Helga Maria Wolf
Bäume und Bräuche#
Lange Zeit sprach man von "maien", selbst wenn nicht direkt Maibäume gemeint waren. Diese zählen neben Sonnwendbaum, Hüterbaum und Kirtagbaum zu den Festbäumen. Dazu kommen temporäre Zeichen wie der Christbaum oder der Firstbaum bei der Gleichenfeier. Zum Schutz der Wälder waren solche Bräuche im 18. Jahrhundert verboten. Die großen Festbäume sind meist Fichten, deren Äste und Rinde man entfernt. Nur der Wipfel bleibt und wird mit bunten Bändern geziert. Maibäume können mit Reisigkränzen und Ehrentafeln geschmückt sein. Mutige junge Männer erklettern den glatten Stamm, um sich die an den Kränzen aufgehängten Preise zu holen. Im Weinviertel setzten die Burschen vor den Häusern der Honoratioren Ehrenmaibäume. Diese blieben von der ersten bis zur letzten Mainacht stehen, beim Abbauen statteten die Ansehenspersonen ihren Dank in Form von Geld, Zigarren und Wein ab. Aus Ziersdorf ist die Legende überliefert, dass der heilige Philippus (dessen Gedenktag am 1. Mai begangen wurde) verhaftet werden sollte. Um sein Haus zu finden, stellten die Verfolger davor einen Baum auf. Doch als sie kamen, stand wunderbarer Weise vor jedem Haus ein Baum, sodass sie ihr Opfer nicht finden konnten.
Der Hüterbaum im Wiener Vorort Neustift am Walde sieht einem Maibaum zum Verwechseln ähnlich. Nach der Feldmesse, die am Sonntag in einem Heurigengarten stattfindet, schultern mehrere Burschen die geschmückte Fichte und tragen sie zu ihrem Aufstellungsort, um sie mit langen Stangen in einer vorbereiteten Grube zu fixieren. Seit dem Vorjahr zählt der Brauch zum Immateriellen UNESCO-Kulturerbe. Landauf, landab kann man an den Dachstühlen von Neubauten Firstbäume sehen. Sie sind etwas kleiner und signalisieren den Arbeitsabschluss. Auch beim "Christbaum für alle" handelt es sich meist um eine Fichte. Jene vor dem Wiener Rathaus, die rund 40 Meter misst, kommt seit 1959 jedes Jahr aus einem anderen Bundesland.
Buchen, mit 12 Prozent der zweithäufigste Baum in Österreich, fallen bei Bräuchen nicht so auf wie die immergrünen Nadelgehölze. Populäre Meinungen knüpften sich aber auch an sie: "Buchen sollst du suchen", riet man bei Gewittern. Angeblich würden sie seltener vom Blitz getroffen. Wissenschaftlich untersucht, wurde das sowohl bestätigt, als auch dementiert. In Deutschland sagte man den Kindern, dass ihre kleinen Geschwister aus den Buchen geholt würden. Gab es viele Bucheckern, sollte es auch viele Babys geben - oder einen strengen Winter.
Bäume spielen bei Festen eine ebenso wichtige Rolle wie im Alltag. Sie lieferten Holz zum Bauen, Heizen und zur Anfertigung zahlreicher Gegenstände. Früchte konnte man essen oder weiter verarbeiten, Blätter dienten als Streu oder Futter. Die Landgüterverordnung (Capitulare de villis vel curtis imperii) Karls des Großen (747-814) nennt unter den Nutzpflanzen, die in allen kaiserlichen Gütern angepflanzt werden sollten, 16 Obstbäume. Darunter sind bekannte wie Apfel, Nuss oder Kirsche (aber keine Birne) und selten gewordene wie Maulbeere, Quitte oder Edelkastanie. Vergessene Bräuche erinnern an ihre Wertschätzung: Im Bezirk Horn leerte man die Speisenreste am Christtag (25. Dezember) unter die Obstbäume, sprach "Was ich dir gib, das gib mir wieder" und nannte dies "Bamschatzen". Am Matthiastag (24. Februar) schüttelten Bauern ihre Obstbäume, damit diese reiche Frucht tragen. Gutes Gedeihen eines Baumes bedeutete Glück und Vitalität für die Familienmitglieder. Segen bringen und Unheil abwehren sollten die Birkenzweige, mit denen der Prozessionsweg zu Fronleichnam geschmückt war und die Buschen mit den Palmkätzchen. Sie wurden am Palmsonntag geweiht und hauptsächlich aus Weide und Buchsbaum gebunden.
