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Friedjung, Heinrich (Essay) #


* 18.1. 1851, Rostschin Rostschin , Mähren (Jetzt: Tschechische Republik)

+ 14.7. 1920, Wien

Von Dr. Karl Anton Glaubauf

Deutschnationaler Wiener Historiker und Publizist ;


Heinrich Friedjung. Foto, um 1910
Heinrich Friedjung
© Bildarchiv der ÖNB, Wien, für AEIOU

Jugend und Ausbildung#

Heinrich Friedjung wurde 1851 als Sohn einer jüdischen Kaufmannsfamilie geboren. Seine Mutter, Katharina Friedjung, dürfte der geistig reichere Teil - so der Historiker Heinrich Srbik - der Eltern gewesen sein. Auf ihr Betreiben erfolgte auch die Übersiedelung nach Wien, um den Kindern eine bessere Ausbildung zu ermöglichen.

Friedjung besuchte bis zur siebenten Klasse das akademische Gymnasium und schloss seine Gymnasialstudien nach einer Auseinandersetung mit seinem Philosophie - Professor am Schottengymnasium ab. Nach der mit Auszeichnung bestandenen Matura inskribierte er an der Universität Prag zunächst das Fach Philosophie, wobei er sich vor allem mit Spinoza, Kant und Fichte beschäftigte.

1872/73 war er Schüler Leopold von Rankes, Theodor Mommsens und Karl Mühlenhoffs in Berlin. Friedjung fiel dabei Leopold von Ranke auf, der ihm eine Stelle als wissenschaftliche Hilfskraft anbot, womit der Einstieg zu einer wissenschaftlichen Karriere gegeben war. Friedjung kehrte jedoch nach Wien zurück, legte die Lehramtsprüfung für Höhere Schulen ab und begann nach Abschluss seines Doktoratsstudiums an der Handelsakademie der Wiener Kaufmannschaft die Fächer Deutsch und Geschichte zu unterrichten. In seiner Freizeit widmete er sich wissenschaftlichen Arbeiten und publizierte 1876 sein Erstlingswerk : " Kaiser Karl IV. und sein Anteil am geistigen Leben seiner Zeit."

Der Ausgleich mit Ungarn #

1876 erschien seine Schrift: "Der Ausgleich mit Ungarn. Politische Studie über das Verhältnis Österreichs zu Ungarn und Deutschland." In dieser vieldiskutierten Massenschrift kritisiert er die Zugeständnisse an Ungarn im sogenannten Ausgleich von 1867 und fordert ein enges Bündnis mit dem Deutschen Reich. Darauf wurde er aus dem Schuldienst entlatsen und versuchte sich als Journalist, indem er 1883 die Deutsche Wochenschrift als Organ aller deutschnational gesinnten Bürger gründete. Gemeinsam mit Georg von Schönerer und den Sozialisten Viktor Adler und Engelbert Pernersdorfer verfasste er auch das deutschnationale Linzer Programm .

Aber auch Kaiser Franz Josef selbst war mit den Bestimmungen des "Ausgleichs" von 1867 unzufrieden. Daher wurde das österreichische Wappen - wie Peter Diem im Austria-Forum in seinem Essay über die Briefmarke betont - erst 1915 durch Franz Josef im Sinne der staatsrechtlichen Bestimmungen von 1867 geändert. Jetzt benötigte der Kaiser nämlich dringend die Ungarn und kam ihnen daher auch formell durch die Neugestaltung des Wappens entgegen. Mit Italien war ein neuer Gegner in den Krieg eingetreten und der ungarische Honved (Landwehr) war nur zur Verteidigung des eigenen Landes verpflichtet, seine Verbände wurden aber an den Fronten benötigt. Es handelt sich hier um ein ganz typisches Beispiel für die auch von Friedjung scharf kritisierte Politik Franz Josefs, der im Gegensatz zu Bismarck meistens nur dann politisch aktiv wurde, wenn ihm außen- oder innenpolitsche Sachzwänge keine andere Wahl ließen.

1886 wechselte Friedjung zur Deutschen Zeitung, wurde dort aber infolge seiner jüdischen Abstammung von antisemitischen Kreisen verdrängt. Er wandte sich nun endgültig der Geschichtschreibung zu, mit der er als erster österreichischer Vertreter der kleindeutschen Schule eines Sybel und Treitschke, die den Führungsanspruch Preußens in Deutschland unterstrich, rasch zum erfolgreichsten österreichischen Historiker seiner Zeit avancierte.

Heinrich Friedjung als Historiker#

1897 erschien sein erstes Hauptwerk " Der Kampf um die Vorherrschaft in Deutschland 1859-1866 ", das zehn Auflagen (!) innerhalb von nur zwanzig Jahren erlebte. Somit war Friedjung, obwohl seine jüdische Abstammung allgemein bekannt war, der meistverkaufte Historiker seiner Zeit und prägte die öffentliche, politische Meinung mit seinen Thesen entscheidend. Der Antisemitismus kann daher um 1900 zumindest in der deutschsprachigen Reichshälfte noch nicht besonders extrem gewesen sein, sonst hätte das Hauptwerk eines Wiener Historikers jüdischer Provenienz nicht zehn Auflagen erreichen können, wodurch er auch als der führende Historiker der Monarchie galt.

