HAUSZEICHEN#
1947: Im alten Wien gab es weder amtliche Straßenbezeichnungen noch Hausnummern. Jede Zeitperiode beeinflusste die Gestaltung des Stadtbildes und findet auch in der architektonischen und künstlerischen Ausgestaltung der Häuser ihren Niederschlag. Es sind Werke der Volkskunst, des Schöngeistigen, patriotischen Empfinden, auch das Religiöse spielt dabei eine Rolle, Zeitereignisse wurden ebenfalls zum Ausdruck gebracht. Viele Berufe waren Namensgeber. Der Fleischmarkt, wo die Metzger arbeiteten, die Tuchlauben wo der Tuchmarkt abgewickelt wurde, der Bauernmarkt, auf dem die Landbevölkerung ihre Waren feilbot, der Fischmarkt, die Bognergasse, Naglergasse, Goldschmiedgasse, Weißgerber Lände – all diese Bezeichnungen haben sich bis auf den heutigen Tag erhalten und sind zu amtlichen Straßenbenennungen geworden, obwohl sie längst ihre ursprüngliche Bedeutung verloren.
Kehren wir wieder zum alten Wien zurück. Wie war es damals möglich, in den engen und winkeligen Gassen eine bestimmte Person zu finden? Das war trotz den fehlenden Hausnummern nicht schwer, wenn der Suchende den Namen des Hauses wusste, in dem der Betreffende wohnte. Jedes Haus hatte einen eigenen Namen, und da das Wiener Stadtgebiet damals nur die Größe der heutigen Inneren Stadt innerhalb der Ringstraße hatte, wussten die Bürger, wo sich jedes einzelne Haus befand.
Da gab es das Haus „Zur grünen Linde“, zur „Schwarzen Kugel“, zum „Güldenen Taler“ zur „Holden Eintracht“, zum „Kuckuck“, da gab es den „Schottenhof“, den „Heiligenkreutzerhof“, den „Weißen Schwan“, die „Gluckhenne“ und die „Dreieinigkeit“.
Gerade Wien weist einen Reichtum derartigen Hausschmucks auf. Man erinnere sich nur an dem alt berühmten „Stock im Eisen“, eines der ältesten und sonderbarsten Hauszeichen. Gleichzeitig sieht man Hauszeichen religiösen Inhaltes die, in zum Teil ganz prächtigen, sich der Formenfülle des Barocks und der Stuckornamente bedienten.
Die Hausbewohner legten Wert darauf, die Namen ihrer Häuser durch besonders schöne Aushängeschilder und in die Hauswand eingebaute Skulpturen darzustellen, und das Wiener Kunstschmiede- und Steinmetzhandwerk hat seine Blüte nicht zuletzt dieser Gepflogenheit zu verdanken. Neben vielem Kitsch und bombastischen Unzulänglichkeiten gab es Hauszeichen, die reinstes Kunsthandwerk und formvollendete Schmiedearbeit waren.
Am häufigsten sind Hauszeichen religiösen Inhalts, die die fromme Gesinnung der Bürger widerspiegeln, und ihre Wohnstätten unter dem Schutz eines Heiligen stellen, dem das Haus gewidmet wird. Oft sind die Besitzer in betender Stellung dargestellt, so wie auf dem gotischen Relief des Klein Mariazeller Hofes in der Annagasse. Ein Hauszeichen in der Hofgasse weist das Auge Gottes auf, das als Symbol der Allmacht und Dreieinigkeit in einem von Strahlen umgebenen Dreieck dargestellt wird. In der Wiedner Hauptstraße ist wiederum der hl. Laurenzius zu finden.
Nur wenige wissen, dass ein Teil des fünften Wiener Gemeindebezirks einst noch „Laurenzergrund“ hieß. Der heutige Marschallplatz kannte man einst als Rosenkranzplatz und die Schwertgasse ist nach dem Schwerterhaus benannt, auf dem die sieben Schmerzen Mariens durch sieben Schwertern auf einem Wappen oberhalb des Tores versinnbildlicht wurden. Ein Portal in der Bräunerstraße ziert das Standbild des heiligen Florian, der als römischer Legionär den Märtyrertod erlitten in der katholischen Welt jedoch als Feuerpatron verehrt wird.
