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Kaiser Karl VI. und seine Zeit - Die Bekämpfung der Pest - Contagion, Quarantina und Contumaz#

Von Ernst Zentner

Ich erinnere mich an eine merkwürdige Anekdote: Ein gutbürgerlicher Herr lernt ein Touristenpaar kennen.
Wollen sie, dass ich sie in Wien herumführe oder ihnen die Stadt zeige? Möchten sie die Pestsäule sehen?
Die besagte Pestsäule ist eigentlich eine Dreifaltigkeitssäule, die von Kaiser Leopold I. gestiftet wurde. Der Habsburger ist an dieser doch mächtigen Skulptur als knieende Gestalt dargestellt. Sozusagen ein Dank an Gott für die ausgestandene Pestepidemie (1679-94).
Pestsäulen, eigentlich Dreifaltigkeitssäulen entstanden im Frühbarock bis Hochbarock und sind der Ausdruck des Dankes an Gott nach einer überstandenen Pestepidemie. In Niederösterreich dominieren solche kunstvolle Skulpturen.

Einige Worte eines sprachgewaltigen Predigers im ausklingenden 17. Jahrhunderts:#

"O Mensch laß dirs gesagt seyn / laß dirs klagt seyn / schrey es auß / vnnd schreib es auß / allen / alles /allenthalben / Es muß gestorben seyn / nicht vielleicht / sonder gewiß. Wann sterben / ist nicht gewiß; wie sterben / ist nit gewiß; wo sterben / ist nicht gewiß; aber sterben ist gewiß.
Auff den Frühling folgt der Sommer / auff den Freytag folgt der Samstag / auff das dreye folgt das Viere / auff die Blüe folgt die Frucht / auff den Fasching folgt die Fasten / ist gewiß / auff das Leben folgt der Todt / Sterben ist gewiß."

(Auszug aus Abraham a Sancta Clara: Mercks Wienn. Das ist des wütenden Tods ein umbständige Beschreibung […], Wienn: 1680) Mercks Wienn

Vorbemerkung
Epidemien gab es in der offiziellen Weltgeschichte seit über 2.500 Jahren schon immer. Jedoch die Art der Infektion und Verbreitung war stets anders variiert.
Pest-Epidemien gab es in Wien nicht wenige. Beginnend ab 1349 und endend 1713/14. Insgesamt zwölfmal. Danach brach in den 1830er Jahren eine Cholera-Epidemie aus. Bis 1873 (Weltausstellung) insgesamt fünfmal. 1855/1856 gab es sogar eine Typhus-Epidemie. Ursache für alle Massenerkrankungen war eigentlich mangelhafte Hygiene. Mit der Eröffnung der Wiener Hochquellenwasserleitung gehörten solche Epidemien bald der Vergangenheit an. Das Zeitalter der Seuchen endete mit der Spanischen Grippe 1918. Natürlich bedingt durch die Lebensumstände nach den Weltkriegen brachen hie und da unterschiedliche gefährliche Krankheiten aus, die oft eingedämmt wurden.

...
Ansicht der Festungsstadt Wien, Johann Adam Delsenbach, 1740; Wien Museum - Fast eine harmlose Darstellung der Residentzstatt Wienn. Damals eine burgartige Festung vor dem kleineren Donauarm. Mit Blick zum Rotenturmtor. Sie war ein Ballungszentrum … - Foto: Yelkrokoyade, Wikimedia Commons - Gemeinfrei

