"Man muss es sich schwermachen"#
Gert Voss ist am Sonntag im Alter von 72 Jahren gestorben. Ein Nachruf auf eine Schauspieler-Legende.#
Von der Wiener Zeitung (Dienstag, 15. Juli 2014) freundlicherweise zur Verfügung gestellt.
Von
Petra Paterno
Wien. Große Schauspieler sind von Mysterien umgeben, die sich schwer ergründen lassen. In dem Augenblick, in dem sie die Bühne betreten, bemerkt man sie, unverzüglich. Auch wenn sie sich im Hintergrund halten und in das Geschehen nur beiläufig eingreifen - diese Akteure rücken ins Zentrum der Wahrnehmung. Es scheint nebensächlich, wie bedeutend die Rolle, wie gelungen das Stück ist, in dem diese Schauspieler zu sehen sind. Die Augen saugen sich an ihnen fest. Es gibt ein schönes, altes Wort dafür: Ausstrahlung.
So ein Schauspieler war Gert Voss. Am Sonntag starb er nach kurzer schwerer Krankheit im Alter von 72 Jahren in Wien. Mit Laurence Olivier verglich ihn einst die Regie-Legende Peter Zadek, vom Branchenblatt "Theater heute" wurde Voss sechs Mal zum "besten Schauspieler" ernannt, keinem anderen ist das bis dato geglückt; 1995 kürte ihn die "Times" zum besten Schauspieler Europas; er war Ehrenmitglied des Burgtheaters und Träger zahlreicher Auszeichnungen.
Dabei war Voss‘ Weg zur Schauspielerei lang und verworren. Geboren wurde Peter Gert Voss 1941 in Shanghai. Sein Vater war ein angesehener Kaufmann; Voss verbrachte seine frühe Kindheit in großbürgerlicher Geborgenheit, die im Auffanglager ihr jähes Ende fand. 1947 wurde die Familie nach Deutschland repatriiert und siedelte sich in Hamburg an.
Von Zweifeln geplagt#
Zunächst studierte Voss Germanistik und Anglistik. Seine Leidenschaft fürs Theater pflegte er heimlich. Von 1964 bis 1966 nahm er Privatunterricht bei der Schauspielerin Ellen Mahlke.
Seine eigentliche Schauspiellaufbahn begann mit einer Namensänderung: Voss reihte seinen zweiten Namen vor, um nicht mit der damals populären Filmfigur "Peter Voss" verwechselt zu werden, einem Millionendieb. In seinen Memoiren "Ich bin kein Papagei" (2012) bemerkte der Schauspieler über die frühen Jahre, dass diese von Zweifeln geplagt gewesen seien; bei seiner Privatlehrerin wollte er sich vergewissern, ob ihm überhaupt Talent für den Beruf gegeben sei. Voss wolle den Weg nur einschlagen, wenn es sicher absehbar sei, dass er sein Talent nicht in Nebenrollen und an Mittelklassebühnen verschwende. Rückblickend kann festgestellt werden, dass die Mentorin ihrem Schüler wohl den richtigen Weg gewiesen hat.
Dennoch blieb Voss die Tour durch die Provinz nicht erspart. Nach einem ersten Engagement am Stadttheater Konstanz wechselte er 1968 nach Braunschweig; nächste Stationen waren das Münchner Residenztheater und das Staatstheater Stuttgart, wo Claus Peymann 1974 Schauspieldirektor wurde - Voss und Peymann, ein schicksalsschweres Zusammentreffen.
Dass Voss in den mühevollen Anfangsjahren durchhielt, lag auch an der Unterstützung seiner Frau, der Dramaturgin Ursula Voss, die er in seinen Lebensbetrachtungen als "geistige Copilotin" beschrieb. Mit Ursula Voss war der Schauspieler über 45 Jahre lang verheiratet, das Paar hat eine Tochter und ein Enkelkind.
Langsam, unbeirrbar und souverän spielte sich Gert Voss in die erste Liga hoch. Der Durchbruch gelang ihm mit Kleists "Hermannsschlacht". 1983 war er erstmals auf dem renommierten Berliner Theatertreffen Gast. Viele Einladungen sollten folgen.
