Stürmen unter dem Hakenkreuz#
Liga-Fußball#
Von der Wiener Zeitung (Sa./So., 19./20. Oktober 2013) freundlicherweise zur Verfügung gestellt
Von
Christoph Rella
Wiener Fußballklubs machten sich nach dem Anschluss im Reich einen Namen, aber auch so mancher Spieler.#
Wien. Für die traditionellen Wiener Fußballklubs wie Rapid, Vienna, Sportklub oder Admira war es ein denkwürdiger, aber auch sehr willkommener Beschluss, den da der reichsdeutsche Fachverband Fußball - oder was damals davon noch übrig war - im Frühsommer 1938 gefasst hat. Denn obwohl die österreichische Fußballlandschaft bereits kurz nach dem sogenannten Anschluss im März des Jahres politisch wie ideologisch gleichgeschaltet sowie als eigene Gauliga (Ostmark) mit der Ordnungsziffer 17 in den gesamtdeutschen Liga-Fußball eingegliedert worden war, blieb immer noch ein Problem zu lösen: Wie könnte man die zuletzt beim Turn- und Sportfest in Breslau erfolgreichen österreichischen Kicker und deren Klubs möglichst rasch und propagandatauglich auf Reichsebene integrieren?
Es ist denkbar, dass es Reichssportführer Hans von Tschammer und Osten war, der persönlich die Verfügung traf, acht österreichischen Mannschaften die Teilnahme an dem eigentlich bereits seit Jänner laufenden innerdeutschen Pokalbewerb (auch Tschammer-Pokal genannt) zu gestatten. Für die Wiener Klubs brachte die Entscheidung vor allem einen großen Vorteil: Sie durften nach Absolvierung einer ersten Ausscheidungsrunde direkt ins Viertelfinale einsteigen und sich mit den großen deutschen Mannschaften messen. Diese besondere Behandlung hatte einen Grund. Tschammer wollte, wie er bereits im April öffentlich erklärt hatte, ein "Volk in Leibesübungen" erschaffen - und dazu zählten nun auch "die österreichischen Turner und Sportler als Mitglieder des Gaues XVII". Darauf, dass der Tschammer-Pokal - die ersten Begegnungen österreichischer und deutscher Klubs fanden am 27. November 1938, also vor rund 75 Jahren, statt - zuletzt an Rapid Wien, das sich im Finale mit 3:1 gegen den FSV Frankfurt durchsetzen sollte, gehen würde, hatte kaum jemand gewettet.
Mythos des Meister-Duells Rapid-Schalke lebt weiter#
Tatsächlich aber sollten ab da die Wiener Klubs sowohl in der Großdeutschen (Kriegs-)Meisterschaft als auch im Pokalbewerb zu den geheimen Favoriten zählen. Kaum ein halbes Jahr nach dem Sieg der Grün-Weißen gegen Frankfurt zog etwa die Admira nach einer aufsehenerregenden Qualifikation ins Meisterschaftsfinale ein, unterlag aber am 22. Juni 1939 im Berliner Olympiastadion dem FC Schalke 04 mit 0:9. Kein Glück mit Schalke hatte auch die Vienna, die wiederum das Endspiel 1941/42 mit 0:2 verloren geben musste.
Großen Eindruck bei der Presse hinterlassen ("Rapidgeist schuf ein Fußballwunder"), aber genauso auch reichlich Anlass für Verschwörungstheorien gegeben hat hingegen das Duell Rapid-Schalke am 22. Juni 1941, das die Wiener nach 0:3-Rückstand noch mit 4:3 gewinnen konnten. Bis heute ranken sich um das Spiel zahlreiche Mythen. So wurde etwa auf Schalker Seite kolportiert, das Rapid das Match gewinnen sollte, um die Bevölkerung in der "Ostmark" nach dem Angriff auf die Sowjetunion, der parallel mit dem Anpfiff in Berlin erfolgt war, ruhig zu halten. In Wien wurde wiederum behauptet, die österreichische Mannschaft sei zur Strafe an die Front versetzt worden. Allein, belegen lassen sich diese Erzählungen nicht. Glaubt man dem früheren Rapidspieler und mittlerweile verstorbenen Zeitzeugen Leopold Gernhardt, dürfte es mit dem Mythos nicht weit her sein. Er hatte erst 2011 die Schiebungsgerüchte erneut als "Unfug" bezeichnet.
