem Milieu. Viele Leute drängen sich ferner unter die Flagge der Kunst, auch wenn sie daran kaum ein konkretes Interesse zeigen. Es regiert Eigennutz mit so einem Hauch Geltungsbedürfnis.
Wir haben im Gleisdorfer Rathaus darüber gesprochen. Majcen kennt aus seiner praktischen Befassung mit Subventionsansuchen allerhand Zusammenhänge. Es wollte allein die letzten 20, 30 Jahre nicht gelingen, im allgemeinen Diskurs etwas Klarheit zu schaffen, daß Gegenwartskunst und Voluntary Arts (der Hobbybereich) zwei relevante, aber grundverschiedene Genres sind, die verschiedenen Zwecken dienen.
Wenn wir nun im Kielwasser der „Drexler-Konferenzen“ zum Thema „Kulturstrategie 2030“ kulturpolitische Debatten führen, dann ist es unverzichtbar, dafür unsere Begriffe zu klären, weil wir sonst nicht wissen, worüber wir reden. Was ich nun präzisieren sollte, diese erwähnten „fünf Leute an einem Tisch“ waren einerseits die zwei Politiker Franz Majcen und Karl Bauer (Gleisdorfs Kulturreferent), andrerseits die Architektin Petra Kickenweitz, die Künstlerin Carolina Sales Teixeira und ich. Wir waren uns nach dieser Zusammenkunft einig, derlei Gespräche weiterzuführen.
Und Beuys?#
Der ist für mich, ich hab es in anderen Notizen schon erwähnt, eine von mehreren exponierten Personen, die durch ihre Wirkung mitgestaltet haben, was mich als Künstler ausmacht. Dada, Fluxus und Pop Art zeigen sich dabei als nennenswerte Hintergründe, aber auch die russische Avantgarde. (Sie finden Spuren von all dem natürlich auch im Werk von Beuys.)Etliche der Motive und Schnittstellen daraus haben wir über die Jahre auch in Gleisdorf immer wieder betont und bearbeitet. Ich hab zu unserem 2016er Kunstsymposion („Koexistenz in Konvergenz“) angedeutet, daß einige von uns einst gut zu tun hatten, um in den Kräftespielen der 1950er und 1960er Jahre nicht unterzugehen. In „Um in der Welt zu bleiben“ (Eine kleine Präambel) notierte ich:
„Jene, die wie ich im Kalten Krieg aufgewachsen sind, erzogen und gezüchtigt von den erfahrenen Barbaren, sollten darüber alle Klarheit haben, denn Europas Wege von Verdun über Auschwitz nach Srebrenica haben diesbezüglich keine Geheimnisse offen gelassen. Europa übt sich gerade wieder in der Reproduktion solcher Gewalttaten und Zumutungen, deren betörender Gesang die Feindseligkeit ist.“
Dort hieß es dann auch unmißverständlich:
„Ich bin ein Kind der Tyrannis.
Ich bin unversöhnlich.
Ich bin ein Fremder.
Die Kunst ist mein Asyl. Da kann alles neu gedeutet werden. Um in der Welt zu bleiben. Es geht um Koexistenz...“
(Quelle)
Was mir zu all dem gerade paßt: Heute (16. Juli 2020) hat mir die Erinnerungsmaschine von Facebook ein Posting aus dem Pool gezogen, das von unserem Projekt „Fiat lux“ handelt. Unternehmer Ewald Ulrich hatte damals wesentliche Kosten übernommen, damit ich – als Teil davon - diese Session auf eine Referenz an Kasimir Malewitsch stellen konnte. Ein ziemlich großes schwarzes Quadrat im Hof von Schloß Freiberg.
Ich werde hier in weiterführenden Notizen noch erläutern, welche Bedeutung diese Motive (für mich) haben. Wie schon mehrmals erwähnt, im Kern stand mein bevorzugtes Quartett: das schwarze Quadrat von Malewitsch, der Stro(h)mlinienkörper von Jaray, der Bucky Ball von Buckminster Fuller und die Suppendose von Warhol.
Fußnote zu Bucky Fuller#
Es gab im Jahr 2009in Gespräch mit Victoria Vesna. Sie war damals an der UCLA für das Department of Design | Media Arts verantwortlich und leitete das UCLA Art | Sci Center sowie das UC Digital Arts Research Network. Vesna brachte mich auf diese spezielle Aussage von Buckminster Fuller, die mich bis heute bewegt. Der meinte: „Je entwickelter die Kunst ist, desto mehr ist sie Wissenschaft. Je entwickelter die Wissenschaft ist, desto mehr ist sie Kunst".Ich fragte später bei Vesna nach, ob ich es richtig verstanden hab. Sie schrieb mir: Below is the quote that you understood right. Best from Gdansk, V. ... "The great aesthetic which will inaugurate the twenty-first century will be the utterly invisible quality of intellectual integrity; the integrity of the individual dealing with his scientific discoveries; the integrity of the individual in dealing with conceptual realization of comprehensive interrelatedness of all events; the integrity of the individual dealing with the only experimentally arrived at information regarding invisible phenomena; and finally integrity of all those who formulate invisibly within their respective minds and invisibly with the only mathematically dimensionable, advanced technologies, on the behalf of their fellow men". Fuller, 1973
- Beuys 101 (Eine Erzählung in Momenten und Episoden)
Postskriptum: Einige Relevante Links#
- Die Vernissage: Erweiterte Kunstbegriffe (Zur 2022er Ausstellung in Gleisdorf)
- Fiat lux: Der Geist in der Maschine
- Fiat lux: Die Grundlagen des Entwurfs (Eine Herleitung)
- Fiat lux: Raumüberwindung (Prometheus auf dem nächsten Parkdeck)
- Handfertigkeit und Poesie (Das Booklet zum Aprilfestival)
- Ideal-Strohmlinienkörper für Landfahrzeuge nach der Jaray'schen Theorie
- Victoria Vesna