Eine Fahrt mit der Straßenbahn#
(Alter Reisebericht 1966 aus der Erinnerung 1976 geschrieben und inzwischen aktualisiert)#
Von Ernst Zentner [= Ernst Lanz]
Im Spätsommer 1966 - ich war damals acht Jahre - gab es eine Geburtstagsfeier eines Familienmitgliedes in der Donaustadt. Also fuhren wir (meine Mutter, meine Großmutter und mein Großvater sowie ich) zur Feier in einem "Stadtteil" jenseits der Donau. Wir mussten zweimal umsteigen und dann bestiegen wir eine Straßenbahn, die ich eher aus der Ferne kannte. Die Einheimischen nannten sie "Amerikaner" Das Fahrzeug war rotweiß lackiert, hatte keine Kupplungen, war etwas klobig und hatte etwas von einem reduzierten Eisenbahnwaggon an sich. Auf dem Dach ein riesiger Scherenstromabnehmer. Zwei Fahrgestelle mit jeweils zwei Achsen. Als Linien-Signal trug sie die Bezeichnung "217", zweihundertsiebzehn. Ihre Strecke war etwa zehn Kilometer lang und endete an der Stadtgrenze. Die Schienen waren teilweise eingleisig mit Ausweichen. Ich saß an der linken Fensterseite. Die Sitze fühlten sich angenehm an - sie waren lederüberspannt und weich.Damals war die Gegend entlang der Strecke noch nicht so verbaut. Die Häuser waren meist eher ländlich, niedrig oder höchstens dreistöckig. Getreidefelder oder brachliegende Areale dominierten. Manchmal ein Blick ins weitreichende Marchfeld. Hie und da einige Glashäuser. Sogar ein devastiertes Schloss.[1] Ein Denkmal das an die Schlacht bei Aspern erinnerte[2], deutete die geschichtliche Bedeutung an.
Endlich fuhren wir mit dem eigentümlichen Fahrzeug. Bei jedem Halt machte es Tack Tack Tack Tack … und wenn es einmal rollte, schwang es eigenartig angenehm, sehr schwach schaukelte es und eine Fahrt war ruhig. Bei den Ausweichen musste auf den Gegenzug gewartet werden, was oft einer Geduldsprobe gleichkam. Ein interessanter Aufenthalt war die Gleiskreuzung mit der großen Eisenbahn in Hirschstetten.[3] Der Bahnschranken war unten. Eine lange alte Dampflok mit Tender zog einen langen Güterzug in Richtung Osten, und zwar in die damalige CSSR. Fauchend und knirschen verschwand der Zug in der Ferne. Der Schranken war schnell hochgeklappt und der "Amerikaner" polterte souverän über die Eisenbahngleise, und diese waren jedoch massiver ausgeführt als die der Straßenbahnschienen. An manchen Stellen der Strecke fuhr der Straßenbahnzug doch etwas langsam. Das hatte seinen Grund, und das hatte ich viel später erfahren. Die Schienen stammten noch aus der Dampftramwayzeit und die lag damals schon fast ein Menschenalter zurück. An manchen Stellen waren die Schienen regelrecht abgenutzt und sogar etwas abschüssig. Wenn eine Straßenbahn darüber rollte, konnte es passieren, dass sie nur so wackelte. Die Verwaltung der Straßenbahn entschied ein Langsamfahrgebot an manchen Streckenabschnitten. Erneuerungsarbeiten waren damals nicht mehr angesagt. Straßenbahngleise bestanden aus Rillenschienen. Aber auf manchen Abschnitten waren es noch Eisenbahnschienen mit Holzschwellen, die sparsam halber mit Sand überdeckt wurden.
Nur noch ein weiterer Nachtrag. Die Geburtstagfeier ging in der Nacht zu Ende. Nach einer langen Wartezeit bei der Haltestelle Essling Schule bestiegen wir einen einfachen zweiachsigen Solotriebwagen "317" (Type K), der uns nach Kagran zurückbrachte. Und wie das altertümliche Fahrzeug, das auch tat. Dröhnend fuhren wir durch die Nacht. Kaum Straßenbeleuchtung gab es damals. Während der Fahrt fiel ständig das Licht im Fahrzeuginneren aus. Dazu noch die harten Holzsitzbänke…
Als ich zwölf Jahre zählte, wurde der Straßenbahnbetrieb eingestellt und mit Gelenksautobussen fortgesetzt. Und dieser Autobustyp ist heute genauso Legende geworden.
