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Bewegungsdrang#

(Wie kommt die Kunst ins Johann Puch Museum?)#

von Martin Krusche

Der Mensch in seiner Umtriebigkeit. Die Stadt als gestalteter Raum. Das Vehikel als einer der Angelpunkte beider Aspekte. Raumüberwindung und Raumgestaltung durch Technik. Wie kommt da die Kunst in eine entsprechende Themenstellung? Die Architektur (als Baukunst) wurzelt historisch nicht in der Wohnraumbeschaffung, sondern in Kultbauten. Europas Mythologie ist in der Frage deutlich. Hephaistos, der Schmied, aber auch Daedalus, Vater des Ikarus, waren gleichermaßen Handwerker, Baumeister und Künstler.

Dieses Motiv in der Art eines Aquarells erschien als ganzseitiges Inserat in der Allgemeinen Automobilzeitung vom 6. Mai 1917. (Public Domain, Österreichische Nationalbibliothek)
Dieses Motiv in der Art eines Aquarells erschien als ganzseitiges Inserat in der Allgemeinen Automobilzeitung vom 6. Mai 1917. (Public Domain, Österreichische Nationalbibliothek)

Daedalus, der auf Kreta das berühmte Labyrinth schuf, baute die Schwingen für die Flucht von der Insel, bei der sein Sohn Ikarus verunglückte. Altmeister Johann Puch hatte sich kurz vor seinem vorzeitigen Tod intensiv der Luftfahrt zugewandt, wobei seine Bekanntschaft mit dem österreichischen Flugpionier Eduard Nittner eine prominente Rolle spielte. Österreichs erste Lenkballon, das halbstarre Luftschiff „Estaric“ der „Renner-Buben“, wurde von einem Puch-Motor angetrieben.

Solide Gebrauchsgraphik, die inzwischen als Kultgegenstand gehandelt wird, weil das Motiv, die Stangl-Puch, zur Österreichischen Folklore wurde: Micky Tieber (Alltagsklassiker.at), per T-Shirt als Jochen Rindt-Fan erkennbar, mit einem Informations-Graphik zur Puch MS 50. (Foto: Martin Krusche)
Solide Gebrauchsgraphik, die inzwischen als Kultgegenstand gehandelt wird, weil das Motiv, die Stangl-Puch, zur Österreichischen Folklore wurde: Micky Tieber (Alltagsklassiker.at), per T-Shirt als Jochen Rindt-Fan erkennbar, mit einem Informations-Graphik zur Puch MS 50. (Foto: Martin Krusche)

Hephaistos schuf unter anderem den Sonnenwagen des Sonnengottes Helios. Dessen Sohn Phaeton machte damit eine Ausfahrt, die in einer Katastrophe endete, weil er das Fahrzeug nicht beherrschte, was ihn das Leben kostete. (Der name Phaeton wurde zu einer Kategoie im Karosseriebau.)

Der „Kentaurische Pakt“ zwischen Mensch und Pferd ist freilich weit älter als diese Mythen. Und er dauerte bis zum Zweiten Weltkrieg an, wo noch sehr viele Pferde gebraucht wurden, um den motorisierten Verbänden die Karren aus dem Dreck zu ziehen, wo diese auf morastigen Böden steckengeblieben waren.

Tempo und Zugkraft blieben bis heute wichtige Themen der menschlichen Kultur und haben sich über Jahrtausende in künstlerischen Arbeiten niedergeschlagen, im 20. Jahrhundert auch ihre Entsprechungen in der Gebrauchsgraphik gefunden.

In der Kunstform des Futurismus fanden diese Zusammenhänge eine Verherrlichung durch provokante Akte, die inhaltlich stellenweise den Faschismus vorwegnahm. Zugleich lieferte die Kunst auch immer wieder kritische Befassungen mit dem maßlosen Bewegungsdrang der Menschen. Der Dadaismus ist ein der bedeutendsten Antworten auf die Erfahrtungen im Maschinenzeitalter nach der damaligen Jahrhundertwende. Die Russische Avantgarde, bis heute einflußreich in der Kunst des Westens, hat viele Reaktionen auf die Industrialsierung der Gesellschaften gezeigt.