Rapid wird "judenfrei", Karriere in Deutschland#
Tatsächlich war Rapid den meisten Deutschen bereits vor dessen aufsehenerregenden Auftritten in der Meisterschaft und im Pokalbewerb ein Begriff. So waren etwa die Grün-Weißen schon im April 1938 durch Deutschlands Städte getourt, um dort die erfolgreiche Wiener Fußballschule in Freundschaftsspielen zu repräsentieren. Die von den neuen nationalsozialistischen Machthabern auferlegte Hausaufgabe, aus dem Klub einen "bodenständigen", nach dem Führerprinzip geordneten Betrieb ohne Juden zu formen, hatte man - wie übrigens auch in den übrigen Vereinen - zu diesem Zeitpunkt bereits erledigt. Genauso war seit jenen Märztagen auch in den einzelnen österreichischen Fußballverbänden kein Stein auf dem anderen geblieben. Funktionäre, darunter der Präsident des Wiener Fußballverbands, Josef Gerö, wurden ausgewechselt und durch Gefolgsmänner ersetzt. Die Entscheidungsgewalt in der neu geschaffenen Gauliga 17, die am 11. September 1938 mit zehn Vereinen, davon acht aus Wien, in die neue Saison gestartet war, lag von da an in den Händen von Gausportführer Friedrich Rainer und Fachamtsleiter Hanns Janesch.
Für die Spieler selbst zeitigten die politischen Umwälzungen, sofern sie nicht jüdischer Herkunft waren und sich sonst unpolitisch gaben, keine Konsequenzen. Nun spielten die österreichischen Fußballer während der Zeit des Deutschen Reiches nicht nur im Pokalbewerb und in der Meisterschaft, sondern auch im Nationalteam sowie bei anderen deutschen Klubs eine tragende Rolle. So wurden in der Zeit von 1938 bis 1942 nicht weniger als 28 Spieler in die deutsche Nationalmannschaft berufen, darunter Hans Pesser und Franz Binder (Rapid), Willy Hahnemann und Willibald Schmaus (Admira) sowie Karl Decker (Vienna), Pepi Stroh (Austria) und Ludwig Durek (FC Wien). Allein, sehr erfolgreich war man mit dem Nationalteam nicht, die Fußball-WM im Juni 1938 in Frankreich geriet nach dem Ausscheiden im ersten Spiel gegen die Schweiz für das deutsche "gemischte" Team zum Fiasko. Adolf Hitler hat die Niederlage als Augenzeuge nicht mitverfolgt. Seitdem die deutsche Mannschaft vor seinen Augen bei den Olympischen Spielen 1936 gegen Norwegen mit 0:2 verloren hatte, zog er es vor, sich nicht mehr in Fußballstadien blicken zu lassen.
Dafür war die Dichte an österreichischen Profi- und Amateurkickern in den Klubs anderer Gauligen relativ hoch. Zu den wenigen Geschichtswissenschaftern, die sich bisher mit dem Leben der österreichischen Legionäre im Dritten Reich beschäftigt haben, zählt der Heidelberger Sporthistoriker Andreas Ebner. Er erklärt sich die Zunahme so: "Nachdem der Zweite Weltkrieg begonnen hatte, kamen in der Folgezeit viele Fußballer als Soldaten nach Deutschland und schlossen sich hier an ihrem Standort den jeweiligen Vereinen als Gastspieler an und durften so lange bei den Gastvereinen mitkicken, wie sie sich am jeweiligen Standort aufhielten."
Konkrete Namen von Österreichern, die damals als Gastspieler im Einsatz waren, konnte der Historiker bisher nur für die Gauliga 14 (Baden) ermitteln. So war der spätere belgische Nationaltrainer Viktor Havlicek bis 1941 beim FC Phönix Karlsruhe als Spieler und Coach beschäftigt, genauso die Kicker Domanic (Rapid), Schöberl (Sportklub) und Schmitt (Vienna). Eine bekannte Größe war seinerzeit auch der Torjäger Michalek, der von den Fans des VfR Mannheim gar als "Hoffnung aus Wien" verehrt wurde, sowie Walter Puhane, der für den VfB Mühlburg kickte. Sein Kollege Herbert Jene beschrieb den Wiener einmal als "umgänglichen und mannschaftsdienstlichen Spieler, der gut zur Mannschaft gepasst" habe und lediglich "durch seinen Wiener Dialekt" aufgefallen sei.
Leicht hatten es die österreichischen Legionäre in Deutschland nicht. So war an einen regelmäßigen Betrieb - trainiert wurde an zwei Abenden in der Woche - mit zunehmender Dauer des Krieges nicht mehr zu denken. Laut Ebner wurden die Mannschaften später mit "Urlaubern, Jugendlichen und Kriegsversehrten aufgefüllt", um den Spielbetrieb aufrechtzuerhalten. Selbst im Untergang sollte der Fußballsport im Nazi-Regime so noch den Anschein von Normalität erwecken. In der Gauliga 17 wurde die Spielzeit 1944 nach der Hinrunde vorzeitig beendet. Die Großdeutsche Meisterschaft wurde nicht mehr ausgespielt.