Und heute? Seit einigen Jahren fahren neu gelegte Straßenbahnlinien und sogar eine U-Bahn das Umfeld des einstigen 217er an.
Den „Amerikaner“ kann man im Verkehrsmuseum bewundern und ferner betriebsfähig. Ein anderes Fahrzeug wurde an ein amerikanisches Streetcar-Museum überreicht, das dort in den Ursprungszustand zurück verwandelt wurde.[4]
Übrigens im Tramway Museum Graz (Mariatrost) steht auch so ein Exemplar einer US-amerikanischen Straßenbahn-Type, allerdings nicht mehr betriebstauglich, und es wurde eine Modelleisenbahnanlage in das Fahrzeug eingebaut.
Einige technische Details: Gebaut 1939 für das New Yorker Straßenbahnnetz, das damals durch ein U-Bahn-System ersetzt wurde (auf Youtube finden sich zahlreiche Filmdokus dazu); Länge fast 13 Meter, Breite 2,5 Meter; wodurch es in Kurven mit Gegengleis ein "Kreuzungsverbot" eingehalten werden musste; 40 Fahrzeuge wurden von der Stadt Wien eingekauft und über Rotterdam nach Österreich gebracht; ironischerweise mittels Eisenbahntieflader(!). Allgemein waren diese Fahrzeuge vom Motorführerpersonal der früheren Wiener Verkehrsbetriebe (heute Wiener Linien) schwierig zu handhaben. Hohe Unfallzahlen und fehlende Schienenbremsen - seit 1957 (Eisenbahngesetz) vorgeschrieben - machten eine Geschwindigkeitsbegrenzung auf 25 km/h erforderlich. Zwei Fahrzeuge sind einmal bei Nebel auf einer eingleisigen Strecke zusammengeprallt. Zahlreiche Verletzte und Sachschäden. Der Einsatz der als Type "Z" bezeichneten Fahrzeuge war nur auf lange gerade Strecken vorteilhaft. Ursprünglich waren es Strecken, großteils eingleisig, mit Ausweichen und ohne Kehrschleifen. Vom Wiener Stadtzentrum bis Stammersdorf, Strebersdorf, dann von Floridsdorf über Kagran nach Hirschstetten (ÖBB-Kreuzung), Aspern und Essling sowie Englisch Feld. Hier war Endstation, wegen der Stadtmauer von Großenzersdorf (Niederösterreich) konnten die Fahrzeuge nicht mehr weiterfahren und wurden durch konventionelle, rumpelnde schmälere Zweiachser (Type K bzw. M) ersetzt. Eine weitere gerade Strecke führte praktisch entlang der Donau - durch die Bezirke Brigittenau und Leopoldstadt bis zum Praterstadion (heute als Ernst-Happel-Stadion bekannt). 1969 wurde der "Amerikaner" - noch in den 1950er Jahren durch kleinere ähnlich wirkende Zweiachser kopiert - endgültig aus dem Fahrdienst entfernt und bis auf ganz wenige Exemplare verschrottet.
Für mich sind sie meine Lieblingsstraßenbahntype geblieben - inzwischen gibt es bei der ÖBB moderne Schienenbusse oder die Type Regio auf der Wachaubahn, die mich versöhnlich stimmen.
Der originale TARS (Third Avenue Transit System) war eine Trolley-Type mit zwei gefederten langen Stange als Oberleitungsstromabnehmer und besaß ein anderes Aussehen: Generell cremefarbend mit dunkelrote Flächen, einfache Nummerierung und auswechselbare Zieltafeln.
[1] Damit ist das von 1988 bis 1991 restaurierte Schloss Essling gemeint.
[2] Das Denkmal des verwundeten Löwen nächst dem Siegesplatz, Aspern.
[3] ÖBB-Haltestelle Wien Hirschstetten (AustriaWiki). Inzwischen fand ein zweigleisiger Ausbau in Hochlage statt.
[4] Parks Rec 'n Roll 67: National Capital Trolley Museum (Colesville, Maryland, USA) (vor allem 0:58 bis 1:30 min)
Copyright Ernst Zentner 1976, behutsam überarbeitet und etwas erweitert 2019 und 2023
Siehe
Technische und historische Angaben über das Fahrzeug Video Historisches und interessante Fotos