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Abbilder des Kalten Krieges#

Die Bildende Kunst war 60 Jahre lang ein Spiegel der unterschiedlichen historischen Entwicklungen in der Bundesrepublik und der DDR#


Mit freundlicher Genehmigung von der Wiener Zeitung (Samstag, 2. Jänner 2010)

Von

Oliver Bentz


Reste des Wiener Neustädter Kanals
Bernhard Heisig: „Unterm Hakenkreuz“ (1973). Die NS-Zeit war ein gesamtdeutsches Thema.
© Wiener Zeitung / Foto: Staatl. Museen zu Berlin, Nationalgalerie

"Nun wächst zusammen, was zusammen gehört!", frohlockte Willy Brandt 1989, zu Zeiten des Mauerfalls. Aber das Zusammenwachsen der beiden deutschen Staaten erweist sich bis heute als nicht so einfach. Zwei Jahrzehnte nach der Wiedervereinigung existieren in der Sicht auf manch andere historische und gesellschaftliche Bereiche noch Unterschiede zwischen Ost und West; auch in der Sichtweise und Beurteilung der deutschen Nachkriegskunst gibt es erhebliche Differenzen. Künstlerische Grabenkämpfe, die einst ideologisch geprägt waren, haben auch auf die nachgewachsene Generation noch ihre Auswirkungen. So scheint etwa vielen im Osten die Abstrakte Kunst der ersten bundesrepublikanischen Jahrzehnte fremd, während man im Westen das in Ostdeutschland Entstandene vielerorts abschätzig als „Staatskunst“ betrachtet.

West- und Ost-Kunst sind in einer großen Ausstellung einander gegenüber gestellt worden: „Kunst und Kalter Krieg. Deutsche Positionen 1945-1989“ wurde erst in Los Angeles gezeigt, dann im Germanischen Nationalmuseum in Nürnberg, und jetzt im Deutschen Historischen Museum in Berlin. Die Ausstellung ist international sehr beachtet worden, von der US-Abteilung des Internationalen Kunstkritikerverbandes AICA wurde sie vor kurzem zur besten thematischen Museumsschau des Jahres 2009 gewählt.

Die vier Sektionen der Ausstellung erschließen die deutsche bildende Kunst nach 1945 in chronologischer Ordnung: Im Osten wie im Westen bezog man sich in den ersten Jahren nach dem Krieg auf die Vorbilder der klassischen Moderne, in den 1950er Jahren entstand dann im Westen die Abstrakte Kunst und im Osten der sozialistische Realismus, in den 60er und 70er Jahren folgten einerseits die Auseinandersetzung mit Nationalsozialismus, Mauerbau, Kaltem Krieg und andererseits das (vorwiegend westliche) Experimentieren mit Material, Form und Technologie. Im letzten Jahrzehnt der deutschen Teilung stellten die Künstler in Ost und West alle Ideologien in Frage.

Das Spektrum dieser umfassenden Retrospektive der Modernen Kunst in den beiden deutschen Staaten vom Ende des Zweiten Weltkrieges bis zum Fall der Berliner Mauer umfasst Malerei, Skulptur und Grafik ebenso wie Fotografie und Installationskunst. 320 Werke von 120 Künstlern aus Ost- und Westdeutschland, darunter Joseph Beuys, Bernhard Heisig, Jörg Immendorff, Anselm Kiefer, Via Lewandowsky, Wolfgang Mattheuer, A. R. Penck, Gerhard Richter, Willi Sitte, Werner Tübke und Wolf Vostell werden in der von der Amerikanerin Stephanie Barron und von Eckhart Gillen eingerichteten Schau präsentiert. Besonders auf dem Gebiet der Kunst hatten die zwölf Jahre des Nationalsozialismus, die das vielfältige kulturelle Leben der Weimarer Republik 1933 abrupt beendeten und Kunstschaffende und interessiertes Publikum von den Entwicklungen der internationalen Moderne abschnitten, ihre Spuren hinterlassen.

Die Maler und Bildhauer, die nicht durch ihre Teilhabe am Nazi-System diskreditiert waren, sondern die Hitler-Jahre irgendwie überstanden hatten oder jetzt wieder aus dem Exil nach Deutschland zurückkamen, wollten gegen die Bilderwelt des Dritten Reiches entschieden neue Zeichen setzen. Dabei versuchten sie entweder an die Moderne der Vorkriegsjahre anzuknüpfen oder sich den neuesten Entwicklungen der internationalen Kunst anzuschließen.

