Notiz 060: Gezeichnetes und Gemaltes#
von Martin KruscheJeder Zweig muß gesetzt werden, jedes Blättchen braucht seinen guten Grund, auch wenn vermutlich kein Mensch besonders darauf achten wird, wie hier die Titelgrafik des Haflinger-Buches auf der Rückseite ausläuft. Aber das Gesamtbild, wie wir es wahrnehmen, ergibt sich aus all diesen Details.
Es gibt Skizzen, Vorarbeiten, über die Künstler Chris Scheuer an seine Ergebnisse herankommt. Zum fertigen Bild hin muß er freilich nicht mehr über Details nachdenken. Er sagt selbst, er würde meist gar nicht mehr genau auf das Papier hinsehen, wenn die Hand darüber geht.
Während nun das Haflinger-Buch auf den Markt gekommen ist, hat er unter anderem an einer Zeitmaschine gearbeitet. Nein, nicht in einem verborgenen Schuppen. Natürlich auf dem Zeichenpapier. Als Teil einer apokalyptischen Geschichte. So ist nun der zweite Band einer Comic-Trilogie auf dem Weg in die Druckerei. eine Arbeit, die er gemeinsam mit Texter Matthias Bauer verfaßt hat.
Das ist im April dieses Jahres schon einmal angeklungen, in der Notiz 034: „Facetten der Popkultur“. Kurz darauf ging es mit dem Poster-Motiv zur Sache; siehe dazu Notiz 038: „Das Haflinger-Poster 2019“.
Wir haben uns kürzlich getroffen, über diesen kulturellen Zusammenhang gesprochen, das Wechselspiel der Intentionen und Motive zwischen Volkskultur, Popkultur und Gegenwartskunst. Scheuer ist selbst ein Exponent solchen Umgangs mit offenen Kanälen zwischen diesen Genres. Er ist mit Kunst aufgewachsen, sein Vater vom Fach, seine Großmutter Grete Scheuer eine arrivierte steirische Schriftstellerin.
Chris Scheuer war noch ein kleines Kind, als er begann, Werke von Dürer nachzuzeichnen. Er wuchs in jener Zeit auf, da die Popkultur in anderen Familien noch geächtet war, weil damals viele annahmen, der Pöbel sei in der Volkskultur zu Hause, wer auf sich hält, finde sich in der Hochkultur zurecht. Eine arrogante Haltung, in der die Quellen unserer Kultur ignoriert werden.
Aber was ist denn nun das Hohe an der Hochkultur und was das Volk in der Bevölkerung? Derlei werten wir inzwischen zu Recht als etwas trübe Kategorien. Die alten Hierarchien, Echo der ständischen Gesellschaft und der Feudalzeit, haben wenigstens im Kulturbereich ihre bestimmende Kraft verloren. Die Popkultur hat wesentlich beigetragen, das aufzubrechen.
Darum führt auch unsere Arbeit quer durch diese Genres. Ich bin als Mann der Texte freilich jemand, der sehr an Diskursen hängt. Scheuer kommt weitgehend ohne diese Besuche der Meta-Ebene aus, braucht keine Debatten, um seine künstlerische Position zu klären. Das wird über sein Werk erledigt.
Worin wir uns treffen? In einem Interesse an der Welt und den Menschen, in einer Neugier auf Erzählungen und auf das, wozu wir alle imstande sind. Daher auch ein unübersehbarer Respekt für die Hackler, jene Handwerker, von denen geschaffen wurde, worüber ich oft schreibe.
Was sind denn die Professionen am Beginn unserer Kultur? Als die Menschen noch Jäger und Sammler waren, in Höhlen wohnten, gingen vor Jahrtausenden einzelne inspirierte Leute daran, Steine zu behauen und den Tempel von Göbekli Tepe zu bauen. (Heute im türkischen Anatolien.) Sie bauten sich für über zehntausend Jahren keine Wohnhäuser, sondern eine Kultstätte, während sich schon über etliche Jahrtausende die Höhlenmalerei entwickelt hatte.
Symbolisches Denken hat sich seit jeher darin ausgedrückt, daß Handwerk und Kunst in Wechselwirkung daherkamen. Wir haben keinen Grund, diese Genres als getrennt zu betrachten und auf die Handwerker herunterzublicken. Im Gegenteil. Siehe dazu auch Notiz 016: „Die Stunde mit Meister Thaler“!