DIE BEKÄMPFUNG DER PEST I
Noch Ende 1712 wurde die Pest angeblich aus dem Osmanischen Reich über Ungarn nach Österreich eingeschleppt. Offenbar war dem ein feuchter Sommer vorweg gegangen. Ehest ordnete der Kaiser die Installierung von „Pest=Commisarien“ an den Ostgrenzen der Monarchia Austriaca an, um damit brauchbare Quarantänemaßnahmen zu arrangieren. Ballungszentren waren von jeher anfällig gewesen für Massenerkrankungen.
Dazu sei erwähnt, dass damals 1708 bis 1714 - während des Großen Nordischen Krieges in Nord- und Osteuropa eine Million Menschen der Pest zum Opfer fielen.
Der Kaiser konnte, wenn es die Situation abverlangte, eine unbarmherzige Liebenswürdigkeit verströmen. Jedenfalls musste er in Krisenzeiten eine bereits im 17. Jahrhundert begonnene Gesundheitspolitik betreiben, die den Bestand seiner Untertanen (und eventuellen Steuerträgern) sicherte. Beunruhigt erließ Kaiser Karl VI. eine Verfügung, wonach Ärzten unter Todesstrafe untersagt war, die Residenzstadt Wien zu verlassen. Seit jeher wurden in Extremsituationen die Todesstrafen angedroht und angewandt, um die wirre Lage unter Kontrolle zu haben.
Seit 1712 - die Pest grassierte in Ungarn - versuchte der Kaiser mittels publizierter "Pestordnung" der Situation Herr zu werden. Es war schon zu spät erste Todesopfer waren auch in Wien zu beklagen. Die "Contagion" (Ansteckende Krankheit, Seuche) nahm Gestalt an.
Aus den Erfahrungswerten der Pestepidemie von 1679 wurde von niemanden etwas gelernt. Damals stritten die Mitglieder der Medizinischen Fakultät an der Universität Wien mit dem Consilium sanitatis der Stadt Wien. Panik herrschte damals und zwischen der Medizinischen Fakultät und dem Consilium sanitatis herrschte Uneinigkeit. Erst im Mai 1713 konnten die Infektionsberichte von der Fakultät eingesehen werden. Jedenfalls vertrat die Fakultät, die Ausbreitung der Seuche könnte eingeschränkt werden. Dazu ein Hinweis: Die Rückständigkeit der Medizinischen Fakultät zu Anfang des 18. Jahrhunderts war zu gut bekannt. Vor allem ihr hochmittelalterliches Weltbild, das ihre Mitglieder nicht bereit waren aufzugeben. Fortschritt gab es nicht, höchstens Argwohn und Brotneid. Auf die Todesursache des Kaisers Josephs I. befragt, gaben sie ein knappes Statement ab: Ursache sei der Jahresregent Saturn – und der sei ein Feind der Kinder …
Kaiser Karl VI. erkannte, dass seine bisher veröffentlichten Patente und Verordnungen nichts fruchteten. Er betrat den Weg der Härte: "Contagions=Sachen /
Wir Carl der VI. ... Gleichwie nun zu Dämpffung und Rettung dieses weit aussehenden Unheils, vielfältige wegen derley ansteckenden Seuchen ergangene, und ganz neuerlich wiederholte Patente ingleichen die gemeine Infections-Ordnung, jedermann vor Augen liegen; die Liebe des Nächsten, eines jewederen selbst eigene Erhaltung, und der zu des werthesten Vaterlands und gemeiner Wohllfahrt ernstlicher Rettung obliegender Eifer, auch jeden insonderheit Pflichtschuldigst anstrengen solte, zu dessen Beförderung ermeldten Infections-Patenten und Ordungen, genauesten und gehorsamsten Vollzug zu leisten, und das alles dasjenige von selbsten vorzukehren und zu bewerckstelligen, was