Unter Druck#
(Lithography-based Ceramic Manufacturing und etwas Kontext)#
Von Martin Krusche#
Es ist eine Weile her, daß Menschen staunten, wenn in einem Büro ein 3D-Drucker stand oder jemand sich aus privater Passion einen Laser Cutter in die Bastelstube stellte. (Weiß noch jemand, was eine Laubsäge ist?) Wir haben einst große Augen gemacht, daß von kleinen, funktionsfähigen Handfeuerwaffen bis zu allerhand Spielzeug diverse Gegenstände gedruckt werden können. Oder jemand nutzte die Gelegenheit, sich als kompletten Menschen scannen zu lassen, ging danach mit einem verblüffend realistischen Püppchen nach Hause, hatte dann ein Abbild der eigenen Person in der Vitrine.
Lebhaftere Geister debattierten schon länger das Internet der Dinge. Dezentrale Produktionsstätten geistern durch Köpfe, sollen teils große Fabrikanlagen ablösen. Im Alltag erfuhr man eventuell, daß schon kleine, durchaus bewohnbare Häuschen aus dem Drucker kommen. Vieles kann „geprintet“ werden, Metall, Schokolade, Weiches und Hartes. Auch Automobil-Teile oder ein tragfähiger Balkon. Kommunales: “This 3D-printed street furniture is made from recycling plastic food cartons“. All das ist übliches Kolorit für die bunten Seiten des Boulevard. Jenseits solcher Plaudereien hat die Industrie freilich längst ganz andere Wegstrecken der Entwicklung absolviert.
Innovationssprünge#
Immerhin konnte das breitere Publikum schon lange davor über Meldungen zum Thema Miniaturisierung verblüfft sein. Literatur und abenteuerliche Kinofilme, auch Magazine wie die „Hobby-Hefte“, taten allerhand dazu. Das ließ sogar von atomgetrieben Automobilen träumen. Dagegen realistischer: rasend schnelle Lichtleitungen, die unvorstellbar komplexe Architektur von Mikrochips, die Nanotechnik in vielen Anwendungsbereichen, der zunehmende Wechsel von konkreten zu abstrakten Maschinen, also der permanente Rückgang von Maschinen, deren Aussehen ihre Funktionen offenbart etc.Als ein romantisches Beispiel unter vielen: unvergeßlich der Film „Fantastic Voyage“ (Richard Fleischer, 1966), in dem Stephen Boyd, Raquel Welch und andere Hollywood-Größen ein Team spielen, das samt U-Boot geschrumpft wird, um in einem menschlichen Körper eine medizinische Mission zu erledigen.
Gut, sowas ist nicht in Sicht. Warp-Geschwindigkeit von Raumschiffe auch nicht. Dennoch, Science Fiction, das ist jetzt! Es findet statt. Zwei unscheinbar wirkende Exponate im Ausstellungsraum eines Gleisdorfer Projektes markieren im März 2022 die Höhe der Zeit.
Zur Sache!#
Es mag ja sein, daß Sie mit dem Wort Keramik vor allem originelle Töpferware vom Kunsthandwerksmarkt assoziieren, vielleicht auch Blumentöpfe aus dem Baumarkt. Oder Hitzeschutz, wahlweise Wärmespeicher: Schamott und Kacheln bei den Öfen. Wer ein wenig Interesse an Technik hat, erinnert sich eventuell an das Space Shuttle „Columbia“ vom Anfang der 1980er Jahre. Dem sensationellen Fluggerät waren bei der Erprobung etliche Keramik-Fliesen weggeflogen, Teile des Hitzeschutzes (Thermal Protection System) für den Wiedereintritt in die Atmosphäre. Deshalb hat man in den Nachrichten aber nicht gleich von „gesinterten Slikatfasern“ und anderen sachlichen Details gesprochen.Damit will ich sagen: was an technischen Entwicklungen konkret in unseren Alltag eingesickert ist, etwa als die Komponenten von Geräten oder von Produktionsanlagen, wurde vom breiteren Publikum noch nicht in den Archiven der Alltagskultur vermerkt. Vieles davon wird wohl auch nie im allgemeinen Sprachgebrauch auftauchen.
Da wäre etwa von Ceramic 3D Printing zu reden, wie es die Wiener Firma Lithoz anbietet und dabei Dinge herstellt, die Weltrang haben. Durch ein freundliches Entgegenkommen darf ich zwei Beispiele dafür im Gleisdorfer „Zeit.Raum“ zeigen. So schließt sich der erste Bogen einer Erzählung, die dem Thema „Die Ehre des Handwerks“ gewidmet wurde.