Der Erfolg Friedjungs ist auch ein verlässliches Indiz dafür, dass Lueger nicht überwiegend oder sogar ausschliesslich aufgrund seiner antisemitisch akzentuierten Wahlkampfführung gewählt wurde. Es spielten dabei mehrere andere Faktoren, wie etwa die Unzufriedenheit mit der undemokratischen Vorgangsweise des Kaisers, der Wahlergebnisse nicht zur Kenntnis nehmen wollte, eine wesentliche Rolle.

1909 wurde Friedjung sogar durch den Aussenminister Graf Aehrenthal beauftragt, die Position der Donaumonarchie in der sogenannten Annexionskrise journalistisch zu vertreten, wovon noch zu handeln sein wird. Aufgrund einer Intrige sollte nämlich dieser auf den ersten Blick ehrenvolle Auftrag sein internationales Ansehen als Historiker wesentlich schädigen und zum sogenannten "Friedjung - Prozess" führen, bei dem er einem Vergleich zustimmen musste.

Friedjung vertrat in seinem ersten Hauptwerk die Ansicht, dass der Donaumonarchie infolge ihrer Rückständigkeit auf allen Gebieten der Führungsanspruch in Deutschland nicht zustünde und Königgrätz lediglich das militiärische Ergebnis der preußischen Überlegenheit, insbesondere jener Bismarcks, auf allen Gebieten des öffentlichen Lebens darstelle.

Anzustreben sei daher ein noch engeres Bündnis mit dem Deutschen Reich, als es der sogenannte Zweibund von 1879 war. Er forderte den völligen Anschluss der deutschsprachigen Teile der Monarchie, wobei er aber die Ansicht vertrat, dass derzeit die Zeit noch nicht reif sei, weil die Habsburger-Monarchie vor allem auf wirtschaftlichem und politischen Gebiet enormen Nachholbedarf habe. Diese nicht gerade patriotische Übernahme der Denkpositionen der kleindeutschen Historikerschule war damals in der Donaumonarchie völlig neu, stieß aber - wie der enorme Erfolg des Werkes zeigt - auf breite Zustimmung.

Damit hatte sich Friedjung als der führende Historiker der Monarchie etabliert. 1901 gab er dann Benedeks nachgelassene Papiere heraus,die einen tiefen Einblick in die Persönlichkeit dieses tragischen Feldherrn geben.

Schon 1902 folgte sein nächstes größeres Hauptwerk in zwei Bänden : "Österreich von 1848 -1860", das aber unvollendet blieb. Darin versucht er vor allem nachzuweisen, dass Österreich im Gegensatz zu Preußen mit der Revolution von 1848 infolge des Bachschen Neoabsolutismus nicht richtig umgegangen und deshalb im Kampf um die Vorherrschaft in Deutschland unterlegen sei. Auch dieses Werk wurde ein großer Erfolg, sodass davon auszugehen ist, dass viele damals so dachten wie Friedjung.

1911 erschien sein Werk "Der Krimkrieg und die österreichische Politik." Darin kritisiert er, dass Österreich sich im Krimkrieg neutral verhalten habe und damit keine der Kriegsparteien als Verbündeten gewinnen konnte. Vielmehr habe es sich durch seine abwartende Haltung sowohl das Zarenreich wie auch England zum Feind gemacht, da jederzeit mit einem Eingreifen Österreichs, auf welcher Seite auch immer, gerechnet werden musste.

Durch den Friedjung-Prozess von 1909, - von dem noch zu handeln sein wird - war die Reputation des Historikers jedoch weitgehend zerstört, sodass das die Aufnahme des Werkes durch das Publikum eher zurückhaltend war.

1915 kehrte er kurz in die politische Publizistik zurück und verfasste gemeinsam mit anderen österreichischen und deutschen Historikern die "Denkschrift aus "Deutsch-Österreich". Da dieses politische "Mitteleuropa"- Konzept jedoch von einem Sieg der Mittelmächte ausging, erlangte es keinerlei Bedeutung.

Bei seinem letzten Werk über "Das Zeitalter des Imperialismus", das sein Freund Alfred Pribram für ihn vollendete, zog sich dann auch die Fachwelt von ihm zurück. Zu scharf und zu aggressiv formulierte er darin seine Gegnerschaft zu England, das er fast durchgehend als das " seebeherrschende Albion " bezeichnete, dem durch den Bau einer deutschen Hochseeflotte und dem Erwerb von Kolonien entgegen zu treten sei.

Friedjung zog daraus die Konsequenzen und veröffentlichte als letztes Hauptwerk "Historische Aufsätze", in denen er sich vorwiegend mit militärischen Persönlichkeiten der Donaumonarchie beschäftigte. Die beiden Bände stießen wieder auf größeres Interesse und erreichten immerhin zwei Auflagen.