Trauer und Aufbruch#

Einige Arbeiten zeigen die unmittelbar nach dem Krieg vorhandene große Trauer über die gerade erlebten Verheerungen. So dokumentieren etwa Tuschezeichnungen von Wilhelm Rudolph die zerstörten Straßen und Gebäude Dresdens und erschütternde Fotos von Richard Peter bilden die verkohlten und geschrumpften Leichname ab, die noch lange nach dem Luftangriff auf die Stadt aus den Ruinen geholt wurden. Hannah Höch zeigt in einem anrührenden Gemälde "Trauernde Frauen" (1945) und Karl Hofer in seinem 1946 entstandenen, diese Zeit versinnbildlichenden "Totentanz" eine jämmerliche Karnevalsgesellschaft mit billigen Totenkopf-Pappmasken, zerschlissenen Kleidern und ausgemergelten Gesichtern. Bei den das Leiden thematisierenden Plastiken aus den ersten Nachkriegsjahren – etwa Georg Kolbes „Der Befreite“ (1945) oder Gerhard Marcks "Gefesselter Prometheus" (1948-50) – wird deutlich, wie sehr die Künstler noch auf die pathetische Bildsprache des Expressionismus zurückgriffen.

Die fünfziger Jahre standen im Zeichen der großen Auseinandersetzung um das Menschenbild in der Kunst. Der Sozialistische Realismus, der seit 1934 in der stalinistischen Sowjetunion die offizielle Kunstform war, wurde 1949 auch in der DDR zur Doktrin erhoben. Die Kunst sollte mit Ideologie durchtränkt sein, ihre Bildsprache war leicht zugänglich, der Staat war oft ihr Auftraggeber.

So zeigen die in diesem Sinne von Heinz Löffler und Otto Nagel gemalten Bilder mustergültiger Arbeiter beim Aufbau der Stalinallee ausgerechnet jenen Ort, an dem es 1953 zum Aufstand gegen die ostdeutsche Regierung kommen sollte. Es gab aber in dieser Zeit auch in Ostdeutschland Künstler, die sich dem neuen offiziellen Stil verweigerten: Hermann Glöckner zum Beispiel malte in jener konstruktivistischen Manier weiter, in der er schon gearbeitet hatte, als er sich im NSStaat aus der Öffentlichkeit zurückzog.

Im Westen dagegen wollte die informelle Malerei Ausdruck des befreiten Subjekts sein. Die internationale Sprache der abstrakten Moderne wurde mit Demokratie und Freiheit gleichgesetzt und als Gegenpart des Sozialistischen Realismus aufgefasst. Der Gang in die Abstraktion ermöglichte es aber auch, der direkten Auseinandersetzung mit den Verbrechen der NS-Zeit aus dem Weg zu gehen. In Bildern von Emil Schumacher, Ernst Wilhelm Nay, Willi Baumeister und anderen zeigt sich die Westkunst dieser Zeit, die heute großenteils doch etwas eintönig und altbacken erscheint.

Einen Aufbruch verheißen da schon die Werke der 1957 unter anderem von Otto Piene und Heinz Mack in Düsseldorf konstituierten "Gruppe Zero", der sich auch Günther Uecker anschloss. Mit ihren monochromen Gemälden und ihren von den Einflüssen moderner Licht- und Bewegungstechnik bestimmten Objekten wandten sich die Künstler gegen die von ihnen als unerträglich erachtete informelle Malerei. Die unterschiedliche Weltanschauung der beiden deutschen Staaten und die Propagandafunktion von Kunst kommen besonders in den Denkmalentwürfen der fünfziger Jahre zum Ausdruck. Bernhard Heiligers „Denkmal des unbekannten politischen Gefangenen“ (1952) sollte an der Sektorengrenze in Westberlin als Widerpart des sowjetischen Siegesdenkmals in Ostberlin die Zustände im östlichen Machtbereich anprangern. Im selben Jahr sollte im Osten Fritz Cremers Skulpturengruppe für das Buchenwalddenkmal den kommunistischen Widerstand im Nationalsozialismus hervorheben.