Ich hab dabei das Genre und etliche der Begriffe ausgelotet, hab mich selbst Lektionen im händischen Feilen von Stahl unterzogen, beleuchte ein paar Momente des technischen Umbruchs, der womöglich so grundlegend ist, wie zuletzt die neolithische Revolution.Siehe: "Das Sägen und Feilen" (Ein stahlhartes Postskriptum)!
Es ist atemberaubend, welche Dinge mit den neuen Methoden in welcher Präzision gefertigt werden können. Das bedeutet vor allem auch, es sind inzwischen Formen von Gegenständen realisierbar, die sich davor weder maschinell herstellen ließen, noch durch hochkarätiges Handwerk möglich waren, weil die Winzigkeit und Genauigkeit etlicher Details einfach durch nichts erreichbar gewesen ist.
Formen und Funktionen#
Ein typisches Beispiel im Alltag sind heute Autoscheinwerfer, die dank neuer Werkstoffe und Fertigungsmethoden Formen haben können, welche Sie bei den Autos der Youngtimer-Szene nicht finden können. Deshalb heißt es bei meinem Leihgeber: „Lithoz ermöglicht es Unternehmen, ihre Produkte neu zu erfinden.“ Per Lithography-based Ceramic Manufacturing. Das meint zum Beispiel 3D-Drucker für Hochleistungskeramik und bioresorbierbare Keramik. Das meint aber auch 3D-gedruckte Multimaterialkomponenten. Also Werkstücke, die aus verschiedenen Materialien bestehen und komplexe Geometrien aufweisen. Keramik-Metallbauteile, Keramik-Polymerbauteile, die Kombination mit selbst entwickelten Materialien, multifunktionale Komponenten…Da hat sich der Homo faber längst mit einer Welt von Werkzeugen und Maschinen umgeben, die ihm ein Herstellen von Dingen ermöglichen, zu denen er selbst mit seinen Händen und Werkzeugen nicht in der Lage ist. Wir wurden inzwischen sehr weitreichend einem „Prometheischen Gefälle“ ausgeliefert. Damit meinte Philosoph Günther Anders die menschliche Erfahrung, was es an uns bewirkt, wann man in verschiedenen Tätigkeitsbereichen von Maschinen übertroffen zu wird.
Das ist freilich nicht neu. Längst vor dem antiken Mechanismus von Antikythera, einem feinmechanischen Apparat, der Zeit zwischen 70 bis 60 v. Chr zugeschrieben, haben sich Menschen durch mechanische Lösungen das Leben zu erleichtern versucht. Ob Mühlen oder Theatermaschinerien, ob - weit grundlegender – zum Beispiel die Speerschleuder, die den Menschen per technischer Erweiterung für die Jagd optimiert… Es ist wohl so, daß wir nicht bloß Werkzeuge benutzen; die Werkzeuge verändern uns, während wir sie verwenden.
Da wir uns zunehmend mit Maschinen umgeben, die sehr smart sind, darunter selbstlernende Systeme, die sich inhaltlich teils unserer Auffassungsgabe entziehen, aber auch neue Präzisionswerkzeuge, die außerhalb unserer sinnlichen Wahrnehmung wirken, gehen wir in eben diesem Prometheischen Gefälle sehr interessanten Zeiten entgegen; oder stecken schon mittendrin.
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Querverbindungen: die Kontext-Kiste#
Die vorhin verlinkte Diskursleiste "Prometheus" ist hier noch mit einigen anderen Projektlinien verknüpft. Das Thema ist dermaßen groß und komplex, daß sich ganz verschiedene Zugänge und Betrachtungsweisen lohnen. Hier zwei vorrangige Bereiche von Kunst Ost.- Zeit.Raum
- Diese Exponate sind Teil der Episode XII: Hochleistungskeramik (Nein, es ist keine Töpferei!)
- Funkenflug
- Der Beitrag ist ebenso Teil einer Erkundung von Martin Krusche und Richard Mayr
- Der Mensch als Maschinenkomponente (Unsere Fragen und Debatten)
- Norbert Gall (Head of Marketing) als Diskurspartner
- Die Ehre des Handwerks (Eine Erkundung im 21. Jahrhundert)
- Der Homo faber im Kontrast
- Der Leihgeber: Lithoz
- Manufacture the Future: Ceramic 3D Printing