Annexionskrise 1909 und "Friedjung-Prozess" #

1908 hatte Österreich-Ungarn die bisher im Auftrag des Berliner Kongresses von 1878 okkupierten Provinzen Bosnien- Herzegowina annektiert, also definitiv in Besitz genommen. Grundlage dafür war lediglich ein " Kaiserlicher Entschluss " Franz Josephs, aber keine internationalen Rechtstitel wie seinerzeit beim Berliner Kongress.

In der darauf folgenden Annexionskrise vom Frühjahr 1909 versuchte die Donaumonarchie mehrfach, diesen eher ungewöhnlichen Schritt durch Presseartikel als von Serbien verursacht darzustellen, was aber gründlichst misslang und äußerst blamabel endete.

Der Skandal

" Die Verschwörung gegen uns begann mit dem 11. Juni 1903, mit der Stunde, in der Alexander Obrenovic und sein unseliges Weib unter den Mörderhänden der mit Peter Karadjordjevic verbündeten Offiziere fiel. " Seither sei permanent der Versuch unternommen worden, "das Werk des Berliner Kongresses zu zerstören, um auf den Trümmern der österreichischen und türkischen Herrschaft ein großserbisches Reich zu errichten." [1]

So leitete Friedjung am 25. März 1909 in der Neuen Freien Presse seinen Leitartikel ein, der begründen sollte, weshalb Österreich-Ungarn mit seinen Streitkräften in Belgrad einmarschiert sei, was aber "hochnotpeinlicherweise" für die "Presse" und für Friedjung, aber auch für den Minister des Äußeren und des Kaiserlichen Hauses, Graf Ährenthal, der den Leitartikel initiiert hatte, keineswegs der Fall war.

Friedjung beschuldigte in diesem Artikel auch den Serbischen Sektionschef Spalajkovicz und mehrere serbische Abgeordnete unter anderem, "die Seele der zum Krieg drängenden und alle Kräfte der Über- und Unterwelt aufbietenden Politik gegen Österreich-Ungarn zu sein"[2] und betonte, dass er Beweise für Agitationsfahrten der Beschuldigten nach Ungarn habe, wo diese beträchliche Summen für die selbständige Serbenpartei im ungarischen Reichsrat zu Verfügung gestellt hätten. Dabei ließ er sich auch zu folgender Formulierung hinreißen:

" Sollte Spalajkovicz oder die serbische Regierung irgendeine dieser Angaben bestreiten, so werde Ihnen mit näheren Einzelheiten gedient und die Namen bestochener Abgeordneter, wie die Summen genannt werden können, mit denen sie aus Geldern des serbischen Staates beteiligt wurden." [3]

Die Folgen

Friedjung wurde -wie nicht anders zu erwarten- von den Beschuldigten geklagt und konnte nur mit Hilfe des ausgezeichneten Wiener Rechtsanwaltes Dr. Harpner einen allerdings für ihn sehr ungünstigen Vergleich erzielen, bei dem er einräumen musste, dass ein Großteil seiner Quellen gefälscht war, und er keine Zeit gehabt habe, deren Echtheit zu prüfen.

Friedjung war nämlich in der Nacht zum 25. März 1909 in das Außenministerium zitiert und durch den Außenminister Graf Aehrenthal beauftragt worden, den Leitartikel für die Morgenausgabe der "Neuen Freien Presse" zu schreiben. Darin sollte begründet werden, weshalb Österreich-Ungarn mit seinen Streitkräften in Serbien einmarschiert war. Da dies aber nicht der Fall war, kam es zu einer schweren diplomatischen Krise, als deren Hauptschuldiger schließlich Friedjung hingestellt wurde.

Damit war seine wissenschaftliche Existenz vernichtet, da sich nun auch die Fachleute von ihm abwandten. Schließlich wollte man ja Aehrenthal nicht als den wahren Schuldigen bezeichnen, da dies zum Rücktritt des Ministers hätte führen können. Auf der Suche nach einem Hauptverursacher blieb daher nur Friedjung über.

Tief enttäuscht und lebenslang verbittert über Aehrenthals Vorgangsweise starb Heinrich Friedjung 1920 in Wien. Zu einer Rehabilitierung Friedjungs konnte man sich auch später nie entschließen. Er gehört aber zweifellos zu den größten Historikern der Habsburger-Monarchie, deren Interessen er in allen seinen erfolgreichen Werken engagiert vertrat. Dessen ungeachtet wurde er aber bezeichnenderweise gerade als jüdischer Wissenschaftler selbst Opfer jener deutschnationalen Politik, die er jahrzehntelang propagiert hatte.....

Anmerkungen:

[1] Neue Freie Presse, 25. 3. 1909, Morgenausgabe, Leitartikel von Heinrich Friedjung: Österreich-Ungarn und Serbien. S. 1

[2] Ebda.

[3] Ebda.

Literatur#

  • Friedjung,Heinrich
  • Eder, Richard: Heinrich Friedjung, Diplomarbeit, Wien 1991.
  • Glaubauf, Karl: Bismarck und der Aufstieg des Deutschen Reiches in der Darstellung Heinrich Friedjungs, Eduard von Wertheimers und Ottokar Lorenz. Historiographische Fallstudien, Phil. Diss., Wien 1977.


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