Kraftfahrzeugwerbung der Vorkriegszeit war gewöhnlich auf hohem graphischen Niveau, da die wohlhabende Kundschaft, der man sich empfahl vielfach als kunstsinnig galt. Dieses Beispiel aus dem Jahr 1921 zeigt eine Handschrift, wie sie Jahrzehnte später auch in den Graphic Novels der Comic-Zeichner zu finden ist. (Public Domain, Österreichische Nationalbibliothek)
Kraftfahrzeugwerbung der Vorkriegszeit war gewöhnlich auf hohem graphischen Niveau, da die wohlhabende Kundschaft, der man sich empfahl vielfach als kunstsinnig galt. Dieses Beispiel aus dem Jahr 1921 zeigt eine Handschrift, wie sie Jahrzehnte später auch in den Graphic Novels der Comic-Zeichner zu finden ist. (Public Domain, Österreichische Nationalbibliothek)

Volkskultur in der technischen Welt#

Kriegshandwerk und Rennsport sind bedeutende Genres dieser Zusammenhänge. Das taucht auf fast verblüffende Art auch in der Kraftfahrzeugwerbung vor dem Zweiten Weltkrieg auf, nämlich in der Verquickung solcher Aspekte.
Eine erste Skizze von Comic-Zeichner Chris Scheuer als Cover-Entwurf für die Kulturgeschichte des Steyr-Puch-Haflinger. (Archiv Martin Krusche)
Eine erste Skizze von Comic-Zeichner Chris Scheuer als Cover-Entwurf für die Kulturgeschichte des Steyr-Puch-Haflinger. (Archiv Martin Krusche)

In der Zweiten Republik steht dann vor allem die Erfolgsgeschichte des neuen Fahrzeugtyps Moped für Querverbindungen zur Popkultur und zu popularen Kunstformen.

Das meint: einerseits spielen Mopeds eine wichtige Rolle in den Jugendkulturen, andrerseits wirken sich Kunstformen der Popkultur auf die visuellen Codes der einschlägigen Werbung aus.

Dabei entsteht ein völlig neues Genre, das dem immer noch völlig unterschätzten Bereich Volkskultur in der technischen Welt zuzuordnen ist: Customizing. Mit den Mopeds und den preiswerten Autos aus der Volksmotorisierung der 1950er Jahre sind plötzlich erschwingliche Medien verfügbar, an denen Menschen ihr handwerkliches Geschick und ihre Gestaltungslust zeigen.

Amerika hatte das schon etwas früher hervorgebracht. Man nennt es, wie erwähnt, Customizing. Hot Rods und Custom Cars (modifizierte Automobile) sowie an Bobbers, Cruisers und Choppers (modifizierte Motorräder), aber auch kuriose Fahrräder wurden Ausdruck dieser Entwicklung. Restaurieren oder Modifizieren, das sind verschiedene Seiten jener Volkskultur in der technischen Welt, wo es eben nicht primär um die Raumüberwindung durch Vehikel geht, sondern um den Erhalt beziehungsweise das Herstellen von rollendem Kulturgut. Es gibt daher etliche veritable Gründe, diverse Schnittstellen zwischen Volkskultur, Popkultur und Gegenwartskunst zu untersuchen. Das sollte in einem Modus geschehen, der Beteiligung zuläßt. Das heißt, die primären Akteurinnen und Akteure werden in den Prozeß einbezogen. Das Mitmachen als ein Akzent für mehr Partizipation statt Konsumation.