zur gemeinen Sicherheit, Rettung und Erhaltung, immer erforderlich und zulänglich seyn kan, und durch erstberührte Verordnungen jedermänniglich ganz gemessen, unter schwerer Verantwortung, und denen Ubertretern angesetzter Bestraffung, eingebunden wordem: so müssen Wir doch höchst mißfällig vernehmen, daß die wenigste aus euch die Wichtigkeit gegenwärtiger Umstände, und vor Augen schwebende Gefahr beherzigen, dem Werck nachdrucksame Hand anlegen, und ohne neuer Erlassung schärfster Befehle und Verordnungen, zu denen benötigten Hülf= und Rettungs=Anstalten schreiten, als ob einige Patente in Sachen vorhin niemahlen ergangen, noch die in dem ganzen Land publicirte Infections-Ordnung, von einiger Kraft oder Wirckung mehr wäre, sondern bey neuen Vorordnungen und Patente ausgetragen, und wiederholet werden müste."
(30. Juli 1713, Sammlung Oesterreichischer Gesetze und Ordnungen … Codicis Avstriaci … bis auf das Jahr 1720 … Leipzig 1748, Seite 692-693)
Aus wissenschaftlichen Ursachen verlangte Karl VI. während der Pestkatastrophe im Juli 1713, dass eine Pestleiche obduziert werde. Von der Ärzteschaft fühlte sich – aus verständlichen Gründen – keiner dazu berufen, bis dann ein stellvertretender Mediziner, Wundarzt Dr. Fuchs das Risiko auf sich nahm drei solche Körper direkt zu untersuchen. Dieser Arzt wurde hernach in eine Quarantänestation gebracht und ward nie mehr gesehen. Unfreiwillig Opfer für die Wissenschaft zu bringen gehörte zum Alltag des 18. Jahrhunderts. Nur zum Vergleich: In Prag starben im gleichen Jahr an die 20.000 Menschen an der Pest![1] Die Wiener Stadtbevölkerung neigte zu der Zeit Karls VI. zu Extreme. Zumeist ins Negative. Der Kaiser musste oft über den Bürgermeister oder Stadtrichter die wichtigsten Entscheidungen selber in die Hand nehmen – vor allem auf dem sanitären Bereich. Längst wurden Maßnahmen gesetzt, wenn auch nicht mit durchschlagendem Erfolg: 1672 war das illegale Müllablagern bei An-den-Pranger-Stellen-Strafe verboten, 1706 wurden erste Kanalisationen durchgeführt – doch erst unter Maria Theresia wurden sie Realität und 1709 wurde die Straßenreinigung zur Regelmäßigkeit erhoben. Traditionelle Schlamperei und Gleichgültigkeit hatten die Pest ausweiten lassen. Aber auch das Nichtwahrhaben einer gefährlichen Situation gehörte zum Alltag. Eher bevorzugte der gepeinigte Wiener einige Gläser Wein um seine Zukunftssorgen gedämpft zu erblicken. Schon lange gab es die Sage vom lieben Augustin (1643-1685), der noch Ende des 17. Jahrhunderts lebendig aus einer Pestgrube gerettet wurde.
Der Wiener Galgenhumor ist sattsam bekannt:
"O du lieber Augustin, Augustin, Augustin, O du lieber Augustin, alles ist hin.
Geld ist weg, Mensch (Mäd’l) ist weg,/ Alles hin, Augustin./ O du lieber Augustin,/ Alles ist hin.
Rock ist weg, Stock ist weg,/ Augustin liegt im Dreck,/ O du lieber Augustin,/ Alles ist hin.
Und selbst das reiche Wien,/ Hin ist’s wie Augustin;/ Weint mit mir im gleichen Sinn,/ Alles ist hin!
Jeder Tag war ein Fest,/ Und was jetzt? Pest, die Pest!/ Nur ein groß’ Leichenfest,/ Das ist der Rest.
Augustin, Augustin,/ Leg’ nur ins Grab dich hin!/ O du lieber Augustin,/ Alles ist hin! "

