Ein Hutmacher wie in alten Zeiten#
Shmuel Shapira kam von Jerusalem nach Wien, wo er als einer der Letzten Hüte von Hand fertigt.#
Von der Wiener Zeitung (Donnerstag, 2. Juni 2011) freundlicherweise zur Verfügung gestellt.
Von
Alexia Weiss
Shmuel Shapira arbeitet gerne mit seinen Händen. Als er noch in Jerusalem in einer Jeschiwe den Talmud studierte, fertigte er in seiner Freizeit neue Buchrücken für alte Schriften. Sein erster Beruf war dennoch ein anderer: Er kam nach Wien, um hier als Maschgiach über die Einhaltung der jüdischen Speisegesetze, der Kaschrut, in koscheren Lebensmittelproduktionen zu wachen. Das tat er 13 Jahre lang.
Als sein großer, schwarzer Hut repariert werden musste, lernte er Franz Caletka kennen. Dieser betrieb am Anfang der Mariahilfer Straße, gleich hinter dem heutigen Museumsquartier, eine Hutmacherwerkstatt, gegründet 1858 vom Ungarn Michael Szászy. Shapira hatte seine Bestimmung gefunden. Obwohl bereits mehrfacher Familienvater, absolvierte er eine Lehre, legte die Meisterprüfung ab und übernahm das Geschäft von Caletka, der bereits nach einem Nachfolger gesucht hatte.
Besucht man Shmuel Shapira heute in seiner Werkstatt, scheint die Zeit stehen geblieben zu sein. Vor 100 Jahren oder 150 Jahren dürfte es hier nicht viel anders ausgesehen haben. Beim Eingang steht die Glocke, eine Dampfmaschine. Mit ihr werden die Stumpen, also die Hutrohlinge, nach der Behandlung mit Schellack, einem Naturharz, gedämpft. Daneben reihen sich in alten Regalen Kronen- und Krempenformen aus Holz und Metall. Die meisten von ihnen stammen aus der Gründerzeit der Werkstatt. Mit den neueren ist Shapira wenig zufrieden. "Man merkt den Qualitätsunterschied." Doch er braucht sie, die neuen Formen: So wie die Füße der Menschen länger werden, so werden auch die Köpfe größer. Vor hundert Jahren gingen die Formen bis Kopfumfang 58, heute sei 62 gang und gäbe und er habe auch schon Hüte in Größe 65 gefertigt, erzählt der Hutmacher.
Das Arbeiten mit den Händen sei das eine. Der Umgang mit den Kunden das andere. Das, was ihm wirklich Spaß mache, sei den Kunden zufrieden zu stellen. "Er soll bekommen, was gut ist für ihn, was passt. Am meisten tut mir weh, wenn er meint, ich habe ihn nicht richtig beraten oder zu viel Geld verlangt." Er wolle niemanden ausnützen. Wobei Shapira anmerkt: "Ja, ich verlange sehr viel Geld."
Das hänge vor allem mit den teuren Materialien zusammen. Der Filz für seine Hüte ist aus edlen Tierhaaren gefertigt: vom Biber, Wildhasen, Zobel, Chinchilla. Wobei der Hutmacher betont: Es komme kein Tier zu Schaden. Ähnlich wie beim Schafscheren bleiben die Tiere am Leben. Und auch Panama, das handgeflochtene Stroh, das aus Südamerika importiert wird, hat einen stolzen Preis. "Ich kann mir diese teuren Hüte für mich gar nicht leisten."
Prêt-à-porter und "Bespoken"#
Shapira bietet zwei Varianten an: Die Prêt-à-porter-Hüte sind handgemacht, können vom Kunden aber sofort gekauft werden. Je nach Material kosten diese Modelle zwischen 240 Euro und 3060 Euro, die meisten jedoch unter 1000 Euro. "Bespoken" – das ist die wahre Meisterkunst, die Shapira bietet: Hüte nach Maß. Hier wird mit dem Conformateur, einem ebenfalls altertümlich anmutenden Gerät, die Kopfform ermittelt, damit der Kunde den perfekten Hut erhält.
Dass jemand nämlich kein Hutgesicht habe, das bestreitet Shapira vehement. Jedem passe ein Hut. Es müsse eben nur der richtige sein. Hüte nach Maß kosten in der Szaszi Hutwerkstatt zwischen 840 Euro und 12.600 Euro, das Gros der Anfertigungen bewege sich im Bereich von bis zu 2000 Euro. Die Anfertigung eines Hutes brauche manchmal mehrere Stunden, manchmal eine Woche, an einem habe er auch zwei Monate gearbeitet.
Shapiras Kunden kommen aus dem Ausland und aus Österreich. Manche sind jüdisch, der Großteil aber nicht. Ein prominenter Kunde aus Wien ist die Hofreitschule. Shapira fertigt jede Art von Hut an: Melonen, Zylinder, Trachtenhüte, Feze, Homburgs und natürlich auch jene höheren schwarzen Hüte, die orthodoxe Juden tragen. Für alle gilt: Sie müssen zwei Zentimeter über dem Ohr sitzen.
Moden, Trends, Krisenzeiten: All das zieht an Shapira vorbei. Manchmal hat er viele Kunden, dann schaut wieder tagelang niemand in seiner Werkstatt vorbei. Der Hutmacher ist überzeugt davon, dass er dies ohnehin nicht beeinflussen kann. ER schicke die Kunden zu ihm ins Geschäft – oder eben nicht, sorge aber jedenfalls dafür, dass seine Familie immer das Auslangen finde. Mit ER meint Shapira Gott, doch dieser Begriff wird von orthodoxen Juden nicht ausgesprochen.
Arbeiten an einem Samstag kommt für Shapira nicht in Frage. Ein geschäftliches Angebot, bei dem mit der Hutwerkstatt an die 1000 Mal mehr zu verdienen gewesen wäre, habe er ausgeschlagen, denn dafür hätte auch der Samstag herhalten müssen. "Ich versuche die Gesetze der Thora zu halten. Es ist mir lieber, nichts zu haben und die Thora zu halten."
Die Religion ist auch der Grund, warum Shapira Frauen von Kunden nicht die Hand gibt. Um zu vermeiden, dass dies als Unhöflichkeit empfunden wird, weist er darauf auf seiner Homepage hin. Bis heute unangenehm in Erinnerung hat Shapira eine Begebenheit zu Beginn seiner Tätigkeit als Hutmacher. Eine Dame habe einen Gutschein gekauft, als Geschenk für ihren Mann. Zum Abschied reichte sie ihm die Hand – doch Shapira reichte sie nicht zurück. Das dürfte die Dame erzürnt haben – der Gutschein wurde bis heute nicht eingelöst. "Ich habe das Geld aufgehoben bis heute, zuerst die Schilling, dann habe ich gewechselt in Euro. Sie soll es bitte abholen, das Geld." Den Namen der Frau hat er sich damals nicht notiert. Aber es würde ihn freuen, die Angelegenheit noch ins Reine bringen zu können.