Neuer Schauspielertypus#
Mit Gert Voss eroberte ein neuer Schauspielertypus die Bühne. Sein Spiel war geprägt von Perfektion, Konzentration und Hingabe, die für das Publikum wie allergrößte Leichtigkeit wirkte. Die große Pose war seine Sache nicht; bei seiner Menschendarstellung ging es darum, die Seelenlandschaften der jeweiligen Rollen zu ergründen. Voss schuf glasklare Figuren, die dennoch ihr Rätsel bewahrten. Hermann Beil sagte einmal über ihn: "Er gefährdet sich selbst wirklich bis zum Äußersten. Insofern ist er kein Schauspieler, der einfach auf die Wirkung seiner sogenannten Persönlichkeit vertraut. Voss verwandelt die Bühne, indem er um sein Leben spielt. Er geht aufs Ganze, und weil er stets aufs Ganze geht, bringt er immer etwas anderes mit auf die Bühne." In Berufsroutine versackte Voss nie. Sichtbarstes Kennzeichen dieses Andersseins war die Wandelbarkeit seiner äußeren Erscheinung. Er war Richard III. mit hochrasierter Frisur wie ein US-Marine und er war der schwärzeste Othello.
Mit der Interpretation von Shakespeares Parade-Bösewicht Richard III. überzeugte Voss in Wien auch die größten Peymann-Gegner. Zur Erinnerung: Voss war nicht von Beginn an der erklärte Theaterliebling der Wiener. Peymann wurde 1986 Direktor des Burgtheaters, worauf es, medial und in der öffentlichen Meinung, zum beispiellosen Feldzug gegen den Theatermacher und dessen Schauspieler, darunter Kirsten Dene, Martin Schwab und Voss, kam. Es war Voss, der in dieser prekären Anfangsphase das "vermeintlich Unmögliche" unternahm, so der Kritiker Ulrich Weinzierl, nämlich "ein sympathisches Monster auf die verkrümmten Beine zu stellen, den Außenseiter, den Krüppel, den Mörder in einen intellektuellen Charmeur zu verwandeln". Mehr als 20 Shakespeare-Figuren hat Voss verkörpert. Sein Othello, sein Prospero, sein Shylock und König Lear haben Theatergeschichte geschrieben. Voss‘ Interpretation von Zadeks "Kaufmann von Venedig" war überragend, der Shylock des Darstellers kam aus der Kältekammer der Wallstreet-Zocker - ein Gruselspiel, virtuos bis ins kleinste Detail. Voss war ein selbstbewusster und reflektierter Künstler. Ein Wort wie "virtuos" lehnte er zur Beschreibung seiner Arbeit stets ab. Virtuos, so Voss, beschriebe mehr das Verhältnis eines Musikers zu seinem Instrument als die Kunst der Schauspielerei.
"Man muss es sich schwer machen, wenn man Shakespeare spielt", so Voss in einem Interview mit der deutschen Wochenzeitung "Die Zeit". "Man kann nie sagen, man hat seine Figuren entdeckt, denn man entdeckt immer Neues in ihnen. Shakespeares Figuren sind wie Kontinente." Wenn man das Herz einer Shakespeare-Figur treffe, sei es, als begegne man einem Tier. Bei Richard III. habe er an "wilde, gefährliche Hunde" gedacht, bei Othello habe er das Bild eines Stiers während eines Stierkampfes vor Augen gehabt. Über seine Kunst konnte Voss eindringlich sprechen.
Voss wird Literatur#
Neben Shakespeare zählten Thomas Bernhard und Anton Tschechow zu den Bühnenautoren, bei denen Voss in Zusammenarbeit mit für ihn prägenden Regisseuren wie Peter Zadek, Luc Bondy, George Tabori und Peymann zu Höchstform auflief, über sich selbst schier hinauswuchs.
Voss gehörte zu den wenigen Schauspielern, die in der Gunst Bernhards standen. Eines seiner besten Stücke hat Bernhard nach seinen Lieblingsschauspielern Ilse Ritter, Kirsten Dene und Gert Voss benannt; wäre Voss nicht längst als Darsteller unvergessen, er wäre auch so in die Literaturgeschichte des Theaters gelangt. Dennoch haben sich der Schauspieler und der Schriftsteller nie persönlich kennengelernt.
Bis zuletzt stand Gert Voss auf der Bühne, vor der Kamera. In der Direktionszeit von Matthias Hartmann spielte er Mephisto, er trat in "Onkel Wanja" auf, er war Orgon in Luc Bondys fulminanter "Tartuffe"-Inszenierung; noch im April wurde er in die Findungskommission für die Burgdirektor-Nachfolge berufen. Bis zuletzt blieb er neugierig, wollte die Grenzen seines Berufs erkunden, übernahm die Hauptrolle in "Altes Geld", einer ORF-Serie von Regisseur David Schalko.
"Natürlich strebe ich nach einer gewissen Form von Unvergessenheit", sagte Voss einst. "Ich habe aber die größten Zweifel, dass das so ist." Seine Zweifel werden unbegründet sein.