Allerdings die Melodie wurde schon 1720 aufgeschrieben und der Text erst um 1800. Auch ein Wienerlied das eher Volksliedcharakter aufweist.

DIE BEKÄMPFUNG DER PEST II
Der Kaiser agierte mit Vernunft, er entschied in der Residenzstadt zu bleiben und wollte nicht wie sein Vater, der bei Krisensituationen die Stadt Hals über Kopf auf Land verlassen hatte, als Feigling gelten. So ließ Karl VI. die alte Burg mit Barrikaden umgeben, um eine Ansteckung durch illegale Personen zu vermeiden. Kurzum: Es herrschte höchste Informationspflicht. Jeder der bei Hof verkehrte, vom Diener bis zum Hofkanzler sogar Mitglieder des Kaiserhauses, wurde peinlich genau befragt. Bei eventuellen Fahrten außerhalb der Burg wünschte der Kaiser keinerlei Begegnung mit Krankensessel, Infektionswagen oder Karren. Sein Verbleiben in Wien empfand die Bevölkerung als beruhigend – trotz polizeistaatlicher Kontrollen. Die bei der Jagd beteiligten Waidmänner und andere Jäger wurden streng überwacht und mittels Personallisten geprüft. Freilich wurde damit dem gepeinigten Wiener der Eigensinn gegen Obrigkeit und fremdenfeindliches Verhalten noch mehr eingebläut. Auf einer Donauhalbinsel nächst der Spittelau in Wien-Alsergrund wurden Baracken errichtet, in denen die Infizierten ihrem Schicksal überlassen wurden. Wer weiß, ob nicht dieser Nähe Pestgruben gab, die längst durch Wohnbauten verschwunden sind. Erst vor wenigen Jahren wurde in Wien in einem Haus eine Pestgrube von Archäologen wiederentdeckt. Anstatt die Ausbreitung der Pest zu verhindern wurde durch Panikmache das Gegenteil erhoben. Die Opferzahlen reflektieren einiges an Dramatik: Im Februar 1714 wurden noch die letzten Epidemietoten registriert. Offiziell waren 9.965 Personen erkrankt gemeldet. Insgesamt starben 8.644 Menschen. (1679 waren es sogar 12.000 Todesopfer!) Ein fataler Hinweis auf die hygienischen Zustände in der Stadtfestung zur Zeit Karls VI. Ich möchte hier nicht relativieren. Bei Vulkan- und Erdbebenkatastrophe damaliger Tage kamen mehr Menschen ums Leben als bei Massenepidemien. Im folgenden Monat fand im Stephansdom ein Fest des innigsten Dankes statt und am 22. März 1714 wurde vom Kaiser, nachdem mit Mühe die Medizinische Fakultät das Ende der Pest formell bestätigt hatte, die Gesetze und Einschränkungen offiziell aufgehoben. Danach eher erst ab 1717 gab es in Österreich keine Pestepidemien – abgesehen von den üblichen Krankheiten – mehr. 1724 gab der Kaiser eine Verfügung heraus, wonach die Straßen und Gassen in der Innenstadt gefälligst gepflastert zu sein hatten, dazu gewölbt, damit die Rinnsale ehest und ordentlich abfließen konnten. Dazu wurden auch entsprechende Dachrinnen abgefordert. Aber das war ein weiter Weg: In der zweiten Hälfte der 1720er-Jahre ereignete sich eine Milzbrandepidemie unter anderem an der Ostgrenze zum Osmanischen Reich stationierten kaiserlichen Soldaten. Die Leichen wirkten blutleer, wodurch später in den düsteren Karpaten der Aberglaube des Vampirismus sich entfaltete. Und der gehört noch immer zum Alltag – für Einheimische und abenteuersüchtige Touristen! Nun die die wahren Ursachen blieben den Sachverständigen Karls VI. noch verschlossen.

DIE BEKÄMPFUNG DER PEST III
Um die Pesteinschleppung in Zukunft zu vermeiden, verordnete der Kaiser durch ein Hofschreiben vom 22. Oktober 1728 die Errichtung eines ständigen Pestkordons entlang der nahezu 2.000 Kilometer umspannenden österreichisch-osmanischen Grenzen. Bekannt als "Sanitäts=Sachen".[2] Eine Sperre die vom Karpatenbogen bis zur Adriaküste reichte und als eine der größten organisatorischen Leistungen der Barockzeit zählte. Menschen wurden in Quarantänestationen - "Contumaz" - beobachtet und Lebensmittelimporte begutachtet. Ein Wunder, dass die Hohe Pforte diesen Kordon nicht als Provokation empfand.
1732 ließ der Kaiser sogar den Friedhof von St. Stephan – aus hygienischen Ursachen – auflassen, um Epidemien zu verhindern.

In den letzten bitteren Regierungsjahren Karls VI. - ihm widerfuhr eine Niederlage in einem Krieg gegen die Osmanen - 1738/39 - grassierte in weiten Teilen seiner Monarchia Austriaca wieder einmal die Pest. Wien blieb diesmal verschont.
Die Errichtung der Karlskirche, nach Entwurf von Johann Bernhard Fischer von Erlach begonnen und von dessen Sohn Joseph Emanuel vollendet, dem hl. Karl Borromäus (Pestheiliger) geweiht, erinnert an die unselige Zeit der Pestepidemie 1713.


Anmerkungen
[1] Zedler Universal-Lexicon 29. Band 1741 Leipzig und Halle, Spalte 160
[2] Sammlung Oesterreichischer Gesetze und Ordnungen ... [1721-1740]] von Sebastian Gottlieb Herrenleben, Wien 1752 (Supplementum CODICIS AUSTRIACI PARS II), Seite 499-500
Quellen (in Auswahl)

Weiterführendes (Epoche)


Ernst Zentner 2018, aktualisiert 2020