Leider sind nicht alle hier erwähnten Hauszeichen noch vorhanden, denn so manches Haus wurde demoliert und somit ging auch das Wahrzeichen zugrunde, aber auch die Witterung trug dazu bei, dass sich so manche Skulptur in nichts auflöste. Ein derartiges Beispiel ist im siebenten Bezirk wahrzunehmen. Ein Bild der heiligen Elisabeth Landgräfin von Thüringen, als Beschützerin der Armen und Kranken. Simmering erhielt seinen Namen nach dem Gasthaus „Zu den sieben Ringen“ indem die Donauschiffer oft Einkehr hielten.
Ein Andenken an schwere Kriegszeiten ist der „Heidenschuss“ Ecke Freyung und Strauchgasse. Die Figur eines Janitschars mit geschwungenem Krummsäbel auf einem Fundament aus Granit erinnert an die erste Belagerung Wiens durch die Türken unter ihrem Herrscher Soliman im Jahr 1529, bei welcher an dieser Stelle Dutzende türkischer Kanonenkugeln einschlugen.
Viele Hauszeichen entstanden durch geschichtliche Begebenheiten und Ereignissen, aus denen im Laufe der Zeit vom Volksmund Sagen gebildet wurden, von denen sich manche bis heute erhalten haben. Es ist nur natürlich, dass sich alle Gestaltungs- und Kunstformen dieses dankbaren Vorwurfes bemächtigten, dass also Gotik, Barock und Rokoko damit ihren Niederschlag fanden.
Eine der bekanntesten Sagen ist die vom Basiliskenhaus in der Schönlaterngasse, benannt nach der schönen Laterne. Im Brunnen des Basiliskenhauses soll sich in alten Zeiten ein Untier, ein „Basilisk“, befunden haben, der mit seinem giftigen Atem die Gegend in Angst und Schrecken versetzte und Pestilenz verbreitet haben soll. Ein junger Bäckergeselle unternahm der Sage das Wagnis, sich, bewaffnet mit einem gewöhnlichen Spiegel, in den Brunnen hinunterzulassen. Er hielt diesen Spiegel dem Untier vor, und dieses entsetzte sich durch seinen eigenen Anblick dermaßen, dass es explodierte und verendete. Der Bäckergeselle lag noch Monate lang Krank darnieder und durfte nach seiner Genesung zur Belohnung die reiche Bäckermeisterin heiraten.
Friedlicheren Zwecken dienten die ausgesteckten Buschen und Laternen der Gastwirte und Weinschenken. Bei diesem Geschäftszweig haben sich die Hauszeichen beinahe unverändert erhalten, und noch immer sind die wenigen übrig gebliebenen Kunstschmieden damit Kranzeln, Buschen und Laternen in Handschmiedearbeit herzustellen. Sie halten sich dabei an Jahrhunderte alte Vorlagen, und man kann kaum unterscheiden, ob ein solches Hauszeichen vor vielen Jahrzehnten entstanden ist oder erst vor wenigen Monaten die Werkstätte verlassen hat.
Zu Beginn des 19. Jahrhunderts, als den gemalten Ladenschildern und Hauszeichen eine ständig wachsende Bedeutung zukam, scheuten sich auch anerkannte und berühmte Künstler nicht, ihre Kunst diesem Gebiet zu leihen. Wenn auch viele dieser örtlichen Sehenswürdigkeiten den Museen überantwortet, nur eines Daffingers, Waldmüllers oder Gauermanns zu gedenken.
Allmählich schwand das Interesse für den Hausschmuck, die immer seltener wurden.
Emmerich Siegris, Architekt und Sekretär des Bundesdenkmalamtes hat in mühevoller Forschungsarbeit und mit künstlerischen Spürsinn all diese Denkmäler gesammelt, gesichtet und in Wort und Bild für die Öffentlichkeit zugänglich gemacht.
Man könnte noch viel darüber berichten, denn Wien ist reich an den Zeugen der Vergangenheit.
QUELLEN: Reichspost, 13. Dezember 1923, Kleine Volkszeitung, 19. September 1938, 6. Februar 1938, Österreichische Zeitung, 13. August 1947, Österreichische Nationalbibliothek ANNO
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