Schule in der Krise - was Corona mit der Bildung macht#
Parlamentsfraktionen diskutieren über Defizite im Bildungssystem#
Wien (PK) - Das Coronavirus hat Einschnitte in allen Lebensbereichen und Gesellschaftsschichten gebracht, besonders hart trifft die Pandemie aber den Alltag von Schülerinnen und Schülern. Diese bewegen sich seit nunmehr einem Jahr zwischen Distance-Learning, Präsenzunterricht und diversen Mischformen. Klar ist, dass Corona den Schulalltag grundlegend verändert hat, noch weiter verändern wird und so gesehen einen nachhaltigen Einfluss auf das österreichische Bildungssystem haben wird. Welche Rolle die Politik dabei spielt, inwieweit Corona Probleme im österreichischen Bildungssystem offengelegt hat und welche Perspektiven es gibt, darüber diskutierten gestern in der Internet-TV-Sendung Politik am Ring unter der Leitung von Gerald Groß VertreterInnen der fünf Parlamentsfraktionen, Bundesschulsprecherin Alexandra Bosek sowie die Bildungspsychologin Christiane Spiel.
Weitreichende Folgen von Corona im Bildungsbereich#
Einen Großteil der Probleme, die im letzten Jahr im Bildungsbereich zutage getreten seien, habe es schon lange gegeben, so Martina Künsberg Sarre, Bildungssprecherin der NEOS. Die Pandemie hat die vorhandene Ungleichheit aus ihrer Sicht jedoch verstärkt: "Die Bildungsschere ist auseinandergegangen, die Digitalisierung hat uns kalt erwischt". Von einer "Generation Corona" will Künsberg Sarre dennoch nicht sprechen: "Die Bezeichnung ist falsch", so die NEOS-Abgeordnete, es sei verantwortungslos, von einer verlorenen Generation zu sprechen. Es sei vielmehr die Aufgabe, dafür Sorge zu tragen, dass alle Kinder die Folgen der Krise verarbeiten können. Dazu würden SchulsozialarbeiterInnen, SchulpsychologInnen und speziell dafür ausgebildete LehrerInnen benötigt, die derzeit aber fehlten.
Rudolf Taschner, Bildungssprecher der ÖVP, wies darauf hin, dass eine Pandemie selbstverständlich Krisen mit sich bringe, und stimmte Künsberg Sarre zu, dass die Bildungsschere auseinandergegangen sei. Man werde sich aber bemühen, dem entgegenzuwirken, und zwar mit Fördermaßnahmen, für die 200 Mio. € zur Verfügung stehen würden, so Taschner.
Eva Maria Holzleitner, Jugendsprecherin der SPÖ, stellte im Zusammenhang mit dem Bildungsbereich fest: "Die Sorgen, Ängste und Nöte von jungen Menschen waren sehr, sehr groß." Dazu sei große Verunsicherung gekommen, so Holzleitner, da vonseiten der Verantwortlichen im Sommer verabsäumt worden sei, Vorbereitungen für das neue Schuljahr zu treffen. Die Informationen seien zu spärlich, zu spät und darüber hinaus viel zu oft nicht in kind- und jugendgerechter Sprache geflossen, obwohl die jungen Menschen im Vordergrund hätten stehen sollen.
Laut Bildungspsychologin Christiane Spiel von der Universität Wien hat das vergangene Jahr bereits vorhandene Defizite im Bildungssystem aufgedeckt, aufgrund ungleicher Ressourcenverteilung seien Kinder zurückgeworfen worden. "Wir haben es sicher nicht geschafft, eine Chancengerechtigkeit herzustellen", und es gebe ohne Zweifel Aufholbedarf, so Spiel. Dafür notwendig ist aus Sicht der Expertin neben der Ausstattung mit technischen Endgeräten auch eine Reihe sozialer Komponenten, die oft nur in der Schule gegeben seien: ein strukturierter Tagesablauf, das Sprechen einer gemeinsamen Sprache, die Unterstützung durch LehrerInnen.
Schule als sozialer Ort#
"Das größte Problem, das sich aufgetan hat, waren die Schulschließungen", zeigte sich FPÖ-Bildungssprecher Hermann Brückl überzeugt. Damit einhergehend gebe es ein Defizit sozialer Kontakte, Bildungs- und Lernrückstände sowie fehlende Motivation, was zu einer "psychischen und sozialen Belastung" der Kinder führe. Daneben gelte es, den gesundheitlichen Aspekt zu beachten: Für viele Kinder und Jugendliche sei die einzige Möglichkeit, sich zu bewegen, die wöchentliche Schulsporteinheit, die es momentan nicht gibt. Die Eltern könnten all das nicht ersetzen und ihren Kindern in dieser Situation nicht helfen, insofern stelle sich die Frage, wie man die Schulen schnellstmöglich wieder täglich für alle öffnen könne, so Brückl.
"Wir haben versucht, die Schulen am Laufen zu halten," so Abgeordneter Taschner (ÖVP). Dass die Schulen nicht offen gehalten werden konnten, sei keiner Willkür des Ministeriums, sondern der Pandemie geschuldet. Im internationalen Vergleich sehe man, dass Österreich wesentliche Schritte gesetzt habe, um die Schulen möglichst lange offen zu halten.: Dazu zählten etwa eine durchdachte Teststrategie, das Tragen von Masken während des Unterrichtes und ein Schichtbetrieb.