Weiden, in Niederösterreich auch Felbern genannt, sind eine Pflanzengattung mit 450 Arten. Ihre Zweige waren wichtig für die Herstellung von Zäunen und Flechtwänden. Früher wurden die Bäume häufig als Kopfweiden geschnitten, um möglichst viele der jungen, biegsamen Zweige zum Korbflechten und Binden zu erhalten. Die Kopfweiden von Engelsdorf (Eggenburg) im Kulturpark Kamptal zählen zu den größten Beständen Niederösterreichs. Sie bilden ein historisch gewachsenes Landschaftselement und wurden zum Naturdenkmal erklärt. Nach einer Legende rettete eine Hängeweide der heiligen Familie auf der Flucht nach Ägypten das Leben: Maria, Josef und das Jesuskind konnten sich darunter vor den Soldaten des Königs Herodes verstecken. Das Lied vom Buchsbaum und vom Felbinger, das um 1500 in Frankfurt entstand, ist ein Streitgespräch zwischen den Bäumen, welcher der bessere, wertvollere sei, und eine musikalische Gebrauchsanweisung, wozu man Buchsbaum- und Weidenholz verwenden kann: das eine für feines, gedrechseltes Trinkgeschirr und Pfeifen, das andere für Fässer und Reitsättel. Am Ende muss der Buchsbaum der Weide zugestehen: "Das Spiel hast du gewonnen", aber mit dem Nachsatz: "Doch ich bleib grün im Winter und im Sommer."
Beiden Konkurrenten wurden in der populären Medizin Heilkräfte zugeschrieben. 77 Buchsblätter gab man in ein "Fieberpackerl", das der Kranke um den Hals tragen musste. Durch Rückwärtszählen wurden die Blätter weggenommen und vernichtet, in der Hoffnung, dass sich auch die "77 Fieber" auf diese Weise reduzieren. Ebenso galt die Weide als Helferin gegen Fieber. Geweihte Palmkätzchen zu schlucken, sollte gegen Halsschmerzen gut sein. Hingegen kritisierten die Aufklärer, dass einige Leute an dieser Kur erstickt wären. Nicht ganz falsch ist die Vorstellung, Beschwerden mit (am Gründonnerstag geschälter) Weidenrinde zu lindern. 1828 isolierte der deutsche Pharmakologe Johann Andreas Buchner daraus Salicin, das er nach der Weide (Salix) benannte. Es besitzt eine dem Aspirin vergleichbare Wirkung.
Weit verbreitet war der Glaube, wenn man bei der Geburt eines Haustieres einen Weidenbaum setzt und gut pflegt, werde dieses gesund bleiben. Allgemein sind Bäume ein Symbol des Lebens, weshalb man sie anlässlich von Geburten oder Hochzeiten pflanzt. Die Gemeinde Ternitz hat den Brauch 2019 aufgegriffen. Sie schenkt jedem Baby einen Baum, den sie im Stadtgebiet oder im "Storchenwald" pflanzt, einmal im Jahr feiert man ein "Geburtenbäume-Fest". In Ferschnitz gibt es schon seit 30 Jahren "Lebensbäume". Die Eltern von Neugeborenen können sich einen Baum für den eigenen Garten aussuchen. Nicht, wie oft behauptet, von Martin Luther (1483-1546), sondern vermutlich aus dem 18. Jahrhundert oder aus dem 2. Weltkrieg stammt das berühmte Zitat: Wenn ich wüsste, dass morgen der jüngste Tag wäre, würde ich heute noch ein Apfelbäumchen pflanzen.