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DIE FRAU IM PARLAMENT#

Wien
Parlament, alte Ansichtskarte

Auszug und Vortrag der Nationalrätin Dr. Marie Schneider:

1931: Seiner überparteilichen Einstellung entsprechend, ist der Bund österreichischer Frauenvereine stets bestrebt, die engere Fühlung mit allen politischen Gruppen zu wahren und insbesondere einen Kontakt zwischen den weiblichen Abgeordneten aller Richtungen und den Mitgliedern des Bundes herzustellen. In diesem Sinne erging daher an die beiden neuen Wiener Mandatsträgerinnen Direktor Emma Kapral und Dr. Marie Schneider, die Bitte, im Rahmen unserer Organisation über ihre parlamentarischen Arbeitspläne zu berichten. Die Vorsitzende, Hofrat Herta Sprung, musste aber mit lebhaften Bedauern in der am 13. Jänner abgehaltenen Versammlung mitteilen, dass Direktor Kapral unserer Einladung vorläufig nicht nachkommen kann; hingegen konnte sie mit aufrichtiger Herzlichkeit das jüngste Mitglied des Nationalrates, Dr. Marie Schneider, als Vortragende begrüßen. Aus den gehaltvollen, verantwortungsbewussten Ausführungen der Rednerin können wir leider nur in Kürze das Wesentlichste hervorheben.

„Als Frau Hofrat Hertha Sprung anlässlich eines Festabends des Reichsverbandes deutscher Frauenvereine die Einladung an mich richtete, im B.Ö,F.V. zu sprechen, habe ich gerne meine Zusage gegeben, da ich in dieser Einladung einen jener feinen inoffiziellen Verbindungsfäden sah, die zwischen Frauenvereine verschiedener Einstellung, aber bewusster Einordnung in die Frauenbewegung bestehen und bestehen sollen. Es sind nicht nur praktische Fragen, die die Frauen zu einem gewissen Einvernehmen führen, sondern auch trotz der Verschiedenheit der Weltanschauungen, gewisse Gemeinsamkeiten der Weltbetrachtung vom weiblichen Standpunkt aus. Dabei kann man es dahingestellt sein lassen, ob diese Gemeinsamkeiten aus den natürlichen Anlagen oder aus der derzeitigen historischen und psychologisch höchst umstrittenen Lage des weiblichen Geschlechtes abzuleiten sind. Wenn ich heute über die Aufgaben der Frauen im Parlament spreche, so liegt es mir fern, die Frau etwa als eine natürliche Einheit dem Mann gegenüber zu stellen und Stoff für jene höchst umstrittene Frage von der weiblichen Eigenart zu liefern. Nicht um die Aufgaben eines unbewiesenen Einheitstypus oder Idealtypus Frau handelt es sich, sondern um Stellung und Aufgaben der Frau, die durch ganz bestimmte innere und äußere Verhältnisse der heutigen Zeit erzwungen werden. Mit wenigen Ausnahmen sind die männlichen Kollegen im stillen der Meinung, dass keine sachliche Notwendigkeit für die Mitarbeit der Frauen im Parlament besteht, sondern bloß eine organisatorische und agitatorische, also ein Parteiinteresse. Von dieser Anerkennung einer gewissen organisatorischen und dekorativen Wirkung möchte ich sagen, gilt es Schritt für Schritt sich weitere persönliche Anerkennung zu erobern. Zweierlei Erwartungen werden durchschnittlich dem Wirken einer Frau entgegengebracht, dass nämlich der Einfluss der Frau vermittelnd und verfeinernd wirke und dass sich die Frau freiwillig auf gewisse Gebiete beschränke, namentlich kultureller und sozialer Natur. Was die erste Erwartung betrifft, so kann man sich von einer Stärkung des Fraueneinflusses gewiss eine „Milderung der Sitten“ und eine stärkere Ausschaltug von augenblicklich nicht wichtigen Gegensätzen erwarten, die praktische Leistungen beschleunigen. Was die zweite Erwartung anbelangt, so ist sie, so wenig sie grundsätzlich anerkannt werden kann, doch taktisch beachtenswert. Grundsätzlich kann die Frau natürlich nicht anerkennen, dass ihr das Interesse und Verständnis für irgendein Gebiet des öffentlichen Lebens überhaupt abgesprochen werde. Es wäre aber unklug, Positionen, die verhältnismäßig leichter zu nehmen sind, gering zu schätzen und in solche vorzustoßen, wo der Erfolg vorläufig wegen größeren Widerstandes fraglich wäre. Es gilt erst den Frauen im öffentlichen Leben überhaupt irgendwo sicher befestigte Standorte zu schaffen, und diese Festungen müssen der allgemeinen Einstellung zufolge auf kulturellem, sozialem und wirtschaftlichem Gebiet liegen. Ich glaube auch wirklich, dass hier eine besondere Aufgabe für die Frauen liegt. Nicht deshalb, weil die Frau hier anders veranlagt ist als der Mann, sondern weil der homo politikus masculinus tatsächlich bei aller Spannweite des Begriffes eine engere Auslese vorstellt, für die Kultur- und Sozialfragen meistens nicht im Vordergrund stehen. Ich gehöre nicht zu den, ich möchte sagen hemmungslos sozial Eingestellten, die glauben, dass man Staat und Wirtschaft völlig für soziale Einrichtungen auspumpen darf. Auch halte ich den Schutz der Gesunden und Starken für noch wichtiger als den der Schwachen oder anders gesagt, Vorbeugungsmaßnahmen für das Entscheidende, ein Gesichtspunkt, der bei uns fast nie berücksichtigt wird. Wie könnte man sonst verstehen, dass ein so eminent vorbeugendes Gesetz wie das Jugendwohlfahrtsgesetz nicht zur Erledigung kommen kann. Andere Beispiele dieser Einstellung: Die Arbeitslosenfürsorge in ihrer vielfach angreifbaren Form wird mit aller Gewalt verteidigt, während für die Reform des veralteten Armengesetzes nichts geschieht. Oder, man lässt es zu, dass die günstigen Auswirkungen des Kleinrentnergesetzes durch übertriebenen Bürokratismus völlig untergraben werden usw. - besondere Aufgaben sehe ich für die Frau auch auf dem Gebiet des Natur- und Kunstschutzes. Es ist heute aus psychologischen Gründen leider fast ausgeschlossen, dass wirklich schaffende Menschen unter die Politiker geraten. Dem Schaffenden am nächsten aber kommt nach dem Zeugnis vieler Kenner und Künstler die nachfühlende Frau.