Cremers erster Entwurf für das Bronze-Monument wurde von den politischen Entscheidungsträgern damals als „zu unheroisch“ abgelehnt. Eine nach Überarbeitungen verwirklichte Fassung wurde zum Symbol des Antifaschismus in der DDR. Im Lauf der sechziger Jahre trat in beiden deutschen Staaten auch in der Kunst die Auseinandersetzung mit der nationalsozialistischen Vergangenheit in den Vordergrund. Sinnbildlich dafür steht der Anfang der sechziger Jahre aus der DDR in die Bundesrepublik übersiedelte Gerhard Richter mit seinem „Onkel Rudi“ (1965), den er in Wehrmachtsuniform malte, grau in grau nach einem Foto aus dem Familienalbum.

Pop gegen Malkunst#

Während im Westen ein von der amerikanischen Pop Art beeinflusster kapitalistischer Realismus um sich griff, sich ein komplexes Nebeneinander verschiedener Stile entwickelte und der Kunstbegriff um neue Medien, Happening und Körperkunst erweitert wurde, dominierte in der östlichen Auseinandersetzung weiter das auf hohem malerischen Niveau an altmeisterliche und neuere Mal-Traditionen anknüpfende Tafelbild. Werner Tübke, Willy Sitte oder Bernhard Heisig, von dem etwa das beeindruckende Gemälde „Unterm Hakenkreuz“ (1973) zu sehen ist (siehe Abbildung), traten damals auf den Plan. Sie gelten noch noch heute als die – nicht unumstrittenen – Aushängeschilder der DDR-Malerei. Vieles damals im Auftrag des Staates Entstandene kam jedoch über einen "plakativen Antifaschismus" nicht hinaus.

Im Westen änderte sich nicht zuletzt in Folge der 68er Bewegung die Rolle der Künstler. Sie griffen in ihren Arbeiten aktuelle politische Konflikte auf. Der Vietnam-Krieg, der RAF-Terrorismus oder der Abbau von Freiheitsrechten waren Themen, die Künstler wie Klaus vom Bruch, Katharina Sieverding oder Jürgen Klauke zu provokanten Film- oder Bild-Werken herausforderten. Installationen von Joseph Beuys oder Wolf Vostells Werke zeigen zudem, welch anarchistisch-verspielte Kunst damals in der Bundesrepublik Einzug hielt.

Magischer Realismus#

Auffällig ist es, dass die Fotografie in beiden deutschen Staaten das Medium ist, das die sozialen Schattenseiten der Gesellschaftssysteme und das Alltagsleben schon früh aufgreift. Mangelwirtschaft, Verlierer des Wirtschaftswunders oder die Umweltverschmutzung, für die es in den ersten Jahrzehnten beider deutscher Staaten recht wenig Sensibilität gab, werden immer wieder thematisiert.

Am Ende des Kalten Krieges standen sich 1989 Projekte in der DDR und der Bundesrepublik gegenüber, mit denen sich beide Staaten auf die Suche nach der Legitimation ihrer Staatsgründungen machten. Zwei Künstler befragten dabei in zwei Mammutkunstwerken die Identität der Deutschen in Ost und West: Im Osten malte Werner Tübke im Auftrag des DDR-Kulturministeriums über zehn Jahre an seinem Bauernkriegspanorama in Bad Frankenhausen, das sieben Wochen vor dem Fall der Mauer im eigens errichteten Museum eröffnet wurde. Tübke schuf dabei keinen „sozialistischen“ sondern einen magischen Realismus, keine Verherrlichung der Bauernaufstände – sondern ein Welttheater, das sich als Gleichnis menschlicher Macht- und Glaubenskämpfe der Moderne versteht.

Im Westen gestaltete Johannes Grützke in der Frankfurter Paulskirche – Tagungsort des 1848er Parlaments und seit 1949 nationales Denkmal für Freiheit – seinen etwa zweihundertköpfigen, zweiunddreißig Meter langen und drei Meter hohen „Zug der Volksvertreter“.

Ohne Pathos zeigt Grützke in dem riesigen Wandbild ironisch überzeichnet die hilflosen, verwirrten und aneinander Halt suchenden Gestalten in grauen und schwarzen Anzügen – ohne Erhabenheit, mit all ihren Fehlern und Schwächen.

Oliver Bentz

Oliver Bentz, geboren 1969, lebt und arbeitet als Germanist und Kulturpublizist in Speyer.

Wiener Zeitung, Samstag, 2. Jänner 2010


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