"Wir haben in dieser Extremsituation gemerkt, wie unglaublich wichtig die Schule als sozialer Ort ist und wie sehr das fehlt", unterstrich auch die Bildungssprecherin der Grünen Sibylle Hamanndie Bedeutung von Schule abseits der Vermittlung von Lernhinhalten. Wesentliche Dinge könnten durch Technologie nicht ersetzt werden, insofern müssten die Kinder und Jugendlichen sobald als möglich zurück in die Schulen, damit sie "wieder an diesem Beziehungsnetz knüpfen können". Die Schule als sozialer Ort müsse wiederhergestellt werden, "dafür werden wir kämpfen, so stark wir können", so Hamann weiter.
Kein Zurück zur "alten Normalität"#
Abgeordnete Künsberg Sarre forderte, nicht nur das kurzfristige Ziel zu setzen, die von der Corona-Krise verschuldeten Defizite aufzuholen, denn es brauche einen Paradigmenwechsel im Denken. "Wir haben gesehen, wo es hapert", so die Bildungssprecherin der NEOS, jetzt muss gemeinsam etwas gemacht werden. Die Veränderung, die vor der Tür stehe, müsse zugelassen werden.
Bildungspsychologin Spiel betonte, dass es einen viel stärken Fokus auf fachübergreifende Kompetenzen brauche. Die Schülerinnen und Schüler sollen sich zukünftig nicht nur Fachwissen aneignen, sondern auch soziale Fähigkeiten: "Wir wollen junge Menschen haben, die mutig sind, Selbstvertrauen haben, solidarisch sind, die mit Veränderungen umgehen können". Schülerinnen und Schüler müssten Probleme aktiv aufgreifen und mit ihnen umgehen können. "Da ist einiges zu tun", die Schule müsse mit mehr Wissen aus der Gesellschaft angereichert werden, "wir müssen Bildung und Schule als gesellschaftliche Aufgabe sehen", so Spiel.
Positive Aspekte der Krise und neue Perspektiven#
Schülerinnen und Schüler mussten aufgrund von Distance-Learning lernen, ihr Lernen selbst zu organisieren. Es habe sich gezeigt, dass diese Fähigkeiten im Laufe des Jahres zugenommen haben. Waren die Schülerinnen und Schüler im ersten Lockdown noch von der Selbstorganisation überfordert, zählten sie diese Fähigkeit später zu den positiven Aspekten, berichtete Spiel.
Dem stimmte Bundesschulsprecherin Alexandra Bosek zu. "Die Jugendlichen haben viel gelernt", dazu zählten Eigenverantwortung und Selbstorganisation, die jeder Mensch sein ganzes Leben brauchen könne. "Wir haben sehr viel an Reife gewonnen", so Bosek. Sie wies auch auf die Schwierigkeiten hin, die nicht ausgeblendet werden dürften. So habe es kaum Abwechslung gegeben, es sei nicht immer leicht gewesen, sich zu motivieren und den Sinn dahinter zu sehen, auch die mentale Gesundheit vieler Schülerinnen und Schüler habe gelitten, viele seien auf der Strecke geblieben. Dennoch unterstrich Bosek: "Ich weiß, dass wir keine verlorene Generation sind, sondern eine Generation, die es in Zukunft braucht."
In den Schulen und von den Schülerinnen und Schülern in den letzten zwölf Monaten eine Menge neuer Erfahrungen gemacht worden, diese gelte es in die Zeit nach Corona, in die Zukunft mitzunehmen, so Sibylle Hamann (Grüne). Dem stimmte Abgeordnete Künsberg Sarre (NEOS) zu: Schulen sollten autonomer Entscheidungen treffen können, um diese Erfahrungen umsetzen zu können.
Digitalisierung als Schritt in die Zukunft#
"Es ist einiges möglich", so Abgeordneter Taschner im Hinblick auf die Schule der Zukunft. Dabei spiele die Digitalisierung eine wichtige Rolle. Diese sei kein "Zaubermittel", jedoch ein weiteres Hilfsmittel, das hinzukomme und naturgemäß Vor- und Nachteile mit sich bringe. "Digitalisierung bedeutet nicht, jedem Kind einen Computer zu geben", so Abgeordneter Brückl (FPÖ), es brauche auch eine entsprechende Infrastruktur sowie LehrerInnen, die damit umgehen und SchülerInnen, die diese Inhalte aufnehmen können. Was Digitalisierung nicht könne, ist Werteerziehung und die Vermittlung von sozialem Verhalten. "Digitalisierung schafft es nicht, unsere Kinder selbstbewusst und mutig zu machen", so der FPÖ-Bildungssprecher. Sie sei kein allumfassendes Rezept, aber dennoch ein wichtiger Schritt in die Zukunft.
Wenn es in den Schulen Tablets und Laptops gibt, brauche es ganz dringend die Vermittlung von Medienkompetenz, so Abgeordnete Holzleitner (SPÖ). Junge Menschen seien sehr viel im Internet unterwegs, es müsse klar sein, wie man mit Mobbing, Hassnachrichten und Fake News umgeht. "Medienkompetenz ist in der Zukunft unabdingbar wichtig, betonte Holzleitner."
Die Pandemie sollte für Jugendliche nicht zur "Infodemie" werden, Quellen müssten kritisch hinterfragt und mit digitalen Inhalten richtig umgegangen werden können, deshalb müsse Medienkunde ein Bestandteil der Lehrpläne sein, betonte auch Bundesschulsprecherin Bosek, die in ihrem letzten Schuljahr einen Schwerpunkt auf Medienkunde gesetzt hat.