Grenzgang zwischen Kunst und Kunsthandwerk: Der „Steyr Strömer“ in der Version von 2014, von „Blechmann“ Bernhard Naumann gebaut. (Foto: Martin Krusche)
Grenzgang zwischen Kunst und Kunsthandwerk: Der „Steyr Strömer“ in der Version von 2014, von „Blechmann“ Bernhard Naumann gebaut. (Foto: Martin Krusche)
Moped goes Pop: Um breitere Schichten junger Menschen anzusprechen, wurde die Werbegraphik sprunghaft schriller. (Archiv Fredi Thaler). (Foto: Martin Krusche)
Moped goes Pop: Um breitere Schichten junger Menschen anzusprechen, wurde die Werbegraphik sprunghaft schriller. (Archiv Fredi Thaler). (Foto: Martin Krusche)
Customizing ist Popkultur auf Rädern: Das Puch Maxi als radikaler Chopper, von der oststeirischen 'Hellgang' gebaut. (Foto: Martin Krusche)
Customizing ist Popkultur auf Rädern: Das Puch Maxi als radikaler Chopper, von der oststeirischen "Hellgang" gebaut. (Foto: Martin Krusche)

Partizipation#

In diesen Sektor fallen auch diverse Sammelleidenschaften, die Historie abbilden. Visuelle Codes verschiedener Zeiten sind heir darstellbar und reale soziale Begegnung finden statt, wo sich Enthusiasten austauchen. Das betrifft allerhand Nippes, hat aber als ganz wesentliche Hauptgebiete Modellautos, Fan-Artikel und Briefmarken. Zwar kann man sich auch hier in manchen Nischen finanziell vollkommen verausgaben, doch das Hauptmerkmal ist eine niedere Preisschwelle für ein breites Angebot, so daß soziale Barrieren flach gehalten werden können. Siehe dazu etwa:

Das ist ein Feld weitreichender Partizipation. Dabei sind vor allem klassische Automobile für junge Menschen kaum leistbar. Aber klassische Mopeds, die sich nicht nur als kulturelle geprägte Artefakte eignen, sondern zugleich auch als robuste Alltagsfahrzeuge taugen, was besonders auf die Produkte von Puch zutrifft. Hier finden junge leute Einstiegsmöglichkeiten. Das ist ein Bereich der aktiven Teilhabe. Kompetenzen in diesen Zusammenhängen können dann, je nach Intention, auch in Richtung Gegenwartskunst gehen, oder sie verbleiben im volkskulturellen Kontext.

Kunst#

Zugleich kennen wir Kunstschaffende, die zu Kraftfahrzeugen keinerlei nennenswerte Beziehung haben, oft nicht einmal eines besitzen, sich aber mit den daran geknüpften Themen künstlerisch befassen. Und sei es über Kontext. Um ein Beispiel zu nennen, der serbische Künstler Radenko Milak hat in seiner Auseinandersetzung mit den Schüssen von Sarajevo eine Serie bewegender Gemälde geschaffen. Dabei spielt der „Sarajevo-Wagen“, der Gräf & Stift des Grafen Harrach, natürlich eine prägnante Rolle.
Die markante Arbeit von Radenko Milak zeigt den Gräf & Stift, welcher im Zentrum jener „Schüsse von Sarajevo“ stand, deren Echo wir bis heute hören. (Foto: Martin Krusche)
Die markante Arbeit von Radenko Milak zeigt den Gräf & Stift, welcher im Zentrum jener „Schüsse von Sarajevo“ stand, deren Echo wir bis heute hören. (Foto: Martin Krusche)
Radenko Milaks Inszenierung des Automobils als politische Bühne. (Foto: Martin Krusche)
Radenko Milaks Inszenierung des Automobils als politische Bühne. (Foto: Martin Krusche)

Ein anderes Beispiel ist Künstler Niki Passath, der sich vor allem intensiv mit dem zweiten Maschinenzeitalter beschäftigt und dessen Apparate teilweise eine irritierende Distanz zur Computerwelt zeigen. Passath untersucht seit Jahren spezielle Bereiche der Mensch-Maschinen-Koexistenz.

Ein sehr schönes hauseigenes Exempel bietet Friedrich Spekner. Er ist ein klassischer Puchianer, hat 1951 seine Lehre in den Puchwerken begonnen, etliche Abteilungen der Firma durchlaufen und sich schließlich als Designer profiliert. Spekner war zuerst im Werkzeugbau tätig, also Handwerker. Sein gestalterisches Talent und seine Freude am Zeichnen war damals noch Privatangelegenheit.

