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Dramatischer Schwung#

Venedig feiert den 500. Geburtstag von Tintoretto. Zwei Ausstellungen begleiten seine Entwicklung.#


Mit freundlicher Genehmigung übernommen aus der Wiener Zeitung, 15. November 2018

Von

Thomas Leitner


Tintorettos Tarquinius und Lucretia, 1578/1580
Beherrschte Körpermassen: Tintorettos Tarquinius und Lucretia, 1578/1580.
Foto: Name. Aus: Wikicommons, unter CC BY 3.0

Der "venezianischste" aller Maler sei er, Jacopo Robusti (1518? - 1594), den man nach dem Beruf seines Vaters, der Färber war, Tintoretto nannte. In mehr als 20 Kirchen begegnet der Besucher in der Lagunenstadt das ganze Jahr über seinen Werken. Den Dogenpalast schmückt sein großflächigstes Bild, das von seinem Sohn Domenico vollendete "Paradiso". Die absoluten Meisterwerke kann man in der Scuola San Rocco bewundern. Kurz: Er prägte die Stadt, so wie sie ihn prägte. Zum 500. Geburtstag (oder so ungefähr - ein genaues Geburtsdatum lässt sich nicht eruieren) widmet ihm die Serenissima nun gleich zwei große Ausstellungen. Musste man sich zunächst noch fragen, ob diesem permanenten Tintoretto-Angebot noch Wesentliches hinzuzufügen wäre, gibt Umfang und Reichtum der beiden Schauen eine klare, affirmative Antwort. In der großartigen Übersicht der Arbeiten seiner Reifezeit - von der Mitte des Cinquecento bis zum Tod - wird im Palazzo Ducale die Vielseitigkeit des Malers, aber ebenso die konsequente Weiterentwicklung von der Hochrenaissance in den Manierismus demonstriert.

Noch nie verliehen#

Wie er sein Programm, das Kolorit von Tizian mit dem disegno Michelangelos zu verbinden, und doch seine ganz eigene, von der Kraft und Körperlichkeit der menschlichen Figur beherrschte Formensprache zu entfalten, verwirklichte, belegen Leihgaben aus aller Welt: Prato und Louvre, London und Dresden, das KHM ("Susanna im Bade"). Auch zahlreiche US-Museen trugen dazu bei. Im März übersiedelt die Ausstellung übrigens nach Washington in die National Gallery of Art. Zum Teil sind noch nie verliehene Bilder präsentiert, etwa das späte Autoportrait aus Berlin, welches ihn als nachdenklichen Mann in fast rembrandtscher Düsternis zeigt. Welcher Kontrast zu seinem frühen Selbstbildnis, ca. 1546, hier bietet dem Beschauer ein entschlossener Jüngling die Stirn, der sich anschickt, die Welt und den Kunstmarkt zu erobern. Der weite Weg dahin erschließt sich in der Präsentation von Tintorettos erster Schaffensperiode in der Galleria dell Accademia.

Erst allmählich entwickelte sich die Beherrschung von bewegten Körpermassen, gewinnen die Figuren an Expressivität, das Licht in der Landschaft seine zauberhafte Farbigkeit, die Schatten ihre symbolische Gewalt. Der Pinselstrich wird selbstbewusster, der Farbauftrag kühner und pastoser, der Schwung dramatischer. Zunächst allerdings sieht man einen fleißigen Schüler, der sich im Zeichnen antiker Statuen und an Michelangelo-Modellen übte, sich an selbstentworfenen Figurengruppen in Puppenformat das Arrangement von Kompositionen erarbeitet. Einer Legende wird hier die Glaubwürdigkeit entzogen: Der junge Begabte hätte nur kurz in Tizians Atelier verweilen dürfen, weil er schnell die Eifersucht des alten Meisters erweckte. So weit war es noch lange nicht. So musste er bisweilen zu Tricks greifen. Bei einem Wettbewerb brachte er statt einer Skizze ein vollendetes Gemälde ein und ergatterte sich damit einen nachhaltigen Auftrag einer einflussreichen Laienbruderschaft.

Zu einem gleichrangigen Konkurrenten im künstlerischen Rang und der öffentlichen Aufmerksamkeit stieg er erst im Alter von 30 Jahren auf, mit einem Werk, mit dem auch diese Ausstellung gipfelt: das "Sklavenwunder". Wie sich hier der Schutzpatron Venedigs, der heilige Markus, kopfüber vom Himmel herab in das Geschehen stürzt, um ein Martyrium zu verhindern, ließ die Massen wohlig erschauern. Freilich darf man einen abschließenden Besuch in der Scuola San Rocco nicht versäumen. Dort befinden sich ja die unumstrittenen Meisterwerke des letzten großen Renaissancemalers: Christus vor Pilatus, und die beiden rätselhaften Frauenfiguren in noch rätselhafteren Landschaften (Maria Magdalena und Maria Aegyptiaca, so die traditionellen, recht zweifelhaften Betitelungen). Eine großartige Idee, die Damen vor ihrer Amerikareise zu restaurieren, und dies vor Publikum.

Dem Nachleben Tintorettos in Schule und Familie wird wenig Platz eingeräumt. Neben Sohn Domenico hatte er auch eine hochbegabte, geliebte Tochter, von der leider kein Bild zu sehen ist. So bleibt das "Paradiso" im Dogenpalast das letzte Zeugnis dieser großen Periode - doch es leidet am überschießenden Ehrgeiz des Vaters, der mit diesem Werk Michelangelos "Jüngstes Gericht" - auch an Ausmaß - übertrumpfen wollte, obschon er körperlich dazu nicht mehr in der Lage war, selbst Hand anzulegen - und wohl auch an der mittelmäßigen Ausführung durch den Sohn und Schüler.

Wiener Zeitung, 15. November 2018