Die Stellung der Frau wird aber nicht nur abhängig sein von der Art, wie sie sich innerhalb des Parlamentes selbst darstellt, sondern auch welchen Eindruck sie auf die außerhalb stehende Bevölkerung und vor allem auf die Frauenkreise selbst macht. Diese stehen in so verschiedenen, sich oft direkt widersprechenden Erwartungen der weiblichen parlamentarischen Tätigkeit gegenüber, dass gewisse Enttäuschungen unvermeidlich sein müssen. Auch die Wünsche, die allen die Frauenbewegung bejahenden Frauen gemeinsam sind, stehen heute zwei fast unüberwindlichen Hindernissen gegenüber. Die wirtschaftlichen Forderungen stoßen selbst in sonst einsichtigen Kreisen auf glatte Ablehnung oder verborgenen Widerstand. Die ideellen Wünsche, wie etwa eine Reform des Eherechtes, finden in aktiven politischen Kreisen nirgend eine Bereitschaft sich mit solchen Fragen prinzipieller Natur auseinanderzusetzen. Die Lage der Frauenbewegung in Mitteleuropa ist derzeit durchaus defensiv. Vielleicht war seit der Gründung der Frauenbewegung noch niemals die reine Brotfrage so bestimmend wie heute. Wir sehen die Warnungszeichen: Abbaugefahr, die Stimmung gegen die berufstätige verheiratete Frau, Zölibatsforderungen, Ledigensteuer, die Zurückdrängung der politisch tätigen Frau in allen Ländern. Wichtiger noch die Gleichgültigkeit der weiblichen Jugend, die Errungenschaften als gesichert ansieht, die es noch lange nicht sind, oder überhaupt leichten Herzens auf sie verzichten würde. Dies hängt aber mit einer Frage zusammen, die meiner Ansicht nach entscheidend sein wird für die Frauenbewegung überhaupt. Wir stehen nach meiner festen Überzeugung am Ausgang eines individualistischen Zeitalters. Solche Zeitalter wechseln in der Geschichte mit anderen ab, in denen die Gemeinschaft im Vordergrund steht. Es ist nun nicht zu bestreiten, dass die Frauenbewegung einem typisch individualistischen Zeitalter angehört. Sie steht nun bei einer neuen geistigen Haltung, bei dem Kommen eines neuen Zeitalters in Gefahr, verworfen und, wie es in kleinerem Maßstab schon dagewesen ist, auch tatsächlich vollkommen zurück geworfen zu werden. Zwei Mittel scheinen mir dagegen möglich: Die geistige Begründung der Frauenbewegung von einer neuen gemeinschaftsbetonten Seite her, für die Ansätze vorhanden sind. Und ferner die bewusste Förderung der Frauenmitarbeit an allen jenen Strömungen, die dem Geist der kommenden Zeit verwandt sind. Wenn ich mit einem praktischen Beispiel dienen soll, so scheint mir hierher zu gehören, dass die Frauen mit größter Aufmerksamkeit die Entwicklung des ständischen Gedankens zu verfolgen haben, der vorläufig noch viel an Klarheit zu wünschen übrig lässt, aber zweifellos zu den Saatkörnern der Zukunft gehört. Vielleicht wird die Berücksichtigung der Frauenwünsche einmal davon abhängen, wie viel sie in ihren eigenen Organisationen an brauchbaren Grundlagen für eine ständische Durchgliederung geschaffen haben. - Mir erscheint auch die Frau in der Politik nur dann ernst zu nehmen, wenn sie den großen Fragen offen in die Augen schaut. Wir Frauen sind bereit, Verantwortung auf uns zu nehmen; wir wünschen nicht die Zahl der Eintags-, Lokal- und Geschäftspolitiker zu vermehren. Mehr als ihnen bedeutet uns der Begriff Volk, Gemeinschaft, Zukunft. Und für die Arbeit, für Volk und Zukunft, als auch für die Arbeit der weiblichen Abgeordneten gilt in der heutigen drangvollen schwankenden Übergangszeit nur ein Satz: Bereit sein ist alles!

QUELLE: Die Österreicherin, 1931 Nr. 2, Österreichische Nationalbibliothek, ANNO

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