Über Fernkurse holte sich der Mann Anregungen für das Graphische und buchte Angebote wie „Pressezeichnung“. Das führte ihn von der Werkbank weg. Bis Mitte der 1970er-Jahre war Spekner in der Katalogabteilung des Konzerns tätig. Die Konstruktions- und Explosionszeichnungen von seiner Hand kursieren bis heute. Wie bei seinem bedeutenden Kollegen, dem Industriedesigner Louis Lucien Lepoix, findet man auch bei Spekner die Ansätze zur freien, künstlerischen Arbeit, die bloß wenig bekannt sind. Übrigens! Lepoix schuf für die Steyr-Daimler-Puch AG einige Designs. Das Puch Maxi, die Plus-Serie bei den Traktoren und den LKW, den City Bus, außerdem gestaltete er das markante BIC Wegwerf-Feuerzeug, das wir wohl alle schon benutzt haben.

Geist in der Maschine? Niki Passath unersucht zum Beispiel, was sichtbar wird, wenn diese mechanischen Konstruktionen eigenständige Abweichungen entwickeln. (Foto: Martin Krusche)
Geist in der Maschine? Niki Passath unersucht zum Beispiel, was sichtbar wird, wenn diese mechanischen Konstruktionen eigenständige Abweichungen entwickeln. (Foto: Martin Krusche)
Künstler Niki Passath hat das Fahrzeug-Prinzip auf ein ganz anderes Thema umgelegt. Er baut kleine Vehikel, die malen und zeichnen. (Foto: Martin Krusche)
Künstler Niki Passath hat das Fahrzeug-Prinzip auf ein ganz anderes Thema umgelegt. Er baut kleine Vehikel, die malen und zeichnen. (Foto: Martin Krusche)

Aber zurück zur Frage nach der Kunst, die hier auch eine Frage nach der Wissenschaft ist. Das Johann Puch Museum, etabliert im Stammwerk von Altmeister Johann Puch, in der letzten originalen Halle aus dessen Tagen, ist ein historische geprägter Angelpunkt, um an diesen Themen prozeßhaft zu arbeiten.

Dazu wurden fünf materielle Positionen markiert, von denen die Geschichte der Stadt Graz an einigen Stellen mitgeprägt wurde:

  • 1) Das Terrain des Einser-Werkes
  • 2) Der Mühlgang
  • 3) Die Halle P
  • 4) Die Leuchtreklame mit dem Puch-Logo
  • 5) Die Eurostar Stahlskulptur

Über die letzten Jahre wurde ein thematischer Vorlauf erarbeitet, in dem sich Sozial- und Industriegeschichte der Stadt Graz spiegeln:

Vom Werkzeugmacher zum Leiter der Designabteilung: Friedrich Spekner hat die Erscheinung der Puch-Produkte über viele Jahre maßgeblich geprägt. (Foto: Martin Krusche)
Vom Werkzeugmacher zum Leiter der Designabteilung: Friedrich Spekner hat die Erscheinung der Puch-Produkte über viele Jahre maßgeblich geprägt. (Foto: Martin Krusche)

  • 2017: 60 Jahre Steyr-Puch 500, ein wesentliches Schlüsselereignis der Werksgeschichte und der heimischen Mobilitätsgeschichte.
  • 2018: Museumsstraße der Mobilitätsmuseen, was auch andere Formen des Transports und der individuellen Mobilität einschließt, Straßenbahn, Luftfahrt…
  • 2019: Die drei Jubiläen, mit denen die letzten 60 Jahre durchmessen wurden, was an den Beginn der österreichischen Volksmobilisierung zurückreicht.

In den Arbeitsjahren 2019/2020 werden die Erfahrungen aus diesen Vorstufen ausgewertet und in nächste Aktivitäten umgesetzt.

Weiterführende Texte#

Mobilitätsgeschichte#


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Bild 'log_puchmus'


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